detste Christuskopf, den ich je gesehen habe. Man erstaunt, daß der Künstler die- ses Interesse unter den übrigen nachtheili- gen Umständen der darzustellenden Ge- schichte erwecken konnte. Die Stellung un- ter dem schweren Holze, das Christus trägt; die unmalerische Figur dieses Holzes selbst; die Entstellung der Gesichtszüge durch die livide Farbe, welche von den Wunden der Dornenkrone verursacht wird; der Strick um den Leib, der auf der Erde schleppt: -- alles scheint sich verschworen zu haben, den edlen Gegenstand unter den ungünstig- sten Verhältnissen so unedel als möglich erscheinen zu lassen. Dennoch hat der Geist des Künstlers gesiegt, wo er ungefesselt blieb. Schade nur, daß er gerade diesen Zeitpunkt wählte! Doch wie oft ist es der Fall, daß der Künstler wählen darf? Ein Mönch oder ein Pfaffe, oder, was noch ärger
detste Christuskopf, den ich je gesehen habe. Man erstaunt, daß der Künstler die- ses Interesse unter den übrigen nachtheili- gen Umständen der darzustellenden Ge- schichte erwecken konnte. Die Stellung un- ter dem schweren Holze, das Christus trägt; die unmalerische Figur dieses Holzes selbst; die Entstellung der Gesichtszüge durch die livide Farbe, welche von den Wunden der Dornenkrone verursacht wird; der Strick um den Leib, der auf der Erde schleppt: — alles scheint sich verschworen zu haben, den edlen Gegenstand unter den ungünstig- sten Verhältnissen so unedel als möglich erscheinen zu lassen. Dennoch hat der Geist des Künstlers gesiegt, wo er ungefesselt blieb. Schade nur, daß er gerade diesen Zeitpunkt wählte! Doch wie oft ist es der Fall, daß der Künstler wählen darf? Ein Mönch oder ein Pfaffe, oder, was noch ärger
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0262"n="239"/>
detste Christuskopf, den ich je gesehen<lb/>
habe. Man erstaunt, daß der Künstler die-<lb/>
ses Interesse unter den übrigen nachtheili-<lb/>
gen Umständen der darzustellenden Ge-<lb/>
schichte erwecken konnte. Die Stellung un-<lb/>
ter dem schweren Holze, das Christus trägt;<lb/>
die unmalerische Figur dieses Holzes selbst;<lb/>
die Entstellung der Gesichtszüge durch die<lb/>
livide Farbe, welche von den Wunden der<lb/>
Dornenkrone verursacht wird; der Strick<lb/>
um den Leib, der auf der Erde schleppt: —<lb/>
alles scheint sich verschworen zu haben,<lb/>
den edlen Gegenstand unter den ungünstig-<lb/>
sten Verhältnissen so unedel als möglich<lb/>
erscheinen zu lassen. Dennoch hat der Geist<lb/>
des Künstlers gesiegt, wo er ungefesselt<lb/>
blieb. Schade nur, daß er gerade diesen<lb/>
Zeitpunkt wählte! Doch wie oft ist es der<lb/>
Fall, daß der Künstler wählen darf? Ein<lb/>
Mönch oder ein Pfaffe, oder, was noch ärger<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[239/0262]
detste Christuskopf, den ich je gesehen
habe. Man erstaunt, daß der Künstler die-
ses Interesse unter den übrigen nachtheili-
gen Umständen der darzustellenden Ge-
schichte erwecken konnte. Die Stellung un-
ter dem schweren Holze, das Christus trägt;
die unmalerische Figur dieses Holzes selbst;
die Entstellung der Gesichtszüge durch die
livide Farbe, welche von den Wunden der
Dornenkrone verursacht wird; der Strick
um den Leib, der auf der Erde schleppt: —
alles scheint sich verschworen zu haben,
den edlen Gegenstand unter den ungünstig-
sten Verhältnissen so unedel als möglich
erscheinen zu lassen. Dennoch hat der Geist
des Künstlers gesiegt, wo er ungefesselt
blieb. Schade nur, daß er gerade diesen
Zeitpunkt wählte! Doch wie oft ist es der
Fall, daß der Künstler wählen darf? Ein
Mönch oder ein Pfaffe, oder, was noch ärger
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Der dritte Band von Johann Georg Forsters Ansicht… [mehr]
Der dritte Band von Johann Georg Forsters Ansichten vom Niederrhein blieb unvollendet. Nach Forsters Tod (10.1.1794) wurden dessen fragmentarische Aufzeichnungen zum dritten Band von Ludwig Ferdinand Huber geordnet und herausgegeben. Ergänzt wurde der Band um einen Anhang, Forsters bereits 1789 geschriebene "Geschichte der Kunst in England" (zuerst erschienen in Johann Wilhelm Archenholz' Annalen der brittischen Geschichte) und den "Artistischen Notizen, in London aufgezeichnet" im Anhang. Hubers Vorwort zum dritten Band ist datiert auf den Juli 1794, der Band erschien noch im selben Jahr.
Forster, Georg: Ansichten vom Niederrhein. Bd. 3. Berlin, 1794, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_niederrhein03_1794/262>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.