Ich will nicht mehr unterscheiden, nicht zergliedern die Gestalten, die Töne, die Farben ihres Himmels und ihrer Erde; Ein Lied, Ein unnennbares, untheilbares Bild ströme sie mir durch Aug' und Ohr, und fülle meine lechzende Seele mit der Wonne, die keine Zunge stammeln kann! Dies ist die allgemeine Zauberei der schönen Na- tur, Allen fühlbar, wenn gleich nicht von Allen erkannt; die wohlthätige Macht, die uns Alle hält und nährt und erfreuet, und deren Wirkungen die Vernunft nicht fassen kann; denn des Genusses Gränze ist Zergliederung des Eindrucks. Dennoch! -- wunderbares Gesetz der Menschenform! -- dennoch sind die Weiseren unter uns glück- lich nur wie ein Kind, das, wenn es die Blume sieht, ihrer lieblichen Gestalt und Farbe einen Augenblick froh wird, sie dann bricht und zerpflückt. Heilige Pfle-
Ich will nicht mehr unterscheiden, nicht zergliedern die Gestalten, die Töne, die Farben ihres Himmels und ihrer Erde; Ein Lied, Ein unnennbares, untheilbares Bild ströme sie mir durch Aug’ und Ohr, und fülle meine lechzende Seele mit der Wonne, die keine Zunge stammeln kann! Dies ist die allgemeine Zauberei der schönen Na- tur, Allen fühlbar, wenn gleich nicht von Allen erkannt; die wohlthätige Macht, die uns Alle hält und nährt und erfreuet, und deren Wirkungen die Vernunft nicht fassen kann; denn des Genusses Gränze ist Zergliederung des Eindrucks. Dennoch! — wunderbares Gesetz der Menschenform! — dennoch sind die Weiseren unter uns glück- lich nur wie ein Kind, das, wenn es die Blume sieht, ihrer lieblichen Gestalt und Farbe einen Augenblick froh wird, sie dann bricht und zerpflückt. Heilige Pfle-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0214"n="191"/>
Ich will nicht mehr unterscheiden, nicht<lb/>
zergliedern die Gestalten, die Töne, die<lb/>
Farben ihres Himmels und ihrer Erde; Ein<lb/>
Lied, Ein unnennbares, untheilbares Bild<lb/>
ströme sie mir durch Aug’ und Ohr, und<lb/>
fülle meine lechzende Seele mit der Wonne,<lb/>
die keine Zunge stammeln kann! Dies ist<lb/>
die allgemeine Zauberei der schönen Na-<lb/>
tur, Allen fühlbar, wenn gleich nicht von<lb/>
Allen erkannt; die wohlthätige Macht, die<lb/>
uns Alle hält und nährt und erfreuet,<lb/>
und deren Wirkungen die Vernunft nicht<lb/>
fassen kann; denn des Genusses Gränze ist<lb/>
Zergliederung des Eindrucks. Dennoch! —<lb/>
wunderbares Gesetz der Menschenform! —<lb/>
dennoch sind die Weiseren unter uns glück-<lb/>
lich nur wie ein Kind, das, wenn es die<lb/>
Blume sieht, ihrer lieblichen Gestalt und<lb/>
Farbe einen Augenblick froh wird, sie<lb/>
dann bricht und zerpflückt. Heilige Pfle-<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[191/0214]
Ich will nicht mehr unterscheiden, nicht
zergliedern die Gestalten, die Töne, die
Farben ihres Himmels und ihrer Erde; Ein
Lied, Ein unnennbares, untheilbares Bild
ströme sie mir durch Aug’ und Ohr, und
fülle meine lechzende Seele mit der Wonne,
die keine Zunge stammeln kann! Dies ist
die allgemeine Zauberei der schönen Na-
tur, Allen fühlbar, wenn gleich nicht von
Allen erkannt; die wohlthätige Macht, die
uns Alle hält und nährt und erfreuet,
und deren Wirkungen die Vernunft nicht
fassen kann; denn des Genusses Gränze ist
Zergliederung des Eindrucks. Dennoch! —
wunderbares Gesetz der Menschenform! —
dennoch sind die Weiseren unter uns glück-
lich nur wie ein Kind, das, wenn es die
Blume sieht, ihrer lieblichen Gestalt und
Farbe einen Augenblick froh wird, sie
dann bricht und zerpflückt. Heilige Pfle-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Der dritte Band von Johann Georg Forsters Ansicht… [mehr]
Der dritte Band von Johann Georg Forsters Ansichten vom Niederrhein blieb unvollendet. Nach Forsters Tod (10.1.1794) wurden dessen fragmentarische Aufzeichnungen zum dritten Band von Ludwig Ferdinand Huber geordnet und herausgegeben. Ergänzt wurde der Band um einen Anhang, Forsters bereits 1789 geschriebene "Geschichte der Kunst in England" (zuerst erschienen in Johann Wilhelm Archenholz' Annalen der brittischen Geschichte) und den "Artistischen Notizen, in London aufgezeichnet" im Anhang. Hubers Vorwort zum dritten Band ist datiert auf den Juli 1794, der Band erschien noch im selben Jahr.
Forster, Georg: Ansichten vom Niederrhein. Bd. 3. Berlin, 1794, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_niederrhein03_1794/214>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.