Forster, Georg: Johann Reinhold Forster's [...] Reise um die Welt. Bd. 1. Berlin, 1778.in den Jahren 1772 bis 1775. bald wir nemlich einen anschossen, so spieen sie eine Menge von zähem schlei-1772.Decem- ber. michten Fras aus, der dem Ansehen nach erst frisch verdauet war, und den die übrigen gleichwohl mit einer Gierigkeit verschlungen, die langes Fasten und gros- sen Hunger anzudeuten schien. Es muß daher wohl allerhand Blubber-Arten (Molluscä) in diesen Eis-Seen geben, die bey schönem Wetter an die Oberfläche herauf kommen und dann dem gefräßigen Vogel zum Futter dienen. Uebrigens war es uns angenehm, Gegenstände zu finden, die zu solchen kleinen Betrachtungen Anlaß gaben, wenigstens dienten sie uns bey der traurigen Einförmigkeit, womit wir sehr lange unangenehme Stunden, Tage und Monathe in diesem öden Theil der Welt zubringen mußten, dann und wann zu einer kleinen Ab- wechselung. Fast immer in dicke Nebel eingehüllt; Regen, Hagel und Schnee, die um die Wette mit einander abwechselten; der Mitte des Sommers ohnge- achtet eine bis zum Gefrier-Punct des Thermometers kalte Luft; rund um uns her unzählbare Eis-Inseln, gegen welche wir stets Gefahr liefen zu scheitern; unsre tägliche Kost nichts als Eingesalzenes, wodurch, nebst Frost und Nässe, unser ganzes Blut in Unordnung gerieth. ... Dies zusammengenommen, waren Un- annehmlichkeiten, die uns allen den sehnlichen Wunsch abnöthigten, daß wir end- lich in eine bessere Lage und mildere Himmelsgegend kommen mögten. Zum Glück waren unsre Matrosen, die bey der Abreise von England aus lauter gesunden frischen Leuten bestanden, aller Mühseligkeiten ohnerachtet noch immer guten Muthes und vom Scorbute frey. Dies letztere hatten sie sonder Zweifel den Vorbauungs- oder sogenannten prophylactischen Mitteln, vornemlich den Bouil- lon-Kuchen oder Gallert-artig eingekochter Fleischbrühe *) und dem Sauerkraute *) Dergleichen Bouillon-Kuchen werden zu London und in andern See-Häven Englands,
unter dem Namen portable Soup in erstaunender Menge aus frischem Fleisch, be- sonders Rindfleisch, Knochen und andern Abfall verfertigt, zur Dicke eines braunen Gal- lerts oder Leims eingekocht, und denn in kleine Kuchenformen gegossen. Sie hatten die Farbe und Härte von Tischler-Leim, wozu sie auch gebraucht werden können. Sie halten sich viele Jahre lang, wenn sie gegen Nässe und Schimmel verwahrt werden, und von auf langen, besonders See Reisen, wo es am frischen Fleisch fehlt, sehr bequem und von großen Nutzen. Ein oder zwey Loth davon, zerschnitten und in heißen Wasser zerlassen oder aufgekocht, geben für eine Person eine gute und kräftige Brühe oder Suppe. Sie werden Pfundweis und zu sehr billigen Preisen verkauft, weil Knochen und Abfall dazu gebraucht werden können. in den Jahren 1772 bis 1775. bald wir nemlich einen anſchoſſen, ſo ſpieen ſie eine Menge von zaͤhem ſchlei-1772.Decem- ber. michten Fras aus, der dem Anſehen nach erſt friſch verdauet war, und den die uͤbrigen gleichwohl mit einer Gierigkeit verſchlungen, die langes Faſten und groſ- ſen Hunger anzudeuten ſchien. Es muß daher wohl allerhand Blubber-Arten (Molluſcaͤ) in dieſen Eis-Seen geben, die bey ſchoͤnem Wetter an die Oberflaͤche herauf kommen und dann dem gefraͤßigen Vogel zum Futter dienen. Uebrigens war es uns angenehm, Gegenſtaͤnde zu finden, die zu ſolchen kleinen Betrachtungen Anlaß gaben, wenigſtens dienten ſie uns bey der traurigen Einfoͤrmigkeit, womit wir ſehr lange unangenehme Stunden, Tage und Monathe in dieſem oͤden Theil der Welt zubringen mußten, dann und wann zu einer kleinen Ab- wechſelung. Faſt immer in dicke Nebel eingehuͤllt; Regen, Hagel und Schnee, die um die Wette mit einander abwechſelten; der Mitte des Sommers ohnge- achtet eine bis zum Gefrier-Punct des Thermometers kalte Luft; rund um uns her unzaͤhlbare Eis-Inſeln, gegen welche wir ſtets Gefahr liefen zu ſcheitern; unſre taͤgliche Koſt nichts als Eingeſalzenes, wodurch, nebſt Froſt und Naͤſſe, unſer ganzes Blut in Unordnung gerieth. … Dies zuſammengenommen, waren Un- annehmlichkeiten, die uns allen den ſehnlichen Wunſch abnoͤthigten, daß wir end- lich in eine beſſere Lage und mildere Himmelsgegend kommen moͤgten. Zum Gluͤck waren unſre Matroſen, die bey der Abreiſe von England aus lauter geſunden friſchen Leuten beſtanden, aller Muͤhſeligkeiten ohnerachtet noch immer guten Muthes und vom Scorbute frey. Dies letztere hatten ſie ſonder Zweifel den Vorbauungs- oder ſogenannten prophylactiſchen Mitteln, vornemlich den Bouil- lon-Kuchen oder Gallert-artig eingekochter Fleiſchbruͤhe *) und dem Sauerkraute *) Dergleichen Bouillon-Kuchen werden zu London und in andern See-Haͤven Englands,
unter dem Namen portable Soup in erſtaunender Menge aus friſchem Fleiſch, be- ſonders Rindfleiſch, Knochen und andern Abfall verfertigt, zur Dicke eines braunen Gal- lerts oder Leims eingekocht, und denn in kleine Kuchenformen gegoſſen. Sie hatten die Farbe und Haͤrte von Tiſchler-Leim, wozu ſie auch gebraucht werden koͤnnen. Sie halten ſich viele Jahre lang, wenn ſie gegen Naͤſſe und Schimmel verwahrt werden, und von auf langen, beſonders See Reiſen, wo es am friſchen Fleiſch fehlt, ſehr bequem und von großen Nutzen. Ein oder zwey Loth davon, zerſchnitten und in heißen Waſſer zerlaſſen oder aufgekocht, geben fuͤr eine Perſon eine gute und kraͤftige Bruͤhe oder Suppe. Sie werden Pfundweis und zu ſehr billigen Preiſen verkauft, weil Knochen und Abfall dazu gebraucht werden koͤnnen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0124" n="79"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">in den Jahren 1772 bis 1775.</hi></fw><lb/> bald wir nemlich einen anſchoſſen, ſo ſpieen ſie eine Menge von zaͤhem ſchlei-<note place="right">1772.<lb/> Decem-<lb/> ber.</note><lb/> michten Fras aus, der dem Anſehen nach erſt friſch verdauet war, und den die<lb/> uͤbrigen gleichwohl mit einer Gierigkeit verſchlungen, die langes Faſten und groſ-<lb/> ſen Hunger anzudeuten ſchien. Es muß daher wohl allerhand Blubber-Arten<lb/> (Molluſcaͤ) in dieſen Eis-Seen geben, die bey ſchoͤnem Wetter an die Oberflaͤche<lb/> herauf kommen und dann dem gefraͤßigen Vogel zum Futter dienen. Uebrigens war<lb/> es uns angenehm, Gegenſtaͤnde zu finden, die zu ſolchen kleinen Betrachtungen<lb/> Anlaß gaben, wenigſtens dienten ſie uns bey der traurigen Einfoͤrmigkeit, womit<lb/> wir ſehr lange unangenehme Stunden, Tage und Monathe in dieſem oͤden<lb/> Theil der Welt zubringen mußten, dann und wann zu einer kleinen Ab-<lb/> wechſelung. Faſt immer in dicke Nebel eingehuͤllt; Regen, Hagel und Schnee,<lb/> die um die Wette mit einander abwechſelten; der Mitte des Sommers ohnge-<lb/> achtet eine bis zum Gefrier-Punct des Thermometers kalte Luft; rund um uns<lb/> her unzaͤhlbare Eis-Inſeln, gegen welche wir ſtets Gefahr liefen zu ſcheitern;<lb/> unſre taͤgliche Koſt nichts als Eingeſalzenes, wodurch, nebſt Froſt und Naͤſſe, unſer<lb/> ganzes Blut in Unordnung gerieth. … Dies zuſammengenommen, waren Un-<lb/> annehmlichkeiten, die uns allen den ſehnlichen Wunſch abnoͤthigten, daß wir end-<lb/> lich in eine beſſere Lage und mildere Himmelsgegend kommen moͤgten. Zum Gluͤck<lb/> waren unſre Matroſen, die bey der Abreiſe von <placeName>England</placeName> aus lauter geſunden<lb/> friſchen Leuten beſtanden, aller Muͤhſeligkeiten ohnerachtet noch immer guten<lb/> Muthes und vom Scorbute frey. Dies letztere hatten ſie ſonder Zweifel den<lb/> Vorbauungs- oder ſogenannten prophylactiſchen Mitteln, vornemlich den Bouil-<lb/> lon-Kuchen oder Gallert-artig eingekochter Fleiſchbruͤhe <note xml:id="note-0124" next="#note-0125" place="foot" n="*)">Dergleichen Bouillon-Kuchen werden zu <placeName>London</placeName> und in andern See-Haͤven <placeName>Englands</placeName>,<lb/> unter dem Namen <hi rendition="#aq">portable Soup</hi> in erſtaunender Menge aus friſchem Fleiſch, be-<lb/> ſonders Rindfleiſch, Knochen und andern Abfall verfertigt, zur Dicke eines braunen Gal-<lb/> lerts oder Leims eingekocht, und denn in kleine Kuchenformen gegoſſen. Sie hatten die Farbe<lb/> und Haͤrte von Tiſchler-Leim, wozu ſie auch gebraucht werden koͤnnen. Sie halten ſich viele<lb/> Jahre lang, wenn ſie gegen Naͤſſe und Schimmel verwahrt werden, und von auf langen,<lb/> beſonders See Reiſen, wo es am friſchen Fleiſch fehlt, ſehr bequem und von großen Nutzen.<lb/> Ein oder zwey Loth davon, zerſchnitten und in heißen Waſſer zerlaſſen oder aufgekocht,<lb/> geben fuͤr eine Perſon eine gute und kraͤftige Bruͤhe oder Suppe. Sie werden Pfundweis und<lb/> zu ſehr billigen Preiſen verkauft, weil Knochen und Abfall dazu gebraucht werden koͤnnen.</note> und dem Sauerkraute<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [79/0124]
in den Jahren 1772 bis 1775.
