von der Frage der Freiheitlichkeit absieht, zahlloseste Gründe vorhanden waren: Anhänglichkeit an das eigene Herrscherhaus, Liebe zu einem patriarchalischen König, wie er in reinerer Gestalt nie da gewesen ist, Dankbarkeit, politischer Vorteil - weil zunächst wenigstens politische Sicherheit - und nicht zuletzt: ein bestimmtes und berechtigtes Prinzip. Dies muß ich ganz besonders betonen. Denn so gewiß ich, meinen Empfindungen und meiner Erkenntnis nach, alles Heil in der Freiheit sehe, so ist auch diese Frage, wie jede andere, nicht derartig abgethan, daß die entgegengesetzte Anschauung bloß Unsinn und Verbrechen wäre. Gott sei Dank, daß wir das Russische los sind, nicht mehr im Schlepptau fahren; aber ich kann mich über die nicht entrüsten, die vordem an Kaiser Nikolaus gehangen haben. Mit der sehr gefährlichen Anschauung muß, mein' ich, gebrochen werden, daß jeder Freiheitsschwärmer ein Ideal und jeder Kaiser Nikolausschwärmer ein Schufterle sei. Frankreich ist jetzt Republik und drängt sich huldigend an die russische Seite. Was über den Menschen entscheidet, ist seine Gesinnung, Ehrlichkeit der Ueberzeugungen. Und die hatte Louis Schneider, auch wenn er hundert Tabatieren empfangen haben sollte. Daß "ehrliche Manieren" - in denen Schneider, beiläufig, exzellierte - täuschen können, weiß ich; die
von der Frage der Freiheitlichkeit absieht, zahlloseste Gründe vorhanden waren: Anhänglichkeit an das eigene Herrscherhaus, Liebe zu einem patriarchalischen König, wie er in reinerer Gestalt nie da gewesen ist, Dankbarkeit, politischer Vorteil – weil zunächst wenigstens politische Sicherheit – und nicht zuletzt: ein bestimmtes und berechtigtes Prinzip. Dies muß ich ganz besonders betonen. Denn so gewiß ich, meinen Empfindungen und meiner Erkenntnis nach, alles Heil in der Freiheit sehe, so ist auch diese Frage, wie jede andere, nicht derartig abgethan, daß die entgegengesetzte Anschauung bloß Unsinn und Verbrechen wäre. Gott sei Dank, daß wir das Russische los sind, nicht mehr im Schlepptau fahren; aber ich kann mich über die nicht entrüsten, die vordem an Kaiser Nikolaus gehangen haben. Mit der sehr gefährlichen Anschauung muß, mein’ ich, gebrochen werden, daß jeder Freiheitsschwärmer ein Ideal und jeder Kaiser Nikolausschwärmer ein Schufterle sei. Frankreich ist jetzt Republik und drängt sich huldigend an die russische Seite. Was über den Menschen entscheidet, ist seine Gesinnung, Ehrlichkeit der Ueberzeugungen. Und die hatte Louis Schneider, auch wenn er hundert Tabatièren empfangen haben sollte. Daß „ehrliche Manieren“ – in denen Schneider, beiläufig, exzellierte – täuschen können, weiß ich; die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0427"n="418"/>
von der Frage der Freiheitlichkeit absieht, zahlloseste Gründe vorhanden waren: Anhänglichkeit an das eigene Herrscherhaus, Liebe zu einem patriarchalischen König, wie er in reinerer Gestalt nie da gewesen ist, Dankbarkeit, politischer Vorteil – weil zunächst wenigstens politische Sicherheit – und nicht zuletzt: ein bestimmtes und berechtigtes Prinzip. Dies muß ich ganz besonders betonen. Denn so gewiß ich, meinen Empfindungen und meiner Erkenntnis nach, alles Heil in der Freiheit sehe, so ist auch <hirendition="#g">diese</hi> Frage, wie jede andere, nicht derartig abgethan, daß die entgegengesetzte Anschauung bloß Unsinn und Verbrechen wäre. Gott sei Dank, daß wir das Russische los sind, nicht mehr im Schlepptau fahren; aber ich kann mich über <hirendition="#g">die</hi> nicht entrüsten, die vordem an Kaiser Nikolaus gehangen haben. Mit der sehr gefährlichen Anschauung muß, mein’ ich, gebrochen werden, daß jeder Freiheitsschwärmer ein Ideal und jeder Kaiser Nikolausschwärmer ein Schufterle sei. Frankreich ist jetzt Republik und drängt sich huldigend an die russische Seite. Was über den Menschen entscheidet, ist seine Gesinnung, Ehrlichkeit der Ueberzeugungen. Und <hirendition="#g">die</hi> hatte Louis Schneider, auch wenn er hundert Tabatièren empfangen haben sollte. Daß „ehrliche Manieren“– in denen Schneider, beiläufig, exzellierte – täuschen können, weiß ich; die<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[418/0427]
von der Frage der Freiheitlichkeit absieht, zahlloseste Gründe vorhanden waren: Anhänglichkeit an das eigene Herrscherhaus, Liebe zu einem patriarchalischen König, wie er in reinerer Gestalt nie da gewesen ist, Dankbarkeit, politischer Vorteil – weil zunächst wenigstens politische Sicherheit – und nicht zuletzt: ein bestimmtes und berechtigtes Prinzip. Dies muß ich ganz besonders betonen. Denn so gewiß ich, meinen Empfindungen und meiner Erkenntnis nach, alles Heil in der Freiheit sehe, so ist auch diese Frage, wie jede andere, nicht derartig abgethan, daß die entgegengesetzte Anschauung bloß Unsinn und Verbrechen wäre. Gott sei Dank, daß wir das Russische los sind, nicht mehr im Schlepptau fahren; aber ich kann mich über die nicht entrüsten, die vordem an Kaiser Nikolaus gehangen haben. Mit der sehr gefährlichen Anschauung muß, mein’ ich, gebrochen werden, daß jeder Freiheitsschwärmer ein Ideal und jeder Kaiser Nikolausschwärmer ein Schufterle sei. Frankreich ist jetzt Republik und drängt sich huldigend an die russische Seite. Was über den Menschen entscheidet, ist seine Gesinnung, Ehrlichkeit der Ueberzeugungen. Und die hatte Louis Schneider, auch wenn er hundert Tabatièren empfangen haben sollte. Daß „ehrliche Manieren“ – in denen Schneider, beiläufig, exzellierte – täuschen können, weiß ich; die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/427>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.