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Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778.

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Forster's Reise um die Welt
1773.
May.
ten mag. Da die Neu Seeländer fanden, daß sie nicht wohlfeiler und leichter
zu eisernem Geräthe kommen konnten, als vermittelst dieses niederträchtigen Ge-
werbes; so liefen sie bald genug im ganzen Schiffe herum und bothen ihre Töchter
und Schwestern ohne Unterschied feil. Den verheiratheten Weibern aber, ver-
statteten sie, so viel wir sehen konnten, nie die Erlaubniß, sich auf ähnliche Weise
mit unsern Matrosen abzugeben. Ihre Begriffe von weiblicher Keuschheit sind in
diesem Betracht so sehr von den unsrigen verschieden, daß ein unverheirathetes
Mädchen viele Liebhaber begünstigen kann, ohne dadurch im mindesten an ihrer
Ehre zu leiden. So bald sie aber heirathen, wird die unverbrüchlichste Beob-
achtung ehelicher Treue von ihnen verlangt. Da sie sich solchergestalt, aus
der Enthaltsamkeit unverheyratheter Frauenspersonen nichts machen; so wird
man vielleicht denken, die Bekanntschaft mit ausschweifenden Europäern könne den
moralischen Character dieses Volks eben nicht verschlimmert haben: Allein
wir haben alle Ursach zu vermuthen, daß sich die Neu-Seeländer zu einem der-
gleichen schändlichen Mädchen-Handel nur seitdem erst erniedrigt hatten, seit-
dem vermittelst des Eisengeräthes neue Bedürfnisse unter ihnen waren veranlaßt
worden. Nun diese einmal statt fanden, verfielen sie erst, zu Befriedigung
derselben, auf Handlungen, an welche sie zuvor nie gedacht haben mochten und
die nach unsern Begriffen auch nicht einmal mit einem Schatten von Ehre
und Empfindsamkeit bestehen können.

Es ist schon Unglücks genug, daß alle unsre Entdeckungen so viel unschuldigen
Menschen haben das Leben kosten müssen. Allein, so hart das auch für die kleinen, un-
gesitteten Völkerschaften seyn mag, welche von Europäern aufgesucht worden
sind, so ists doch warlich nur eine Kleinigkeit in Vergleich mit dem unersetzlichen
Schaden, den ihnen diese durch den Umsturz ihrer sittlichen Grundsätze zugefügt
haben. Wäre jenes Uebel gewissermaßen dadurch wieder gut gemacht, daß man
sie wahrhaft nützliche Dinge gelehret oder irgend eine unmoralische und ver-
derbliche Gewohnheit unter ihnen ausgerottet hätte; so könnten wir uns wenig-
stens mit dem Gedanken trösten, daß sie auf einer Seite wieder gewonnen hätten,
was sie auf der andern verlohren haben mögten. So aber besorge ich leyder,
daß unsre Bekantschaft den Einwohnern der Süd-See durchaus nachtheilig ge-
wesen ist; und ich bin der Meynung, daß gerade diejenigen Völkerschaften am be-

sten

Forſter’s Reiſe um die Welt
1773.
May.
ten mag. Da die Neu Seelaͤnder fanden, daß ſie nicht wohlfeiler und leichter
zu eiſernem Geraͤthe kommen konnten, als vermittelſt dieſes niedertraͤchtigen Ge-
werbes; ſo liefen ſie bald genug im ganzen Schiffe herum und bothen ihre Toͤchter
und Schweſtern ohne Unterſchied feil. Den verheiratheten Weibern aber, ver-
ſtatteten ſie, ſo viel wir ſehen konnten, nie die Erlaubniß, ſich auf aͤhnliche Weiſe
mit unſern Matroſen abzugeben. Ihre Begriffe von weiblicher Keuſchheit ſind in
dieſem Betracht ſo ſehr von den unſrigen verſchieden, daß ein unverheirathetes
Maͤdchen viele Liebhaber beguͤnſtigen kann, ohne dadurch im mindeſten an ihrer
Ehre zu leiden. So bald ſie aber heirathen, wird die unverbruͤchlichſte Beob-
achtung ehelicher Treue von ihnen verlangt. Da ſie ſich ſolchergeſtalt, aus
der Enthaltſamkeit unverheyratheter Frauensperſonen nichts machen; ſo wird
man vielleicht denken, die Bekanntſchaft mit ausſchweifenden Europaͤern koͤnne den
moraliſchen Character dieſes Volks eben nicht verſchlimmert haben: Allein
wir haben alle Urſach zu vermuthen, daß ſich die Neu-Seelaͤnder zu einem der-
gleichen ſchaͤndlichen Maͤdchen-Handel nur ſeitdem erſt erniedrigt hatten, ſeit-
dem vermittelſt des Eiſengeraͤthes neue Beduͤrfniſſe unter ihnen waren veranlaßt
worden. Nun dieſe einmal ſtatt fanden, verfielen ſie erſt, zu Befriedigung
derſelben, auf Handlungen, an welche ſie zuvor nie gedacht haben mochten und
die nach unſern Begriffen auch nicht einmal mit einem Schatten von Ehre
und Empfindſamkeit beſtehen koͤnnen.

Es iſt ſchon Ungluͤcks genug, daß alle unſre Entdeckungen ſo viel unſchuldigen
Menſchen haben das Leben koſten muͤſſen. Allein, ſo hart das auch fuͤr die kleinen, un-
geſitteten Voͤlkerſchaften ſeyn mag, welche von Europaͤern aufgeſucht worden
ſind, ſo iſts doch warlich nur eine Kleinigkeit in Vergleich mit dem unerſetzlichen
Schaden, den ihnen dieſe durch den Umſturz ihrer ſittlichen Grundſaͤtze zugefuͤgt
haben. Waͤre jenes Uebel gewiſſermaßen dadurch wieder gut gemacht, daß man
ſie wahrhaft nuͤtzliche Dinge gelehret oder irgend eine unmoraliſche und ver-
derbliche Gewohnheit unter ihnen ausgerottet haͤtte; ſo koͤnnten wir uns wenig-
ſtens mit dem Gedanken troͤſten, daß ſie auf einer Seite wieder gewonnen haͤtten,
was ſie auf der andern verlohren haben moͤgten. So aber beſorge ich leyder,
daß unſre Bekantſchaft den Einwohnern der Suͤd-See durchaus nachtheilig ge-
weſen iſt; und ich bin der Meynung, daß gerade diejenigen Voͤlkerſchaften am be-

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[160/0211] Forſter’s Reiſe um die Welt ten mag. Da die Neu Seelaͤnder fanden, daß ſie nicht wohlfeiler und leichter zu eiſernem Geraͤthe kommen konnten, als vermittelſt dieſes niedertraͤchtigen Ge- werbes; ſo liefen ſie bald genug im ganzen Schiffe herum und bothen ihre Toͤchter und Schweſtern ohne Unterſchied feil. Den verheiratheten Weibern aber, ver- ſtatteten ſie, ſo viel wir ſehen konnten, nie die Erlaubniß, ſich auf aͤhnliche Weiſe mit unſern Matroſen abzugeben. Ihre Begriffe von weiblicher Keuſchheit ſind in dieſem Betracht ſo ſehr von den unſrigen verſchieden, daß ein unverheirathetes Maͤdchen viele Liebhaber beguͤnſtigen kann, ohne dadurch im mindeſten an ihrer Ehre zu leiden. So bald ſie aber heirathen, wird die unverbruͤchlichſte Beob- achtung ehelicher Treue von ihnen verlangt. Da ſie ſich ſolchergeſtalt, aus der Enthaltſamkeit unverheyratheter Frauensperſonen nichts machen; ſo wird man vielleicht denken, die Bekanntſchaft mit ausſchweifenden Europaͤern koͤnne den moraliſchen Character dieſes Volks eben nicht verſchlimmert haben: Allein wir haben alle Urſach zu vermuthen, daß ſich die Neu-Seelaͤnder zu einem der- gleichen ſchaͤndlichen Maͤdchen-Handel nur ſeitdem erſt erniedrigt hatten, ſeit- dem vermittelſt des Eiſengeraͤthes neue Beduͤrfniſſe unter ihnen waren veranlaßt worden. Nun dieſe einmal ſtatt fanden, verfielen ſie erſt, zu Befriedigung derſelben, auf Handlungen, an welche ſie zuvor nie gedacht haben mochten und die nach unſern Begriffen auch nicht einmal mit einem Schatten von Ehre und Empfindſamkeit beſtehen koͤnnen. 1773. May. Es iſt ſchon Ungluͤcks genug, daß alle unſre Entdeckungen ſo viel unſchuldigen Menſchen haben das Leben koſten muͤſſen. Allein, ſo hart das auch fuͤr die kleinen, un- geſitteten Voͤlkerſchaften ſeyn mag, welche von Europaͤern aufgeſucht worden ſind, ſo iſts doch warlich nur eine Kleinigkeit in Vergleich mit dem unerſetzlichen Schaden, den ihnen dieſe durch den Umſturz ihrer ſittlichen Grundſaͤtze zugefuͤgt haben. Waͤre jenes Uebel gewiſſermaßen dadurch wieder gut gemacht, daß man ſie wahrhaft nuͤtzliche Dinge gelehret oder irgend eine unmoraliſche und ver- derbliche Gewohnheit unter ihnen ausgerottet haͤtte; ſo koͤnnten wir uns wenig- ſtens mit dem Gedanken troͤſten, daß ſie auf einer Seite wieder gewonnen haͤtten, was ſie auf der andern verlohren haben moͤgten. So aber beſorge ich leyder, daß unſre Bekantſchaft den Einwohnern der Suͤd-See durchaus nachtheilig ge- weſen iſt; und ich bin der Meynung, daß gerade diejenigen Voͤlkerſchaften am be- ſten

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Zitationshilfe: Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_reise01_1778/211>, abgerufen am 22.11.2024.