Ich bin durchaus gegen solche, noch dazu, was das Thatsächliche betrifft, mehr oder weniger in der Luft schwebende Polemik. Indessen auch mit ihr ist es immer noch ein schönes Gedicht, zu dem sich unter allem, was er später geschrieben, nur noch ein Seitenstück findet. Dies heißt: "Thomas Cranmers Tod". Auch ein brillanter Stoff. Cranmer, anglikanischer Bischof, soll, als Maria Tudor die katholische Kirche zu neuer Herrschaft führen will, seinen englisch-protestantischen Glauben abschwören und in der Schwäche des Fleisches giebt er auch nach. Nachdem er aber abgeschworen hat, erfaßt ihn Scham und Reue, und als die Klerisei bei einer dazu festgesetzten Zeremonie darauf wartet, daß er den bis dahin nur im engsten Kreise geleisteten Widerruf nun auch öffentlich in der Westminster-Abtei und in Gegenwart aller katholischen Kirchenfürsten des Landes bestätigen werde, widerruft er seinen Widerruf und bricht, seine Schwurfinger erhebend, in die Worte aus: "Ins Feuer die verruchte Hand", - ein Wort, das er dann wenige Wochen später mit seinem Märtyrertod auf dem Scheiterhaufen besiegelte. Der Stoff, wie schon hervorgehoben, ist ergreifend, einzelnes, auch im Ausdruck ungemein packend; aber es ist als Ganzes zu lang und in dieser Länge geht die Balladenwirkung verloren. Lepel, wie die meisten
Ich bin durchaus gegen solche, noch dazu, was das Thatsächliche betrifft, mehr oder weniger in der Luft schwebende Polemik. Indessen auch mit ihr ist es immer noch ein schönes Gedicht, zu dem sich unter allem, was er später geschrieben, nur noch ein Seitenstück findet. Dies heißt: „Thomas Cranmers Tod“. Auch ein brillanter Stoff. Cranmer, anglikanischer Bischof, soll, als Maria Tudor die katholische Kirche zu neuer Herrschaft führen will, seinen englisch-protestantischen Glauben abschwören und in der Schwäche des Fleisches giebt er auch nach. Nachdem er aber abgeschworen hat, erfaßt ihn Scham und Reue, und als die Klerisei bei einer dazu festgesetzten Zeremonie darauf wartet, daß er den bis dahin nur im engsten Kreise geleisteten Widerruf nun auch öffentlich in der Westminster-Abtei und in Gegenwart aller katholischen Kirchenfürsten des Landes bestätigen werde, widerruft er seinen Widerruf und bricht, seine Schwurfinger erhebend, in die Worte aus: „Ins Feuer die verruchte Hand“, – ein Wort, das er dann wenige Wochen später mit seinem Märtyrertod auf dem Scheiterhaufen besiegelte. Der Stoff, wie schon hervorgehoben, ist ergreifend, einzelnes, auch im Ausdruck ungemein packend; aber es ist als Ganzes zu lang und in dieser Länge geht die Balladenwirkung verloren. Lepel, wie die meisten
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0494"n="485"/><p>Ich bin durchaus gegen solche, noch dazu, was das Thatsächliche betrifft, mehr oder weniger in der Luft schwebende Polemik. Indessen auch mit ihr ist es immer noch ein schönes Gedicht, zu dem sich unter allem, was er später geschrieben, nur noch ein Seitenstück findet. Dies heißt: „Thomas Cranmers Tod“. Auch ein brillanter Stoff. Cranmer, anglikanischer Bischof, soll, als Maria Tudor die katholische Kirche zu neuer Herrschaft führen will, seinen englisch-protestantischen Glauben abschwören und in der Schwäche des Fleisches giebt er auch nach. Nachdem er aber abgeschworen hat, erfaßt ihn Scham und Reue, und als die Klerisei bei einer dazu festgesetzten Zeremonie darauf wartet, daß er den bis dahin nur im engsten Kreise geleisteten Widerruf nun auch öffentlich in der Westminster-Abtei und in Gegenwart aller katholischen Kirchenfürsten des Landes bestätigen werde, widerruft er seinen Widerruf und bricht, seine Schwurfinger erhebend, in die Worte aus: „Ins Feuer die verruchte Hand“, – ein Wort, das er dann wenige Wochen später mit seinem Märtyrertod auf dem Scheiterhaufen besiegelte. Der Stoff, wie schon hervorgehoben, ist ergreifend, einzelnes, auch im Ausdruck ungemein packend; aber es ist als Ganzes zu lang und in dieser Länge geht die Balladenwirkung verloren. Lepel, wie die meisten<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
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Ich bin durchaus gegen solche, noch dazu, was das Thatsächliche betrifft, mehr oder weniger in der Luft schwebende Polemik. Indessen auch mit ihr ist es immer noch ein schönes Gedicht, zu dem sich unter allem, was er später geschrieben, nur noch ein Seitenstück findet. Dies heißt: „Thomas Cranmers Tod“. Auch ein brillanter Stoff. Cranmer, anglikanischer Bischof, soll, als Maria Tudor die katholische Kirche zu neuer Herrschaft führen will, seinen englisch-protestantischen Glauben abschwören und in der Schwäche des Fleisches giebt er auch nach. Nachdem er aber abgeschworen hat, erfaßt ihn Scham und Reue, und als die Klerisei bei einer dazu festgesetzten Zeremonie darauf wartet, daß er den bis dahin nur im engsten Kreise geleisteten Widerruf nun auch öffentlich in der Westminster-Abtei und in Gegenwart aller katholischen Kirchenfürsten des Landes bestätigen werde, widerruft er seinen Widerruf und bricht, seine Schwurfinger erhebend, in die Worte aus: „Ins Feuer die verruchte Hand“, – ein Wort, das er dann wenige Wochen später mit seinem Märtyrertod auf dem Scheiterhaufen besiegelte. Der Stoff, wie schon hervorgehoben, ist ergreifend, einzelnes, auch im Ausdruck ungemein packend; aber es ist als Ganzes zu lang und in dieser Länge geht die Balladenwirkung verloren. Lepel, wie die meisten
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Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 485. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/494>, abgerufen am 23.07.2024.
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