bald wir nemlich einen anſchoſſen, ſo ſpieen ſie eine Menge von zaͤhem ſchlei-
michten Fras aus, der dem Anſehen nach erſt friſch verdauet war, und den die
uͤbrigen gleichwohl mit einer Gierigkeit verſchlungen, die langes Faſten und groſ-
ſen Hunger anzudeuten ſchien. Es muß daher wohl allerhand Blubber-Arten
(Molluſcaͤ) in dieſen Eis-Seen geben, die bey ſchoͤnem Wetter an die Oberflaͤche
herauf kommen und dann dem gefraͤßigen Vogel zum Futter dienen. Uebrigens war
es uns angenehm, Gegenſtaͤnde zu finden, die zu ſolchen kleinen Betrachtungen
Anlaß gaben, wenigſtens dienten ſie uns bey der traurigen Einfoͤrmigkeit, womit
wir ſehr lange unangenehme Stunden, Tage und Monathe in dieſem oͤden
Theil der Welt zubringen mußten, dann und wann zu einer kleinen Ab-
wechſelung. Faſt immer in dicke Nebel eingehuͤllt; Regen, Hagel und Schnee,
die um die Wette mit einander abwechſelten; der Mitte des Sommers ohnge-
achtet eine bis zum Gefrier-Punct des Thermometers kalte Luft; rund um uns
her unzaͤhlbare Eis-Inſeln, gegen welche wir ſtets Gefahr liefen zu ſcheitern;
unſre taͤgliche Koſt nichts als Eingeſalzenes, wodurch, nebſt Froſt und Naͤſſe, unſer
ganzes Blut in Unordnung gerieth. … Dies zuſammengenommen, waren Un-
annehmlichkeiten, die uns allen den ſehnlichen Wunſch abnoͤthigten, daß wir end-
lich in eine beſſere Lage und mildere Himmelsgegend kommen moͤgten. Zum Gluͤck
waren unſre Matroſen, die bey der Abreiſe von England aus lauter geſunden
friſchen Leuten beſtanden, aller Muͤhſeligkeiten ohnerachtet noch immer guten
Muthes und vom Scorbute frey. Dies letztere hatten ſie ſonder Zweifel den
Vorbauungs- oder ſogenannten prophylactiſchen Mitteln, vornemlich den Bouil-
lon-Kuchen oder Gallert-artig eingekochter Fleiſchbruͤhe *) und dem Sauerkraute
1772.
Decem-
ber.
*) Dergleichen Bouillon-Kuchen werden zu London und in andern See-Haͤven Englands,
unter dem Namen portable Soup in erſtaunender Menge aus friſchem Fleiſch, be-
ſonders Rindfleiſch, Knochen und andern Abfall verfertigt, zur Dicke eines braunen Gal-
lerts oder Leims eingekocht, und denn in kleine Kuchenformen gegoſſen. Sie hatten die Farbe
und Haͤrte von Tiſchler-Leim, wozu ſie auch gebraucht werden koͤnnen. Sie halten ſich viele
Jahre lang, wenn ſie gegen Naͤſſe und Schimmel verwahrt werden, und von auf langen,
beſonders See Reiſen, wo es am friſchen Fleiſch fehlt, ſehr bequem und von großen Nutzen.
Ein oder zwey Loth davon, zerſchnitten und in heißen Waſſer zerlaſſen oder aufgekocht,
geben fuͤr eine Perſon eine gute und kraͤftige Bruͤhe oder Suppe. Sie werden Pfundweis und
zu ſehr billigen Preiſen verkauft, weil Knochen und Abfall dazu gebraucht werden koͤnnen.
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