Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.gefährtin eingefunden hatte, geriet ich in eine große Theaterszene hinein. Meine kleine Freundin, ganz Feuer und Flamme, ließ sich durch mein Erscheinen nicht stören und ich hörte sehr bald heraus, daß es sich um "Romeo und Julia" handelte. Das andere Kind, das keine Ahnung von dem Stück hatte, war bloß Puppe, bloß der beständig hin und her geschobene Gegenstand, dem die jedesmalige Schweigerolle zufiel, während die leidenschaftliche kleine Person, in einem fort die Partie wechselnd, alles sprach, was zu sprechen war und dabei die Phiole leerend, jetzt als Romeo tot niedersank, um sich im nächsten Augenblicke schon wieder aufzurichten und als Julia mit der Stickschere in der Hand zu sterben. Die Szene hatte sich ihr bei der Aufführung im Theater tief eingeprägt, aber auch nur die Szene; was sie sprach, waren ihre eigenen Worte. Mein Freund Scherz konnte sich in der ganzen Sache nicht recht zurecht finden, während ich die kleine Tragödin entzückt in die Höhe hob und an diesem Abende wenigstens durch meine, der Künstlerin dargebrachte Huldigung, das Uebergewicht über den Mitbewerber hatte. Das Jahr danach kam ich von der Schule fort, sah die Kleine nur noch selten und verlor sie schließlich während meiner in Leipzig und Dresden zugebrachten Tage, ganz aus dem Auge. So vergingen gefährtin eingefunden hatte, geriet ich in eine große Theaterszene hinein. Meine kleine Freundin, ganz Feuer und Flamme, ließ sich durch mein Erscheinen nicht stören und ich hörte sehr bald heraus, daß es sich um „Romeo und Julia“ handelte. Das andere Kind, das keine Ahnung von dem Stück hatte, war bloß Puppe, bloß der beständig hin und her geschobene Gegenstand, dem die jedesmalige Schweigerolle zufiel, während die leidenschaftliche kleine Person, in einem fort die Partie wechselnd, alles sprach, was zu sprechen war und dabei die Phiole leerend, jetzt als Romeo tot niedersank, um sich im nächsten Augenblicke schon wieder aufzurichten und als Julia mit der Stickschere in der Hand zu sterben. Die Szene hatte sich ihr bei der Aufführung im Theater tief eingeprägt, aber auch nur die Szene; was sie sprach, waren ihre eigenen Worte. Mein Freund Scherz konnte sich in der ganzen Sache nicht recht zurecht finden, während ich die kleine Tragödin entzückt in die Höhe hob und an diesem Abende wenigstens durch meine, der Künstlerin dargebrachte Huldigung, das Uebergewicht über den Mitbewerber hatte. Das Jahr danach kam ich von der Schule fort, sah die Kleine nur noch selten und verlor sie schließlich während meiner in Leipzig und Dresden zugebrachten Tage, ganz aus dem Auge. So vergingen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0559" n="550"/> gefährtin eingefunden hatte, geriet ich in eine große Theaterszene hinein. Meine kleine Freundin, ganz Feuer und Flamme, ließ sich durch mein Erscheinen nicht stören und ich hörte sehr bald heraus, daß es sich um „Romeo und Julia“ handelte. Das andere Kind, das keine Ahnung von dem Stück hatte, war bloß Puppe, bloß der beständig hin und her geschobene Gegenstand, dem die jedesmalige Schweigerolle zufiel, während die leidenschaftliche kleine Person, in einem fort die Partie wechselnd, alles sprach, was zu sprechen war und dabei die Phiole leerend, jetzt als Romeo tot niedersank, um sich im nächsten Augenblicke schon wieder aufzurichten und als Julia mit der Stickschere in der Hand zu sterben. Die Szene hatte sich ihr bei der Aufführung im Theater tief eingeprägt, aber auch nur die Szene; was sie sprach, waren ihre eigenen Worte. Mein Freund Scherz konnte sich in der ganzen Sache nicht recht zurecht finden, während ich die kleine Tragödin entzückt in die Höhe hob und an diesem Abende wenigstens durch meine, der Künstlerin dargebrachte Huldigung, das Uebergewicht über den Mitbewerber hatte.</p><lb/> <p>Das Jahr danach kam ich von der Schule fort, sah die Kleine nur noch selten und verlor sie schließlich während meiner in Leipzig und Dresden zugebrachten Tage, ganz aus dem Auge. So vergingen<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [550/0559]
gefährtin eingefunden hatte, geriet ich in eine große Theaterszene hinein. Meine kleine Freundin, ganz Feuer und Flamme, ließ sich durch mein Erscheinen nicht stören und ich hörte sehr bald heraus, daß es sich um „Romeo und Julia“ handelte. Das andere Kind, das keine Ahnung von dem Stück hatte, war bloß Puppe, bloß der beständig hin und her geschobene Gegenstand, dem die jedesmalige Schweigerolle zufiel, während die leidenschaftliche kleine Person, in einem fort die Partie wechselnd, alles sprach, was zu sprechen war und dabei die Phiole leerend, jetzt als Romeo tot niedersank, um sich im nächsten Augenblicke schon wieder aufzurichten und als Julia mit der Stickschere in der Hand zu sterben. Die Szene hatte sich ihr bei der Aufführung im Theater tief eingeprägt, aber auch nur die Szene; was sie sprach, waren ihre eigenen Worte. Mein Freund Scherz konnte sich in der ganzen Sache nicht recht zurecht finden, während ich die kleine Tragödin entzückt in die Höhe hob und an diesem Abende wenigstens durch meine, der Künstlerin dargebrachte Huldigung, das Uebergewicht über den Mitbewerber hatte.
Das Jahr danach kam ich von der Schule fort, sah die Kleine nur noch selten und verlor sie schließlich während meiner in Leipzig und Dresden zugebrachten Tage, ganz aus dem Auge. So vergingen
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).
(2018-07-25T10:02:20Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T10:02:20Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |