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Forkel, Johann Nikolaus: Ueber Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke. Leipzig, 1802.

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Lernen gab, waren so bald in seiner Gewalt, daß er mit großer Begierde sich nach schwerern Stücken umzusehen anfing. Die berühmtesten Clavierkomponisten jener Zeit waren Froberger, Fischer, Johann Casp. Kerl, Pachelbel, Buxtehude, Bruhns, Böhm etc. Er hatte gemerkt, daß sein Bruder ein Buch besaß, worin mehrere Stücke der genannten Meister gesammelt waren, und bat ihn herzlich, es ihm zu geben. Allein es wurde ihm stets verweigert. Die Begierde nach dem Besitz des Buchs wurde durch die Verweigerung immer größer, so daß er endlich desselben auf irgend eine Art heimlich habhaft zu werden suchte. Da es in einem bloß mit Gitterthüren verschlossenen Schranke aufbewahrt wurde, und seine Hände noch klein genug waren, um durchgreifen und das nur in Papier geheftete Buch zusammen rollen und heraus ziehen zu können, so bedachte er sich nicht lange, von so günstigen Umständen Gebrauch zu machen. Allein aus Mangel eines Lichtes konnte er nur bey Mondhellen Nächten daran schreiben, und bedurfte 6 volle Monathe, ehe er mit seiner so mühseligen Arbeit zu Ende kommen konnte. Als er endlich den Schatz sicher zu besitzen glaubte, und ihn nun heimlich recht benutzen wollte, wurde der Bruder die Sache gewahr, und nahm ihm die so schwer gewordene Abschrift ohne Gnade und Barmherzigkeit wieder ab, die er auch nicht eher als nach dem bald darauf erfolgten Tode dieses Bruders wieder erhielt.

Aufs neue verwaiset ging nun Joh. Sebastian in Gesellschaft eines seiner Mitschüler, mit Namen Erdmann, nachherigen Russisch-Kaiserl. Residenten in Danzig, nach Lüneburg, und ließ sich daselbst im Chor der Michaelisschule als Diskantist aufnehmen. Seine schöne Diskantstimme verschaffte ihm hier ein gutes Fortkommen; allein er verlor sie bald, ohne sogleich eine andere gute Stimme dagegen zu erhalten.

Seine Neigung zum Clavier- und Orgelspielen war um diese Zeit noch eben so feurig, als in den frühern Jahren, und trieb ihn an, alles zu thun, zu sehen und zu hören, was ihn nach seinen damaligen Begriffen immer weiter darin bringen konnte. In dieser Absicht reisete er als Schüler von Lüneburg aus nicht nur mehrere Mahle nach Hamburg, um den damahls berühmten Organisten Johann Adam Reinken zu hören, sondern auch bisweilen nach Celle, um die dortige, meistens aus Franzosen bestehende Kapelle, und den französischen Geschmack, der damahls in diesen Gegenden noch etwas Neues war, kennen zu lernen.

Lernen gab, waren so bald in seiner Gewalt, daß er mit großer Begierde sich nach schwerern Stücken umzusehen anfing. Die berühmtesten Clavierkomponisten jener Zeit waren Froberger, Fischer, Johann Casp. Kerl, Pachelbel, Buxtehude, Bruhns, Böhm etc. Er hatte gemerkt, daß sein Bruder ein Buch besaß, worin mehrere Stücke der genannten Meister gesammelt waren, und bat ihn herzlich, es ihm zu geben. Allein es wurde ihm stets verweigert. Die Begierde nach dem Besitz des Buchs wurde durch die Verweigerung immer größer, so daß er endlich desselben auf irgend eine Art heimlich habhaft zu werden suchte. Da es in einem bloß mit Gitterthüren verschlossenen Schranke aufbewahrt wurde, und seine Hände noch klein genug waren, um durchgreifen und das nur in Papier geheftete Buch zusammen rollen und heraus ziehen zu können, so bedachte er sich nicht lange, von so günstigen Umständen Gebrauch zu machen. Allein aus Mangel eines Lichtes konnte er nur bey Mondhellen Nächten daran schreiben, und bedurfte 6 volle Monathe, ehe er mit seiner so mühseligen Arbeit zu Ende kommen konnte. Als er endlich den Schatz sicher zu besitzen glaubte, und ihn nun heimlich recht benutzen wollte, wurde der Bruder die Sache gewahr, und nahm ihm die so schwer gewordene Abschrift ohne Gnade und Barmherzigkeit wieder ab, die er auch nicht eher als nach dem bald darauf erfolgten Tode dieses Bruders wieder erhielt.

