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Forster, Georg: Ansichten vom Niederrhein. Bd. 2. Berlin, 1791.

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und Kakus vorstellen soll, müsste ich eine
ähnliche Frage an den Künstler thun. Vom
Kakus sieht man den blutenden Hinterkopf,
nicht das Gesicht; woher soll man erfahren,
ob er ein Bösewicht ist, der sein Schicksal
verdient? Kein Zug auf Herkules Gesicht be¬
zeichnet den Rächer der beleidigten Mensch¬
heit. Was unterscheidet hier den Halbgott
von einem Banditen? Ich sehe nur einen
wilden Kerl, der mit beiden Händen eine
Keule über dem Kopfe schwingt, um einem
Unglücklichen, dem er den Fuss in den
Nacken setzt, den letzten Streich zu geben.
Wahrlich, wenn ich Heldenthaten verrichtet
hätte, ich würde mir Meister Annibal's Bio¬
graphie verbitten.

Der alte Perin del Vaga gefällt mir bes¬
ser in seiner santa famiglia; das schönste
Kind küsst eine holde, gute, sanft duldende
Mutter; Elisabeth ist alt, aber nicht widrig,

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und Kakus vorstellen soll, müſste ich eine
ähnliche Frage an den Künstler thun. Vom
Kakus sieht man den blutenden Hinterkopf,
nicht das Gesicht; woher soll man erfahren,
ob er ein Bösewicht ist, der sein Schicksal
verdient? Kein Zug auf Herkules Gesicht be¬
zeichnet den Rächer der beleidigten Mensch¬
heit. Was unterscheidet hier den Halbgott
von einem Banditen? Ich sehe nur einen
wilden Kerl, der mit beiden Händen eine
Keule über dem Kopfe schwingt, um einem
Unglücklichen, dem er den Fuſs in den
Nacken setzt, den letzten Streich zu geben.
Wahrlich, wenn ich Heldenthaten verrichtet
hätte, ich würde mir Meister Annibal’s Bio¬
graphie verbitten.

Der alte Perin del Vaga gefällt mir bes¬
ser in seiner santa famiglia; das schönste
Kind küſst eine holde, gute, sanft duldende
Mutter; Elisabeth ist alt, aber nicht widrig,

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[499/0505] und Kakus vorstellen soll, müſste ich eine ähnliche Frage an den Künstler thun. Vom Kakus sieht man den blutenden Hinterkopf, nicht das Gesicht; woher soll man erfahren, ob er ein Bösewicht ist, der sein Schicksal verdient? Kein Zug auf Herkules Gesicht be¬ zeichnet den Rächer der beleidigten Mensch¬ heit. Was unterscheidet hier den Halbgott von einem Banditen? Ich sehe nur einen wilden Kerl, der mit beiden Händen eine Keule über dem Kopfe schwingt, um einem Unglücklichen, dem er den Fuſs in den Nacken setzt, den letzten Streich zu geben. Wahrlich, wenn ich Heldenthaten verrichtet hätte, ich würde mir Meister Annibal’s Bio¬ graphie verbitten. Der alte Perin del Vaga gefällt mir bes¬ ser in seiner santa famiglia; das schönste Kind küſst eine holde, gute, sanft duldende Mutter; Elisabeth ist alt, aber nicht widrig, I i 2

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Zitationshilfe: Forster, Georg: Ansichten vom Niederrhein. Bd. 2. Berlin, 1791, S. 499. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_niederrhein02_1791/505>, abgerufen am 18.05.2024.