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Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780.

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Forster's Reise um die Welt
1774.
May.
nehmen Besuch auf dem Schiffe. Orea und seine Familie, Boba, der Vice-
König dieser Insel, O-Taha, und Teina-Mai die schöne Tänzerin, deren ich
schon im ersten Theile S. 303. gedacht habe, machten unsre Gesellschaft aus.
Boba ist ein langer, wohlgebildeter junger Mann, von Borabora gebürtig, und
mit Punie, dem dasigen Könige und Eroberer der Inseln Raietea und Taha,
verwandt. Maheine hatte uns oft erzählt, daß Punie sich diesen jungen
Menschen zum Nachfolger ausersehen, und ihm seine einzige Tochter Maiwe-
rua
zugedacht habe, die ungemein schön und erst 12 Jahre alt seyn soll. Boba
war damals ein Errioy und hielt sich die schöne Tänzerin Teina zur Beyschlä-
ferin. Da sie uns schwanger zu seyn dünkte, so unterredeten wir uns mit ihr
über die Gewohnheit, wonach die Kinder der Errioys umgebracht werden müssen.
Das Gespräch war aber nur sehr kurz und ziemlich abgebrochen, theils, weil
es Mühe kostet, diese Insulaner überhaupt, und besonders die Frauenzim-
mer aufmerksam zu erhalten, theils, weil wir noch nicht genug von ihrer Spra-
che wußten, um moralische und philosophische Begriffe darinn auszudrü-
cken. Daher sahe es auch mit unsrer Beredsamkeit ein wenig mißlich aus, und
alles, was wir damit von Teina-Mai herauslocken konnten, war dieses: "daß
"unser Eatua (Gott) in England vielleicht über die Gewohnheiten der Errioys
"böse seyn mögte, daß der ihrige aber kein Mißfallen daran habe. Indessen ver-
"sprach sie, daß, wenn wir aus England kommen, und ihr Kind abholen wollten,
"sie solches am Leben zu erhalten suchen würde; doch verstände sichs, daß wir
"ihr ein Beil, ein Hemd und einige rothe Federn dafür geben müßten." Alles
das sagte sie aber in einem so lachenden Tone, daß wir kaum hoffen durften, es
sey ihr Ernst. Auch war es umsonst, länger mit ihr davon zu sprechen; denn
sie verfiel unaufhaltsam von einen Gegenstand auf den andern, und wir mußten
froh seyn, daß sie uns nur so lange hatte anhören wollen.

Nachmittags giengen wir ans Land, um einem Dramatischen Tanze bey-
zuwohnen, in welchem Poyadua, Orea's Tochter, sich sollte sehen lassen.
Die Anzahl der versammleten Zuschauer war sehr beträchtlich; denn auf dieses
Schauspiel wird hier viel gehalten. Die Tänzerin legte bey dieser Gelegenheit von
ihrer schon bekannten Geschicklichkeit einen neuen Beweis ab, und fand bey allen
Europäern den größten Beyfall. Die Zwischenspiele wurden durch Mannspersonen

Forſter’s Reiſe um die Welt
1774.
May.
nehmen Beſuch auf dem Schiffe. Orea und ſeine Familie, Boba, der Vice-
Koͤnig dieſer Inſel, O-Taha, und Teina-Mai die ſchoͤne Taͤnzerin, deren ich
ſchon im erſten Theile S. 303. gedacht habe, machten unſre Geſellſchaft aus.
Boba iſt ein langer, wohlgebildeter junger Mann, von Borabora gebuͤrtig, und
mit Punie, dem daſigen Koͤnige und Eroberer der Inſeln Raietea und Taha,
verwandt. Maheine hatte uns oft erzaͤhlt, daß Punie ſich dieſen jungen
Menſchen zum Nachfolger auserſehen, und ihm ſeine einzige Tochter Maiwe-
rua
zugedacht habe, die ungemein ſchoͤn und erſt 12 Jahre alt ſeyn ſoll. Boba
war damals ein Errioy und hielt ſich die ſchoͤne Taͤnzerin Teina zur Beyſchlaͤ-
ferin. Da ſie uns ſchwanger zu ſeyn duͤnkte, ſo unterredeten wir uns mit ihr
uͤber die Gewohnheit, wonach die Kinder der Errioys umgebracht werden muͤſſen.
Das Geſpraͤch war aber nur ſehr kurz und ziemlich abgebrochen, theils, weil
es Muͤhe koſtet, dieſe Inſulaner uͤberhaupt, und beſonders die Frauenzim-
mer aufmerkſam zu erhalten, theils, weil wir noch nicht genug von ihrer Spra-
che wußten, um moraliſche und philoſophiſche Begriffe darinn auszudruͤ-
cken. Daher ſahe es auch mit unſrer Beredſamkeit ein wenig mißlich aus, und
alles, was wir damit von Teina-Mai herauslocken konnten, war dieſes: „daß
„unſer Eatua (Gott) in England vielleicht uͤber die Gewohnheiten der Errioys
„boͤſe ſeyn moͤgte, daß der ihrige aber kein Mißfallen daran habe. Indeſſen ver-
„ſprach ſie, daß, wenn wir aus England kommen, und ihr Kind abholen wollten,
„ſie ſolches am Leben zu erhalten ſuchen wuͤrde; doch verſtaͤnde ſichs, daß wir
„ihr ein Beil, ein Hemd und einige rothe Federn dafuͤr geben muͤßten.„ Alles
das ſagte ſie aber in einem ſo lachenden Tone, daß wir kaum hoffen durften, es
ſey ihr Ernſt. Auch war es umſonſt, laͤnger mit ihr davon zu ſprechen; denn
ſie verfiel unaufhaltſam von einen Gegenſtand auf den andern, und wir mußten
froh ſeyn, daß ſie uns nur ſo lange hatte anhoͤren wollen.

