Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.bei seinen größten Verehrern nicht, die nur seinen Charakter und seine Bekenntnisstrenge betonten. Dies war aber, wenn ich in solchen Dingen mitsprechen darf, total falsch. Er hatte keinen abgerundeten und kunstvoll aufgeführten Satzbau, keine Bildersprache, keine geistreichen Vergleiche, keine Antithese, keinen Fluß der Rede, kein donnerndes Organ, nicht einmal gefällige Handbewegungen, aber gerade deshalb sind mir seine Predigten - in denen er nur der einen Schwäche huldigte, den Einzelnen gern anzupredigen (auch ich kam mal an die Reihe) - vielfach als mustergiltig erschienen, als Ausdruck einer schlichten Kunst, die wegen eben dieser Schlichtheit ihm nicht bloß die Herzen der Seinen hätte zuführen müssen, sondern auch ihre litterarischen Huldigungen. Das blieb aber aus. Auch die Frommen sind von Aeußerlichkeiten viel mehr abhängig, als sie zugeben wollen und ihr mangelndes ästhetisches Urteil läßt sie nicht einmal zwischen ihren eigenen Leuten richtig unterscheiden. Sehr fromm, das ist die erste Bedingung. Aber ist diese Bedingung erfüllt, so steht ihnen ein frommer Sacher-Masoch höher, als ein frommer Goethe. Als Beweis dafür, daß Schultz, trotz aller Orthodoxie, doch ein sehr feines Kunstverständnis hatte, will ich hier nur noch Eins erzählen, das noch in bei seinen größten Verehrern nicht, die nur seinen Charakter und seine Bekenntnisstrenge betonten. Dies war aber, wenn ich in solchen Dingen mitsprechen darf, total falsch. Er hatte keinen abgerundeten und kunstvoll aufgeführten Satzbau, keine Bildersprache, keine geistreichen Vergleiche, keine Antithese, keinen Fluß der Rede, kein donnerndes Organ, nicht einmal gefällige Handbewegungen, aber gerade deshalb sind mir seine Predigten – in denen er nur der einen Schwäche huldigte, den Einzelnen gern anzupredigen (auch ich kam mal an die Reihe) – vielfach als mustergiltig erschienen, als Ausdruck einer schlichten Kunst, die wegen eben dieser Schlichtheit ihm nicht bloß die Herzen der Seinen hätte zuführen müssen, sondern auch ihre litterarischen Huldigungen. Das blieb aber aus. Auch die Frommen sind von Aeußerlichkeiten viel mehr abhängig, als sie zugeben wollen und ihr mangelndes ästhetisches Urteil läßt sie nicht einmal zwischen ihren eigenen Leuten richtig unterscheiden. Sehr fromm, das ist die erste Bedingung. Aber ist diese Bedingung erfüllt, so steht ihnen ein frommer Sacher-Masoch höher, als ein frommer Goethe. Als Beweis dafür, daß Schultz, trotz aller Orthodoxie, doch ein sehr feines Kunstverständnis hatte, will ich hier nur noch Eins erzählen, das noch in <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0654" n="645"/> bei seinen größten Verehrern nicht, die nur seinen Charakter und seine Bekenntnisstrenge betonten. Dies war aber, wenn ich in solchen Dingen mitsprechen darf, total falsch. Er hatte keinen abgerundeten und kunstvoll aufgeführten Satzbau, keine Bildersprache, keine geistreichen Vergleiche, keine Antithese, keinen Fluß der Rede, kein donnerndes Organ, nicht einmal gefällige Handbewegungen, aber gerade deshalb sind mir seine Predigten – in denen er nur der <hi rendition="#g">einen</hi> Schwäche huldigte, den Einzelnen gern anzupredigen (auch ich kam mal an die Reihe) – vielfach als mustergiltig erschienen, als Ausdruck einer schlichten Kunst, die wegen eben dieser Schlichtheit ihm nicht bloß die Herzen der Seinen hätte zuführen müssen, sondern auch ihre litterarischen Huldigungen. Das blieb aber aus. Auch die Frommen sind von Aeußerlichkeiten viel mehr abhängig, als sie zugeben wollen und ihr mangelndes ästhetisches Urteil läßt sie nicht einmal zwischen ihren eigenen Leuten richtig unterscheiden. Sehr fromm, das ist die erste Bedingung. Aber ist diese Bedingung erfüllt, so steht ihnen ein frommer Sacher-Masoch höher, als ein frommer Goethe.</p><lb/> <p>Als Beweis dafür, daß Schultz, trotz aller Orthodoxie, doch ein sehr feines Kunstverständnis hatte, will ich hier nur noch Eins erzählen, das noch in<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [645/0654]
bei seinen größten Verehrern nicht, die nur seinen Charakter und seine Bekenntnisstrenge betonten. Dies war aber, wenn ich in solchen Dingen mitsprechen darf, total falsch. Er hatte keinen abgerundeten und kunstvoll aufgeführten Satzbau, keine Bildersprache, keine geistreichen Vergleiche, keine Antithese, keinen Fluß der Rede, kein donnerndes Organ, nicht einmal gefällige Handbewegungen, aber gerade deshalb sind mir seine Predigten – in denen er nur der einen Schwäche huldigte, den Einzelnen gern anzupredigen (auch ich kam mal an die Reihe) – vielfach als mustergiltig erschienen, als Ausdruck einer schlichten Kunst, die wegen eben dieser Schlichtheit ihm nicht bloß die Herzen der Seinen hätte zuführen müssen, sondern auch ihre litterarischen Huldigungen. Das blieb aber aus. Auch die Frommen sind von Aeußerlichkeiten viel mehr abhängig, als sie zugeben wollen und ihr mangelndes ästhetisches Urteil läßt sie nicht einmal zwischen ihren eigenen Leuten richtig unterscheiden. Sehr fromm, das ist die erste Bedingung. Aber ist diese Bedingung erfüllt, so steht ihnen ein frommer Sacher-Masoch höher, als ein frommer Goethe.
Als Beweis dafür, daß Schultz, trotz aller Orthodoxie, doch ein sehr feines Kunstverständnis hatte, will ich hier nur noch Eins erzählen, das noch in
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(2018-07-25T10:02:20Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T10:02:20Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
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