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Forkel, Johann Nikolaus: Ueber Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke. Leipzig, 1802.

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Nichts ist aber fähiger das Nachdenken eines angehenden Componisten zu erwecken, als die contrapunctischen Künste. Da nun die Componisten der letztgenannten Werke sämmtlich starke Fugisten nach ihrer Art waren, die die contrapunctischen Künste wenigstens mechanisch in ihrer Gewalt hatten, so schärfte das fleißige Studium und Nachahmen derselben seinen Verstand, seine Urtheilskraft und sein Nachdenken nach und nach so, daß er bald bemerkte, wo er Lücken gelassen und etwas nachzuholen hatte, um sodann in seiner Kunst mit Sicherheit desto größere Fortschritte machen zu können.

Eine zweyte Klippe, woran manches schöne, noch nicht genug ausgebildete Genie scheitert, ist öffentlicher Beyfall. Wenn wir diesen öffentlichen Beyfall auch nicht so tief herunter setzen wollen, wie jener Grieche, der zu seinem Schüler, welcher im Theater mit Beyfall gespielt hatte, sagte: Du hast schlecht gespielt: denn sonst würde dich das Publicum nicht beklatscht haben; so ist doch nicht zu läugnen, daß die meisten Künstler durch ihn auf Irrwege geführt werden, besonders wenn er ihnen zu frühe, das heißt: ehe sie gehörige Ueberlegung und Selbstkenntniß erlangt haben, zu Theil wird. Das Publicum will alles menschlich haben, und der wahre Künstler soll doch eigentlich alles göttlich machen. Wie sollte also Beyfall der Menge und wahre Kunst neben einander bestehen können? Diesen Beyfall der Menge suchte Bach nie. Er dachte wie Schiller:

Kannst du nicht allen gefallen durch deine That und dein Kunstwerk.
Mach' es wenigen recht, vielen gefallen ist schlimm.
Er arbeitete für sich, wie jedes wahre Kunstgenie; er erfüllte seinen eigenen Wunsch, befriedigte seinen eigenen Geschmack, wählte seine Gegenstände nach seiner eigenen Meynung, und war endlich auch mit seinem eigenen Beyfall am zufriedensten. Der Beyfall der Kenner konnte ihm sodann nicht entgehen, und ist ihm nie entgangen. Wie könnte auch auf andere Art ein wahres Kunstwerk zu Stande gebracht werden? Derjenige Künstler, welcher sich bey seinen Arbeiten darauf einläßt, sie so einzurichten, wie es diese oder jene Classe von Liebhabern wünscht, hat entweder kein Kunstgenie, oder er mißbraucht es. Sich nach dem herrschenden Geschmack der Menge zu richten, erfordert höchstens einige Gewandtheit in einer sehr einseitigen Behandlungsart der Töne. Künstler dieser Art sind dem Handwerksmanne zu vergleichen, der seine Arbeiten ebenfalls

Nichts ist aber fähiger das Nachdenken eines angehenden Componisten zu erwecken, als die contrapunctischen Künste. Da nun die Componisten der letztgenannten Werke sämmtlich starke Fugisten nach ihrer Art waren, die die contrapunctischen Künste wenigstens mechanisch in ihrer Gewalt hatten, so schärfte das fleißige Studium und Nachahmen derselben seinen Verstand, seine Urtheilskraft und sein Nachdenken nach und nach so, daß er bald bemerkte, wo er Lücken gelassen und etwas nachzuholen hatte, um sodann in seiner Kunst mit Sicherheit desto größere Fortschritte machen zu können.

Eine zweyte Klippe, woran manches schöne, noch nicht genug ausgebildete Genie scheitert, ist öffentlicher Beyfall. Wenn wir diesen öffentlichen Beyfall auch nicht so tief herunter setzen wollen, wie jener Grieche, der zu seinem Schüler, welcher im Theater mit Beyfall gespielt hatte, sagte: Du hast schlecht gespielt: denn sonst würde dich das Publicum nicht beklatscht haben; so ist doch nicht zu läugnen, daß die meisten Künstler durch ihn auf Irrwege geführt werden, besonders wenn er ihnen zu frühe, das heißt: ehe sie gehörige Ueberlegung und Selbstkenntniß erlangt haben, zu Theil wird. Das Publicum will alles menschlich haben, und der wahre Künstler soll doch eigentlich alles göttlich machen. Wie sollte also Beyfall der Menge und wahre Kunst neben einander bestehen können? Diesen Beyfall der Menge suchte Bach nie. Er dachte wie Schiller:

Kannst du nicht allen gefallen durch deine That und dein Kunstwerk.
Mach’ es wenigen recht, vielen gefallen ist schlimm.
Er arbeitete für sich, wie jedes wahre Kunstgenie; er erfüllte seinen eigenen Wunsch, befriedigte seinen eigenen Geschmack, wählte seine Gegenstände nach seiner eigenen Meynung, und war endlich auch mit seinem eigenen Beyfall am zufriedensten. Der Beyfall der Kenner konnte ihm sodann nicht entgehen, und ist ihm nie entgangen. Wie könnte auch auf andere Art ein wahres Kunstwerk zu Stande gebracht werden? Derjenige Künstler, welcher sich bey seinen Arbeiten darauf einläßt, sie so einzurichten, wie es diese oder jene Classe von Liebhabern wünscht, hat entweder kein Kunstgenie, oder er mißbraucht es. Sich nach dem herrschenden Geschmack der Menge zu richten, erfordert höchstens einige Gewandtheit in einer sehr einseitigen Behandlungsart der Töne. Künstler dieser Art sind dem Handwerksmanne zu vergleichen, der seine Arbeiten ebenfalls

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[67/0077] Nichts ist aber fähiger das Nachdenken eines angehenden Componisten zu erwecken, als die contrapunctischen Künste. Da nun die Componisten der letztgenannten Werke sämmtlich starke Fugisten nach ihrer Art waren, die die contrapunctischen Künste wenigstens mechanisch in ihrer Gewalt hatten, so schärfte das fleißige Studium und Nachahmen derselben seinen Verstand, seine Urtheilskraft und sein Nachdenken nach und nach so, daß er bald bemerkte, wo er Lücken gelassen und etwas nachzuholen hatte, um sodann in seiner Kunst mit Sicherheit desto größere Fortschritte machen zu können. Eine zweyte Klippe, woran manches schöne, noch nicht genug ausgebildete Genie scheitert, ist öffentlicher Beyfall. Wenn wir diesen öffentlichen Beyfall auch nicht so tief herunter setzen wollen, wie jener Grieche, der zu seinem Schüler, welcher im Theater mit Beyfall gespielt hatte, sagte: Du hast schlecht gespielt: denn sonst würde dich das Publicum nicht beklatscht haben; so ist doch nicht zu läugnen, daß die meisten Künstler durch ihn auf Irrwege geführt werden, besonders wenn er ihnen zu frühe, das heißt: ehe sie gehörige Ueberlegung und Selbstkenntniß erlangt haben, zu Theil wird. Das Publicum will alles menschlich haben, und der wahre Künstler soll doch eigentlich alles göttlich machen. Wie sollte also Beyfall der Menge und wahre Kunst neben einander bestehen können? Diesen Beyfall der Menge suchte Bach nie. Er dachte wie Schiller: Kannst du nicht allen gefallen durch deine That und dein Kunstwerk. Mach’ es wenigen recht, vielen gefallen ist schlimm. Er arbeitete für sich, wie jedes wahre Kunstgenie; er erfüllte seinen eigenen Wunsch, befriedigte seinen eigenen Geschmack, wählte seine Gegenstände nach seiner eigenen Meynung, und war endlich auch mit seinem eigenen Beyfall am zufriedensten. Der Beyfall der Kenner konnte ihm sodann nicht entgehen, und ist ihm nie entgangen. Wie könnte auch auf andere Art ein wahres Kunstwerk zu Stande gebracht werden? Derjenige Künstler, welcher sich bey seinen Arbeiten darauf einläßt, sie so einzurichten, wie es diese oder jene Classe von Liebhabern wünscht, hat entweder kein Kunstgenie, oder er mißbraucht es. Sich nach dem herrschenden Geschmack der Menge zu richten, erfordert höchstens einige Gewandtheit in einer sehr einseitigen Behandlungsart der Töne. Künstler dieser Art sind dem Handwerksmanne zu vergleichen, der seine Arbeiten ebenfalls

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Zitationshilfe: Forkel, Johann Nikolaus: Ueber Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke. Leipzig, 1802, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forkel_bach_1802/77>, abgerufen am 27.04.2024.