Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Forster, Georg: Ansichten vom Niederrhein. Bd. 3. Berlin, 1794.

Bild:
<< vorherige Seite

detste Christuskopf, den ich je gesehen
habe. Man erstaunt, daß der Künstler die-
ses Interesse unter den übrigen nachtheili-
gen Umständen der darzustellenden Ge-
schichte erwecken konnte. Die Stellung un-
ter dem schweren Holze, das Christus trägt;
die unmalerische Figur dieses Holzes selbst;
die Entstellung der Gesichtszüge durch die
livide Farbe, welche von den Wunden der
Dornenkrone verursacht wird; der Strick
um den Leib, der auf der Erde schleppt: --
alles scheint sich verschworen zu haben,
den edlen Gegenstand unter den ungünstig-
sten Verhältnissen so unedel als möglich
erscheinen zu lassen. Dennoch hat der Geist
des Künstlers gesiegt, wo er ungefesselt
blieb. Schade nur, daß er gerade diesen
Zeitpunkt wählte! Doch wie oft ist es der
Fall, daß der Künstler wählen darf? Ein
Mönch oder ein Pfaffe, oder, was noch ärger

detste Christuskopf, den ich je gesehen
habe. Man erstaunt, daß der Künstler die-
ses Interesse unter den übrigen nachtheili-
gen Umständen der darzustellenden Ge-
schichte erwecken konnte. Die Stellung un-
ter dem schweren Holze, das Christus trägt;
die unmalerische Figur dieses Holzes selbst;
die Entstellung der Gesichtszüge durch die
livide Farbe, welche von den Wunden der
Dornenkrone verursacht wird; der Strick
um den Leib, der auf der Erde schleppt: —
alles scheint sich verschworen zu haben,
den edlen Gegenstand unter den ungünstig-
sten Verhältnissen so unedel als möglich
erscheinen zu lassen. Dennoch hat der Geist
des Künstlers gesiegt, wo er ungefesselt
blieb. Schade nur, daß er gerade diesen
Zeitpunkt wählte! Doch wie oft ist es der
Fall, daß der Künstler wählen darf? Ein
Mönch oder ein Pfaffe, oder, was noch ärger

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0262" n="239"/>
detste Christuskopf, den ich je gesehen<lb/>
habe. Man erstaunt, daß der Künstler die-<lb/>
ses Interesse unter den übrigen nachtheili-<lb/>
gen Umständen der darzustellenden Ge-<lb/>
schichte erwecken konnte. Die Stellung un-<lb/>
ter dem schweren Holze, das Christus trägt;<lb/>
die unmalerische Figur dieses Holzes selbst;<lb/>
die Entstellung der Gesichtszüge durch die<lb/>
livide Farbe, welche von den Wunden der<lb/>
Dornenkrone verursacht wird; der Strick<lb/>
um den Leib, der auf der Erde schleppt: &#x2014;<lb/>
alles scheint sich verschworen zu haben,<lb/>
den edlen Gegenstand unter den ungünstig-<lb/>
sten Verhältnissen so unedel als möglich<lb/>
erscheinen zu lassen. Dennoch hat der Geist<lb/>
des Künstlers gesiegt, wo er ungefesselt<lb/>
blieb. Schade nur, daß er gerade diesen<lb/>
Zeitpunkt wählte! Doch wie oft ist es der<lb/>
Fall, daß der Künstler wählen darf? Ein<lb/>
Mönch oder ein Pfaffe, oder, was noch ärger<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[239/0262] detste Christuskopf, den ich je gesehen habe. Man erstaunt, daß der Künstler die- ses Interesse unter den übrigen nachtheili- gen Umständen der darzustellenden Ge- schichte erwecken konnte. Die Stellung un- ter dem schweren Holze, das Christus trägt; die unmalerische Figur dieses Holzes selbst; die Entstellung der Gesichtszüge durch die livide Farbe, welche von den Wunden der Dornenkrone verursacht wird; der Strick um den Leib, der auf der Erde schleppt: — alles scheint sich verschworen zu haben, den edlen Gegenstand unter den ungünstig- sten Verhältnissen so unedel als möglich erscheinen zu lassen. Dennoch hat der Geist des Künstlers gesiegt, wo er ungefesselt blieb. Schade nur, daß er gerade diesen Zeitpunkt wählte! Doch wie oft ist es der Fall, daß der Künstler wählen darf? Ein Mönch oder ein Pfaffe, oder, was noch ärger

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Der dritte Band von Johann Georg Forsters Ansicht… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_niederrhein03_1794
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_niederrhein03_1794/262
Zitationshilfe: Forster, Georg: Ansichten vom Niederrhein. Bd. 3. Berlin, 1794, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_niederrhein03_1794/262>, abgerufen am 22.11.2024.