Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Forster, Georg: Ansichten vom Niederrhein. Bd. 1. Berlin, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

Mässigung ist die Tugend, welche unserm
Zeitalter vor allen andern am meisten zu
fehlen scheint. Vielleicht hat es so seyn
müssen, dass gerade jetzt gewaltsame Bewe¬
gungen von einem Extrem zum andern eine
gefährliche Stockung in dem grossen Gange
der Menschheit verhüten; allein was der
Philosoph als unausbleiblich und nothwendig
anerkennt, ist darum in seinen Wirkungen
nicht weniger traurig; und allein von der
ruhigen, bescheidenen, ohne alle äussere
Gewalt, bloss durch Gründe sanft überre¬
denden Vernunft ist Rettung zu erwarten.
Ueberall sind die Leidenschaften aufgeregt,
und wo sie immer Gesetze geben, da ist
jederzeit Gefahr, dass Ungerechtigkeiten eine
Sanktion erhalten, sie mögen gerichtet seyn
gegen welchen Theil der bürgerlichen Ge¬
sellschaft sie wollen. Das Volk ist selten
zurückhaltender oder billiger als der Despot;

R 5

Mäſsigung ist die Tugend, welche unserm
Zeitalter vor allen andern am meisten zu
fehlen scheint. Vielleicht hat es so seyn
müssen, daſs gerade jetzt gewaltsame Bewe¬
gungen von einem Extrem zum andern eine
gefährliche Stockung in dem groſsen Gange
der Menschheit verhüten; allein was der
Philosoph als unausbleiblich und nothwendig
anerkennt, ist darum in seinen Wirkungen
nicht weniger traurig; und allein von der
ruhigen, bescheidenen, ohne alle äuſsere
Gewalt, bloſs durch Gründe sanft überre¬
denden Vernunft ist Rettung zu erwarten.
Ueberall sind die Leidenschaften aufgeregt,
und wo sie immer Gesetze geben, da ist
jederzeit Gefahr, daſs Ungerechtigkeiten eine
Sanktion erhalten, sie mögen gerichtet seyn
gegen welchen Theil der bürgerlichen Ge¬
sellschaft sie wollen. Das Volk ist selten
zurückhaltender oder billiger als der Despot;

R 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0277" n="265"/>
          <p>&#x017F;sigung ist die Tugend, welche unserm<lb/>
Zeitalter vor allen andern am meisten zu<lb/>
fehlen scheint. Vielleicht hat es so seyn<lb/>
müssen, da&#x017F;s gerade jetzt gewaltsame Bewe¬<lb/>
gungen von einem Extrem zum andern eine<lb/>
gefährliche Stockung in dem gro&#x017F;sen Gange<lb/>
der Menschheit verhüten; allein was der<lb/>
Philosoph als unausbleiblich und nothwendig<lb/>
anerkennt, ist darum in seinen Wirkungen<lb/>
nicht weniger traurig; und allein von der<lb/>
ruhigen, bescheidenen, ohne alle äu&#x017F;sere<lb/>
Gewalt, blo&#x017F;s durch Gründe sanft überre¬<lb/>
denden Vernunft ist Rettung zu erwarten.<lb/>
Ueberall sind die Leidenschaften aufgeregt,<lb/>
und wo <hi rendition="#i">sie</hi> immer Gesetze geben, da ist<lb/>
jederzeit Gefahr, da&#x017F;s Ungerechtigkeiten eine<lb/>
Sanktion erhalten, sie mögen gerichtet seyn<lb/>
gegen welchen Theil der bürgerlichen Ge¬<lb/>
sellschaft sie wollen. Das Volk ist selten<lb/>
zurückhaltender oder billiger als der Despot;<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">R 5<lb/></fw>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[265/0277] Mäſsigung ist die Tugend, welche unserm Zeitalter vor allen andern am meisten zu fehlen scheint. Vielleicht hat es so seyn müssen, daſs gerade jetzt gewaltsame Bewe¬ gungen von einem Extrem zum andern eine gefährliche Stockung in dem groſsen Gange der Menschheit verhüten; allein was der Philosoph als unausbleiblich und nothwendig anerkennt, ist darum in seinen Wirkungen nicht weniger traurig; und allein von der ruhigen, bescheidenen, ohne alle äuſsere Gewalt, bloſs durch Gründe sanft überre¬ denden Vernunft ist Rettung zu erwarten. Ueberall sind die Leidenschaften aufgeregt, und wo sie immer Gesetze geben, da ist jederzeit Gefahr, daſs Ungerechtigkeiten eine Sanktion erhalten, sie mögen gerichtet seyn gegen welchen Theil der bürgerlichen Ge¬ sellschaft sie wollen. Das Volk ist selten zurückhaltender oder billiger als der Despot; R 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_niederrhein01_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/forster_niederrhein01_1791/277
Zitationshilfe: Forster, Georg: Ansichten vom Niederrhein. Bd. 1. Berlin, 1791, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forster_niederrhein01_1791/277>, abgerufen am 09.05.2024.