Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.Der Erste, der es wagte, war der seitdem so berühmt gewordene Stirner. Seine Frau hatte etwas Geld, das, der Weisheit der "sieben Weisen" entsprechend, sofort in einem großen Gesamt-Unternehmen angelegt werden sollte. Man beschloß, eine "Milchwirtschaft" einzurichten und zwar nach demselben Prinzip, das viele Jahre später, von dem praktisch klugen Bolle zu seinem und der ganzen Stadt Segen glorreich durchgeführt wurde. Die "Sieben" unternahmen Reisen auf die umliegenden Dörfer - ich hätte dabei sein mögen, wenn zum Beispiel St. Paul mit einer jungen Melkerin im Kuhstall verhandelte - und schlossen mit zahllosen Pächtern und Bauerngutsbesitzern Kontrakte über Milchzufuhr ab. Von einem bestimmten Tage an hatte jeder so und so viele Quart zu liefern. Das Bureau und die Keller-Räume, alles ganz großartig, befanden sich in der Bernburgerstraße. Die Milch kam denn auch, aber die Käufer blieben aus und nachdem schließlich mehrere Tage lang ein gewisser saurer Milchton die ganze Bernburgerstraßenluft durchzogen hatte, sah man sich genötigt, eines Nachts den ganzen Vorrat in die damals noch in Blüte stehenden Berliner Rinnen ablaufen zu lassen. Das Vermögen der Frau Stirner war hin. Aber die "Sieben" waren nicht die Leute, sich Der Erste, der es wagte, war der seitdem so berühmt gewordene Stirner. Seine Frau hatte etwas Geld, das, der Weisheit der „sieben Weisen“ entsprechend, sofort in einem großen Gesamt-Unternehmen angelegt werden sollte. Man beschloß, eine „Milchwirtschaft“ einzurichten und zwar nach demselben Prinzip, das viele Jahre später, von dem praktisch klugen Bolle zu seinem und der ganzen Stadt Segen glorreich durchgeführt wurde. Die „Sieben“ unternahmen Reisen auf die umliegenden Dörfer – ich hätte dabei sein mögen, wenn zum Beispiel St. Paul mit einer jungen Melkerin im Kuhstall verhandelte – und schlossen mit zahllosen Pächtern und Bauerngutsbesitzern Kontrakte über Milchzufuhr ab. Von einem bestimmten Tage an hatte jeder so und so viele Quart zu liefern. Das Bureau und die Keller-Räume, alles ganz großartig, befanden sich in der Bernburgerstraße. Die Milch kam denn auch, aber die Käufer blieben aus und nachdem schließlich mehrere Tage lang ein gewisser saurer Milchton die ganze Bernburgerstraßenluft durchzogen hatte, sah man sich genötigt, eines Nachts den ganzen Vorrat in die damals noch in Blüte stehenden Berliner Rinnen ablaufen zu lassen. Das Vermögen der Frau Stirner war hin. Aber die „Sieben“ waren nicht die Leute, sich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0066" n="57"/> Der Erste, der es wagte, war der seitdem so berühmt gewordene Stirner. Seine Frau hatte etwas Geld, das, der Weisheit der „sieben Weisen“ entsprechend, sofort in einem großen Gesamt-Unternehmen angelegt werden sollte. Man beschloß, eine „Milchwirtschaft“ einzurichten und zwar nach demselben Prinzip, das viele Jahre später, von dem praktisch klugen Bolle zu seinem und der ganzen Stadt Segen glorreich durchgeführt wurde. Die „Sieben“ unternahmen Reisen auf die umliegenden Dörfer – ich hätte dabei sein mögen, wenn zum Beispiel St. Paul mit einer jungen Melkerin im Kuhstall verhandelte – und schlossen mit zahllosen Pächtern und Bauerngutsbesitzern Kontrakte über Milchzufuhr ab. Von einem bestimmten Tage an hatte jeder so und so viele Quart zu liefern. Das Bureau und die Keller-Räume, alles ganz großartig, befanden sich in der Bernburgerstraße. Die Milch kam denn auch, aber die Käufer blieben aus und nachdem schließlich mehrere Tage lang ein gewisser saurer Milchton die ganze Bernburgerstraßenluft durchzogen hatte, sah man sich genötigt, eines Nachts den ganzen Vorrat in die damals noch in Blüte stehenden Berliner Rinnen ablaufen zu lassen.</p><lb/> <p>Das Vermögen der Frau Stirner war hin.</p><lb/> <p>Aber die „Sieben“ waren nicht die Leute, sich<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [57/0066]
Der Erste, der es wagte, war der seitdem so berühmt gewordene Stirner. Seine Frau hatte etwas Geld, das, der Weisheit der „sieben Weisen“ entsprechend, sofort in einem großen Gesamt-Unternehmen angelegt werden sollte. Man beschloß, eine „Milchwirtschaft“ einzurichten und zwar nach demselben Prinzip, das viele Jahre später, von dem praktisch klugen Bolle zu seinem und der ganzen Stadt Segen glorreich durchgeführt wurde. Die „Sieben“ unternahmen Reisen auf die umliegenden Dörfer – ich hätte dabei sein mögen, wenn zum Beispiel St. Paul mit einer jungen Melkerin im Kuhstall verhandelte – und schlossen mit zahllosen Pächtern und Bauerngutsbesitzern Kontrakte über Milchzufuhr ab. Von einem bestimmten Tage an hatte jeder so und so viele Quart zu liefern. Das Bureau und die Keller-Räume, alles ganz großartig, befanden sich in der Bernburgerstraße. Die Milch kam denn auch, aber die Käufer blieben aus und nachdem schließlich mehrere Tage lang ein gewisser saurer Milchton die ganze Bernburgerstraßenluft durchzogen hatte, sah man sich genötigt, eines Nachts den ganzen Vorrat in die damals noch in Blüte stehenden Berliner Rinnen ablaufen zu lassen.
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(2018-07-25T10:02:20Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T10:02:20Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
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