Gesinnung ins Klare zu kommen. Er lachte. "Meinetwegen brauchen Sie sich nicht zu genieren. Ich denke über alles anders." Sein Leben bewies das. Er verheiratete sich mit einer polnisch-jüdischen Dame von großer musikalischer Bedeutung, ich glaube Pianistin von Beruf, und trat in Lebenskreise, die dem seiner Familie weitab lagen. Irgend einer Aktien- oder Kommanditgesellschaft als Agent oder Berater beigegeben, ging er in den ihm verbleibenden Mußestunden in Musik auf. Er war weit über allen Dilettantismus hinaus ein vorzüglicher Sänger und im Vortrag Löwe'scher Balladen damals unerreicht. Er wußte, daß ich voller Interesse für diese Balladen war, und so schrieb er mir eines Tages eine Karte, worin er sich für den folgenden Vormittag anmeldete. "Keine Umstände, ich werde Ihnen den Archibald Douglas vorsingen." Er kam auch, und obwohl der niedrige Raum, dazu Gardinen und Teppiche, den Vollklang seiner mächtigen Stimme sehr behinderten, so machte sein Vortrag doch einen großen Eindruck auf mich und die Menschen, die zugegen waren. Ich sprach ihm meinen herzlichen Dank aus und bot ihm ein Glas Wein an, so gut ich's hatte, hinzusetzend, ich hätte Tags zuvor von einem in Wernigerode lebenden Freunde einige Flaschen "Wernigeröder" erhalten, einen abgelagerten Kornus, von dem es
Gesinnung ins Klare zu kommen. Er lachte. „Meinetwegen brauchen Sie sich nicht zu genieren. Ich denke über alles anders.“ Sein Leben bewies das. Er verheiratete sich mit einer polnisch-jüdischen Dame von großer musikalischer Bedeutung, ich glaube Pianistin von Beruf, und trat in Lebenskreise, die dem seiner Familie weitab lagen. Irgend einer Aktien- oder Kommanditgesellschaft als Agent oder Berater beigegeben, ging er in den ihm verbleibenden Mußestunden in Musik auf. Er war weit über allen Dilettantismus hinaus ein vorzüglicher Sänger und im Vortrag Löwe’scher Balladen damals unerreicht. Er wußte, daß ich voller Interesse für diese Balladen war, und so schrieb er mir eines Tages eine Karte, worin er sich für den folgenden Vormittag anmeldete. „Keine Umstände, ich werde Ihnen den Archibald Douglas vorsingen.“ Er kam auch, und obwohl der niedrige Raum, dazu Gardinen und Teppiche, den Vollklang seiner mächtigen Stimme sehr behinderten, so machte sein Vortrag doch einen großen Eindruck auf mich und die Menschen, die zugegen waren. Ich sprach ihm meinen herzlichen Dank aus und bot ihm ein Glas Wein an, so gut ich’s hatte, hinzusetzend, ich hätte Tags zuvor von einem in Wernigerode lebenden Freunde einige Flaschen „Wernigeröder“ erhalten, einen abgelagerten Kornus, von dem es
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Gesinnung ins Klare zu kommen. Er lachte. „Meinetwegen brauchen Sie sich nicht zu genieren. Ich denke über alles anders.“ Sein Leben bewies das. Er verheiratete sich mit einer polnisch-jüdischen Dame von großer musikalischer Bedeutung, ich glaube Pianistin von Beruf, und trat in Lebenskreise, die dem seiner Familie weitab lagen. Irgend einer Aktien- oder Kommanditgesellschaft als Agent oder Berater beigegeben, ging er in den ihm verbleibenden Mußestunden in Musik auf. Er war weit über allen Dilettantismus hinaus ein vorzüglicher Sänger und im Vortrag Löwe’scher Balladen damals unerreicht. Er wußte, daß ich voller Interesse für diese Balladen war, und so schrieb er mir eines Tages eine Karte, worin er sich für den folgenden Vormittag anmeldete. „Keine Umstände, ich werde Ihnen den Archibald Douglas vorsingen.“ Er kam auch, und obwohl der niedrige Raum, dazu Gardinen und Teppiche, den Vollklang seiner mächtigen Stimme sehr behinderten, so machte sein Vortrag doch einen großen Eindruck auf mich und die Menschen, die zugegen waren. Ich sprach ihm meinen herzlichen Dank aus und bot ihm ein Glas Wein an, so gut ich’s hatte, hinzusetzend, ich hätte Tags zuvor von einem in Wernigerode lebenden Freunde einige Flaschen „Wernigeröder“ erhalten, einen abgelagerten Kornus, von dem es<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
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Gesinnung ins Klare zu kommen. Er lachte. „Meinetwegen brauchen Sie sich nicht zu genieren. Ich denke über alles anders.“ Sein Leben bewies das. Er verheiratete sich mit einer polnisch-jüdischen Dame von großer musikalischer Bedeutung, ich glaube Pianistin von Beruf, und trat in Lebenskreise, die dem seiner Familie weitab lagen. Irgend einer Aktien- oder Kommanditgesellschaft als Agent oder Berater beigegeben, ging er in den ihm verbleibenden Mußestunden in Musik auf. Er war weit über allen Dilettantismus hinaus ein vorzüglicher Sänger und im Vortrag Löwe’scher Balladen damals unerreicht. Er wußte, daß ich voller Interesse für diese Balladen war, und so schrieb er mir eines Tages eine Karte, worin er sich für den folgenden Vormittag anmeldete. „Keine Umstände, ich werde Ihnen den Archibald Douglas vorsingen.“ Er kam auch, und obwohl der niedrige Raum, dazu Gardinen und Teppiche, den Vollklang seiner mächtigen Stimme sehr behinderten, so machte sein Vortrag doch einen großen Eindruck auf mich und die Menschen, die zugegen waren. Ich sprach ihm meinen herzlichen Dank aus und bot ihm ein Glas Wein an, so gut ich’s hatte, hinzusetzend, ich hätte Tags zuvor von einem in Wernigerode lebenden Freunde einige Flaschen „Wernigeröder“ erhalten, einen abgelagerten Kornus, von dem es
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Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/474>, abgerufen am 26.06.2024.
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