Aufs neue verwaiset ging nun Joh. Sebastian in Gesellschaft eines seiner Mitschüler, mit Namen Erdmann, nachherigen Russisch-Kaiserl. Residenten in Danzig, nach Lüneburg, und ließ sich daselbst im Chor der Michaelisschule als Diskantist aufnehmen. Seine schöne Diskantstimme verschaffte ihm hier ein gutes Fortkommen; allein er verlor sie bald, ohne sogleich eine andere gute Stimme dagegen zu erhalten.

Seine Neigung zum Clavier- und Orgelspielen war um diese Zeit noch eben so feurig, als in den frühern Jahren, und trieb ihn an, alles zu thun, zu sehen und zu hören, was ihn nach seinen damaligen Begriffen immer weiter darin bringen konnte. In dieser Absicht reisete er als Schüler von Lüneburg aus nicht nur mehrere Mahle nach Hamburg, um den damahls berühmten Organisten Johann Adam Reinken zu hören, sondern auch bisweilen nach Celle, um die dortige, meistens aus Franzosen bestehende Kapelle, und den französischen Geschmack, der damahls in diesen Gegenden noch etwas Neues war, kennen zu lernen.

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[5/0015] Lernen gab, waren so bald in seiner Gewalt, daß er mit großer Begierde sich nach schwerern Stücken umzusehen anfing. Die berühmtesten Clavierkomponisten jener Zeit waren Froberger, Fischer, Johann Casp. Kerl, Pachelbel, Buxtehude, Bruhns, Böhm etc. Er hatte gemerkt, daß sein Bruder ein Buch besaß, worin mehrere Stücke der genannten Meister gesammelt waren, und bat ihn herzlich, es ihm zu geben. Allein es wurde ihm stets verweigert. Die Begierde nach dem Besitz des Buchs wurde durch die Verweigerung immer größer, so daß er endlich desselben auf irgend eine Art heimlich habhaft zu werden suchte. Da es in einem bloß mit Gitterthüren verschlossenen Schranke aufbewahrt wurde, und seine Hände noch klein genug waren, um durchgreifen und das nur in Papier geheftete Buch zusammen rollen und heraus ziehen zu können, so bedachte er sich nicht lange, von so günstigen Umständen Gebrauch zu machen. Allein aus Mangel eines Lichtes konnte er nur bey Mondhellen Nächten daran schreiben, und bedurfte 6 volle Monathe, ehe er mit seiner so mühseligen Arbeit zu Ende kommen konnte. Als er endlich den Schatz sicher zu besitzen glaubte, und ihn nun heimlich recht benutzen wollte, wurde der Bruder die Sache gewahr, und nahm ihm die so schwer gewordene Abschrift ohne Gnade und Barmherzigkeit wieder ab, die er auch nicht eher als nach dem bald darauf erfolgten Tode dieses Bruders wieder erhielt. Aufs neue verwaiset ging nun Joh. Sebastian in Gesellschaft eines seiner Mitschüler, mit Namen Erdmann, nachherigen Russisch-Kaiserl. Residenten in Danzig, nach Lüneburg, und ließ sich daselbst im Chor der Michaelisschule als Diskantist aufnehmen. Seine schöne Diskantstimme verschaffte ihm hier ein gutes Fortkommen; allein er verlor sie bald, ohne sogleich eine andere gute Stimme dagegen zu erhalten. Seine Neigung zum Clavier- und Orgelspielen war um diese Zeit noch eben so feurig, als in den frühern Jahren, und trieb ihn an, alles zu thun, zu sehen und zu hören, was ihn nach seinen damaligen Begriffen immer weiter darin bringen konnte. In dieser Absicht reisete er als Schüler von Lüneburg aus nicht nur mehrere Mahle nach Hamburg, um den damahls berühmten Organisten Johann Adam Reinken zu hören, sondern auch bisweilen nach Celle, um die dortige, meistens aus Franzosen bestehende Kapelle, und den französischen Geschmack, der damahls in diesen Gegenden noch etwas Neues war, kennen zu lernen.

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Zitationshilfe: Forkel, Johann Nikolaus: Ueber Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke. Leipzig, 1802, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/forkel_bach_1802/15>, abgerufen am 24.11.2024.