Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.Unfähigkeit den Seelen anderer auf den Grund zu sehen, daß sich dies Hochgradige nur aus einer gewissen Unlust, "sich auf irgendwie ernste Untersuchungen einzulassen", erklären läßt. Die Meisten nehmen, so lange sich's einigermaßen mit ihrem Vorteil verträgt, alles so, wie's bequem-zugänglich obenauf liegt. Genau so war es mit dem Tunnel-Urteil über Schneider. Ich glaube nicht, daß jemand da war, der sich ernstlich mit seiner Wertfrage beschäftigt hätte. Man redete darauf los, von Voreingenommenheiten ausgehend. Es soll nicht geleugnet werden, Schneider war ein ungeheurer Faiseur, immer mußte was "gemacht", versammelt, zusammengetrommelt werden. Wer ihn gekannt, weiß das. Es gab damals ein Lustspiel "Er mengt sich in alles", dessen komische Hauptfigur den Namen Mengler führte. Solch Mengler war er. Aber wenn dies auch gelegentlich störend wirkte, so viel bleibt: er war ein wohlmeinender Mann und alle Verketzerung, der er immer wieder und wieder begegnete, lief darauf hinaus, "daß er das Heil Preußens ausschließlich in einem innigen Bündnis mit Rußland erkenne." Sein Leben, wenn wir Frankreich statt Rußland setzen, erinnert an das Lombards. Lombard war klüger, Schneider ehrlicher und überzeugter. Unfähigkeit den Seelen anderer auf den Grund zu sehen, daß sich dies Hochgradige nur aus einer gewissen Unlust, „sich auf irgendwie ernste Untersuchungen einzulassen“, erklären läßt. Die Meisten nehmen, so lange sich’s einigermaßen mit ihrem Vorteil verträgt, alles so, wie’s bequem-zugänglich obenauf liegt. Genau so war es mit dem Tunnel-Urteil über Schneider. Ich glaube nicht, daß jemand da war, der sich ernstlich mit seiner Wertfrage beschäftigt hätte. Man redete darauf los, von Voreingenommenheiten ausgehend. Es soll nicht geleugnet werden, Schneider war ein ungeheurer Faiseur, immer mußte was „gemacht“, versammelt, zusammengetrommelt werden. Wer ihn gekannt, weiß das. Es gab damals ein Lustspiel „Er mengt sich in alles“, dessen komische Hauptfigur den Namen Mengler führte. Solch Mengler war er. Aber wenn dies auch gelegentlich störend wirkte, so viel bleibt: er war ein wohlmeinender Mann und alle Verketzerung, der er immer wieder und wieder begegnete, lief darauf hinaus, „daß er das Heil Preußens ausschließlich in einem innigen Bündnis mit Rußland erkenne.“ Sein Leben, wenn wir Frankreich statt Rußland setzen, erinnert an das Lombards. Lombard war klüger, Schneider ehrlicher und überzeugter. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0422" n="413"/> Unfähigkeit den Seelen anderer auf den Grund zu sehen, daß sich dies Hochgradige nur aus einer gewissen Unlust, „sich auf irgendwie ernste Untersuchungen einzulassen“, erklären läßt. Die Meisten nehmen, so lange sich’s einigermaßen mit ihrem Vorteil verträgt, alles so, wie’s bequem-zugänglich obenauf liegt. Genau so war es mit dem Tunnel-Urteil über Schneider. Ich glaube nicht, daß jemand da war, der sich ernstlich mit seiner Wertfrage beschäftigt hätte. Man redete darauf los, von Voreingenommenheiten ausgehend. Es soll nicht geleugnet werden, Schneider war ein ungeheurer Faiseur, immer mußte was „gemacht“, versammelt, zusammengetrommelt werden. Wer ihn gekannt, weiß das. Es gab damals ein Lustspiel „Er mengt sich in alles“, dessen komische Hauptfigur den Namen Mengler führte. Solch Mengler war er. Aber wenn dies auch gelegentlich störend wirkte, so viel bleibt: er war ein wohlmeinender Mann und alle Verketzerung, der er immer wieder und wieder begegnete, lief darauf hinaus, „daß er das Heil Preußens ausschließlich in einem innigen Bündnis mit Rußland erkenne.“ Sein Leben, wenn wir Frankreich statt Rußland setzen, erinnert an das Lombards. Lombard war klüger, Schneider ehrlicher und überzeugter.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [413/0422]
Unfähigkeit den Seelen anderer auf den Grund zu sehen, daß sich dies Hochgradige nur aus einer gewissen Unlust, „sich auf irgendwie ernste Untersuchungen einzulassen“, erklären läßt. Die Meisten nehmen, so lange sich’s einigermaßen mit ihrem Vorteil verträgt, alles so, wie’s bequem-zugänglich obenauf liegt. Genau so war es mit dem Tunnel-Urteil über Schneider. Ich glaube nicht, daß jemand da war, der sich ernstlich mit seiner Wertfrage beschäftigt hätte. Man redete darauf los, von Voreingenommenheiten ausgehend. Es soll nicht geleugnet werden, Schneider war ein ungeheurer Faiseur, immer mußte was „gemacht“, versammelt, zusammengetrommelt werden. Wer ihn gekannt, weiß das. Es gab damals ein Lustspiel „Er mengt sich in alles“, dessen komische Hauptfigur den Namen Mengler führte. Solch Mengler war er. Aber wenn dies auch gelegentlich störend wirkte, so viel bleibt: er war ein wohlmeinender Mann und alle Verketzerung, der er immer wieder und wieder begegnete, lief darauf hinaus, „daß er das Heil Preußens ausschließlich in einem innigen Bündnis mit Rußland erkenne.“ Sein Leben, wenn wir Frankreich statt Rußland setzen, erinnert an das Lombards. Lombard war klüger, Schneider ehrlicher und überzeugter.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).
(2018-07-25T10:02:20Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T10:02:20Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |