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Forkel, Johann Nikolaus: Ueber Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke. Leipzig, 1802.

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ihm während der Schlaflosigkeit etwas vorzuspielen. Einst äußerte der Graf gegen Bach, daß er gern einige Clavierstücke für seinen Goldberg haben möchte, die so sanften und etwas muntern Charakters wären, daß er dadurch in seinen schlaflosen Nächten ein wenig aufgeheitert werden könnte. Bach glaubte, diesen Wunsch am besten durch Variationen erfüllen zu können, die er bisher, der stets gleichen Grundharmonie wegen, für eine undankbare Arbeit gehalten hatte. Aber so wie um diese Zeit alle seine Werke schon Kunstmuster waren, so wurden auch diese Variationen unter seiner Hand dazu. Auch hat er nur ein einziges Muster dieser Art geliefert. Der Graf nannte sie hernach nur seine Variationen. Er konnte sich nicht satt daran hören, und lange Zeit hindurch hieß es nun, wenn schlaflose Nächte kamen: Lieber Goldberg, spiele mir doch eine von meinen Variationen. Bach ist vielleicht nie für eine seiner Arbeiten so belohnt worden, wie für diese. Der Graf machte ihm ein Geschenk mit einem goldenen Becher, welcher mit 100 Louisd'or angefüllt war. Allein ihr Kunstwerth ist dennoch, wenn das Geschenk auch tausend Mahl größer gewesen wäre, damit noch nicht bezahlt. Noch muß bemerkt werden, daß in der gestochenen Ausgabe dieser Variationen einige bedeutende Fehler befindlich sind, die der Verf. in seinem Exemplar sorgfältig verbessert hat.

6) Einige kanonische Veränderungen über das Weihnacht-Lied: Vom Himmel hoch da komm ich her, für die Orgel mit 2 Clavieren und Pedal. Nürnberg, bey Balthasar Schmid. Es sind 5 Veränderungen, worin eine große Menge kanonischer Künste auf die zwangloseste Art angebracht ist.

7) Musicalisches Opfer, dem König von Preussen Friedrich II. zugeeignet. Das von dem König erhaltene Thema, von welchem schon geredet worden, ist hier erstlich als eine 3stimmige Clavierfuge unter dem Namen: Ricercar, oder mit der Aufschrift: Regis Iussu Cantio Et Reliqua Canonica Arte Resoluta, ausgeführt. Zweytens hat der Componist ein 6stimmiges Ricercar fürs Clavier daraus gemacht. Drittens folgen: Thematis regii elaborationes canonicae von mancherley Art. Endlich ist viertens ein Trio für die Flöte, Violine und den Baß über dasselbe Thema beygefügt.

8) Die Kunst der Fuge. Dieß vortreffliche, einzige Werk in seiner Art kam erst nach des Verfassers Tode im Jahr 1752 heraus, war aber noch bey seinem Leben Größtentheils durch einen seiner Söhne gravirt worden. Marpurg, damahls

ihm während der Schlaflosigkeit etwas vorzuspielen. Einst äußerte der Graf gegen Bach, daß er gern einige Clavierstücke für seinen Goldberg haben möchte, die so sanften und etwas muntern Charakters wären, daß er dadurch in seinen schlaflosen Nächten ein wenig aufgeheitert werden könnte. Bach glaubte, diesen Wunsch am besten durch Variationen erfüllen zu können, die er bisher, der stets gleichen Grundharmonie wegen, für eine undankbare Arbeit gehalten hatte. Aber so wie um diese Zeit alle seine Werke schon Kunstmuster waren, so wurden auch diese Variationen unter seiner Hand dazu. Auch hat er nur ein einziges Muster dieser Art geliefert. Der Graf nannte sie hernach nur seine Variationen. Er konnte sich nicht satt daran hören, und lange Zeit hindurch hieß es nun, wenn schlaflose Nächte kamen: Lieber Goldberg, spiele mir doch eine von meinen Variationen. Bach ist vielleicht nie für eine seiner Arbeiten so belohnt worden, wie für diese. Der Graf machte ihm ein Geschenk mit einem goldenen Becher, welcher mit 100 Louisd'or angefüllt war. Allein ihr Kunstwerth ist dennoch, wenn das Geschenk auch tausend Mahl größer gewesen wäre, damit noch nicht bezahlt. Noch muß bemerkt werden, daß in der gestochenen Ausgabe dieser Variationen einige bedeutende Fehler befindlich sind, die der Verf. in seinem Exemplar sorgfältig verbessert hat.

6) Einige kanonische Veränderungen über das Weihnacht-Lied: Vom Himmel hoch da komm ich her, für die Orgel mit 2 Clavieren und Pedal. Nürnberg, bey Balthasar Schmid. Es sind 5 Veränderungen, worin eine große Menge kanonischer Künste auf die zwangloseste Art angebracht ist.

7) Musicalisches Opfer, dem König von Preussen Friedrich II. zugeeignet. Das von dem König erhaltene Thema, von welchem schon geredet worden, ist hier erstlich als eine 3stimmige Clavierfuge unter dem Namen: Ricercar, oder mit der Aufschrift: Regis Iussu Cantio Et Reliqua Canonica Arte Resoluta, ausgeführt. Zweytens hat der Componist ein 6stimmiges Ricercar fürs Clavier daraus gemacht. Drittens folgen: Thematis regii elaborationes canonicae von mancherley Art. Endlich ist viertens ein Trio für die Flöte, Violine und den Baß über dasselbe Thema beygefügt.

8) Die Kunst der Fuge. Dieß vortreffliche, einzige Werk in seiner Art kam erst nach des Verfassers Tode im Jahr 1752 heraus, war aber noch bey seinem Leben Größtentheils durch einen seiner Söhne gravirt worden. Marpurg, damahls

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[52/0062] ihm während der Schlaflosigkeit etwas vorzuspielen. Einst äußerte der Graf gegen Bach, daß er gern einige Clavierstücke für seinen Goldberg haben möchte, die so sanften und etwas muntern Charakters wären, daß er dadurch in seinen schlaflosen Nächten ein wenig aufgeheitert werden könnte. Bach glaubte, diesen Wunsch am besten durch Variationen erfüllen zu können, die er bisher, der stets gleichen Grundharmonie wegen, für eine undankbare Arbeit gehalten hatte. Aber so wie um diese Zeit alle seine Werke schon Kunstmuster waren, so wurden auch diese Variationen unter seiner Hand dazu. Auch hat er nur ein einziges Muster dieser Art geliefert. Der Graf nannte sie hernach nur seine Variationen. Er konnte sich nicht satt daran hören, und lange Zeit hindurch hieß es nun, wenn schlaflose Nächte kamen: Lieber Goldberg, spiele mir doch eine von meinen Variationen. Bach ist vielleicht nie für eine seiner Arbeiten so belohnt worden, wie für diese. Der Graf machte ihm ein Geschenk mit einem goldenen Becher, welcher mit 100 Louisd'or angefüllt war. Allein ihr Kunstwerth ist dennoch, wenn das Geschenk auch tausend Mahl größer gewesen wäre, damit noch nicht bezahlt. Noch muß bemerkt werden, daß in der gestochenen Ausgabe dieser Variationen einige bedeutende Fehler befindlich sind, die der Verf. in seinem Exemplar sorgfältig verbessert hat. 6) Einige kanonische Veränderungen über das Weihnacht-Lied: Vom Himmel hoch da komm ich her, für die Orgel mit 2 Clavieren und Pedal. Nürnberg, bey Balthasar Schmid. Es sind 5 Veränderungen, worin eine große Menge kanonischer Künste auf die zwangloseste Art angebracht ist. 7) Musicalisches Opfer, dem König von Preussen Friedrich II. zugeeignet. Das von dem König erhaltene Thema, von welchem schon geredet worden, ist hier erstlich als eine 3stimmige Clavierfuge unter dem Namen: Ricercar, oder mit der Aufschrift: Regis Iussu Cantio Et Reliqua Canonica Arte Resoluta, ausgeführt. Zweytens hat der Componist ein 6stimmiges Ricercar fürs Clavier daraus gemacht. Drittens folgen: Thematis regii elaborationes canonicae von mancherley Art. Endlich ist viertens ein Trio für die Flöte, Violine und den Baß über dasselbe Thema beygefügt. 8) Die Kunst der Fuge. Dieß vortreffliche, einzige Werk in seiner Art kam erst nach des Verfassers Tode im Jahr 1752 heraus, war aber noch bey seinem Leben Größtentheils durch einen seiner Söhne gravirt worden. Marpurg, damahls

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Zitationshilfe: Forkel, Johann Nikolaus: Ueber Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke. Leipzig, 1802, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forkel_bach_1802/62>, abgerufen am 27.04.2024.