Nachmittags giengen wir ans Land, um einem Dramatiſchen Tanze bey-
zuwohnen, in welchem Poyadua, Orea’s Tochter, ſich ſollte ſehen laſſen.
Die Anzahl der verſammleten Zuſchauer war ſehr betraͤchtlich; denn auf dieſes
Schauſpiel wird hier viel gehalten. Die Taͤnzerin legte bey dieſer Gelegenheit von
ihrer ſchon bekannten Geſchicklichkeit einen neuen Beweis ab, und fand bey allen
Europaͤern den groͤßten Beyfall. Die Zwiſchenſpiele wurden durch Mannsperſonen

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[106/0118] Forſter’s Reiſe um die Welt nehmen Beſuch auf dem Schiffe. Orea und ſeine Familie, Boba, der Vice- Koͤnig dieſer Inſel, O-Taha, und Teina-Mai die ſchoͤne Taͤnzerin, deren ich ſchon im erſten Theile S. 303. gedacht habe, machten unſre Geſellſchaft aus. Boba iſt ein langer, wohlgebildeter junger Mann, von Borabora gebuͤrtig, und mit Punie, dem daſigen Koͤnige und Eroberer der Inſeln Raietea und Taha, verwandt. Maheine hatte uns oft erzaͤhlt, daß Punie ſich dieſen jungen Menſchen zum Nachfolger auserſehen, und ihm ſeine einzige Tochter Maiwe- rua zugedacht habe, die ungemein ſchoͤn und erſt 12 Jahre alt ſeyn ſoll. Boba war damals ein Errioy und hielt ſich die ſchoͤne Taͤnzerin Teina zur Beyſchlaͤ- ferin. Da ſie uns ſchwanger zu ſeyn duͤnkte, ſo unterredeten wir uns mit ihr uͤber die Gewohnheit, wonach die Kinder der Errioys umgebracht werden muͤſſen. Das Geſpraͤch war aber nur ſehr kurz und ziemlich abgebrochen, theils, weil es Muͤhe koſtet, dieſe Inſulaner uͤberhaupt, und beſonders die Frauenzim- mer aufmerkſam zu erhalten, theils, weil wir noch nicht genug von ihrer Spra- che wußten, um moraliſche und philoſophiſche Begriffe darinn auszudruͤ- cken. Daher ſahe es auch mit unſrer Beredſamkeit ein wenig mißlich aus, und alles, was wir damit von Teina-Mai herauslocken konnten, war dieſes: „daß „unſer Eatua (Gott) in England vielleicht uͤber die Gewohnheiten der Errioys „boͤſe ſeyn moͤgte, daß der ihrige aber kein Mißfallen daran habe. Indeſſen ver- „ſprach ſie, daß, wenn wir aus England kommen, und ihr Kind abholen wollten, „ſie ſolches am Leben zu erhalten ſuchen wuͤrde; doch verſtaͤnde ſichs, daß wir „ihr ein Beil, ein Hemd und einige rothe Federn dafuͤr geben muͤßten.„ Alles das ſagte ſie aber in einem ſo lachenden Tone, daß wir kaum hoffen durften, es ſey ihr Ernſt. Auch war es umſonſt, laͤnger mit ihr davon zu ſprechen; denn ſie verfiel unaufhaltſam von einen Gegenſtand auf den andern, und wir mußten froh ſeyn, daß ſie uns nur ſo lange hatte anhoͤren wollen. 1774. May. Nachmittags giengen wir ans Land, um einem Dramatiſchen Tanze bey- zuwohnen, in welchem Poyadua, Orea’s Tochter, ſich ſollte ſehen laſſen. Die Anzahl der verſammleten Zuſchauer war ſehr betraͤchtlich; denn auf dieſes Schauſpiel wird hier viel gehalten. Die Taͤnzerin legte bey dieſer Gelegenheit von ihrer ſchon bekannten Geſchicklichkeit einen neuen Beweis ab, und fand bey allen Europaͤern den groͤßten Beyfall. Die Zwiſchenſpiele wurden durch Mannsperſonen

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Zitationshilfe: Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 2. Berlin, 1780, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise02_1780/118>, abgerufen am 12.05.2024.