Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.Zu Methfessels amtlichen Obliegenheiten gehörten auch Inspektionen, darunter als Feinstes Inspektionen höherer Töchterschulen. Eine dieser Töchterschulen, zugleich mit einem vornehmen Pensionate verbunden, war ihm schon längst ein Dorn im Auge. Vielleicht, daß er das eine oder das andere gehört hatte, was der Schul- und Pensionsvorsteherin, einer hübschen, stattlichen Dame, nachteilig war. Doch möchte ich dies andererseits bezweifeln, wenigstens die Berechtigung dazu; denn ich habe die Dame selbst noch sehr gut gekannt. Ich wohnte mit ihr in demselben Hause. Nun also, Methfessel kam, um nach dem Rechten zu sehen. Er erschien in einer der oberen Klassen, und während der Unterricht seinen Verlauf nahm, ging er von Platz zu Platz und revidierte die Hefte. Gleich auf der zweiten Reihe saß eine fünfzehnjährige Blondine, reizendes Geschöpf; Methfessel durchblätterte das Diarium, kam bis auf die letzte Seite, warf einen flüchtigen Blick auf das wie mit Blut übergossene junge Ding und steckte das Heft in die Brusttasche. Den anderen Vormittag ließ er sich bei der Mutter melden, einer vornehmen, reichen Dame, selbst noch jung. Er erzählte, was nötig war, und überreichte dann das Heft. Die junge Frau - ihre verhältnismäßige Jugend mag es entschuldigen - ließ sich zu der Unwahrheit hinreißen, "daß sie Zu Methfessels amtlichen Obliegenheiten gehörten auch Inspektionen, darunter als Feinstes Inspektionen höherer Töchterschulen. Eine dieser Töchterschulen, zugleich mit einem vornehmen Pensionate verbunden, war ihm schon längst ein Dorn im Auge. Vielleicht, daß er das eine oder das andere gehört hatte, was der Schul- und Pensionsvorsteherin, einer hübschen, stattlichen Dame, nachteilig war. Doch möchte ich dies andererseits bezweifeln, wenigstens die Berechtigung dazu; denn ich habe die Dame selbst noch sehr gut gekannt. Ich wohnte mit ihr in demselben Hause. Nun also, Methfessel kam, um nach dem Rechten zu sehen. Er erschien in einer der oberen Klassen, und während der Unterricht seinen Verlauf nahm, ging er von Platz zu Platz und revidierte die Hefte. Gleich auf der zweiten Reihe saß eine fünfzehnjährige Blondine, reizendes Geschöpf; Methfessel durchblätterte das Diarium, kam bis auf die letzte Seite, warf einen flüchtigen Blick auf das wie mit Blut übergossene junge Ding und steckte das Heft in die Brusttasche. Den anderen Vormittag ließ er sich bei der Mutter melden, einer vornehmen, reichen Dame, selbst noch jung. Er erzählte, was nötig war, und überreichte dann das Heft. Die junge Frau – ihre verhältnismäßige Jugend mag es entschuldigen – ließ sich zu der Unwahrheit hinreißen, „daß sie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0411" n="402"/> <p>Zu Methfessels amtlichen Obliegenheiten gehörten auch Inspektionen, darunter als Feinstes Inspektionen höherer Töchterschulen. Eine dieser Töchterschulen, zugleich mit einem vornehmen Pensionate verbunden, war ihm schon längst ein Dorn im Auge. Vielleicht, daß er das eine oder das andere gehört hatte, was der Schul- und Pensionsvorsteherin, einer hübschen, stattlichen Dame, nachteilig war. Doch möchte ich dies andererseits bezweifeln, wenigstens die Berechtigung dazu; denn ich habe die Dame selbst noch sehr gut gekannt. Ich wohnte mit ihr in demselben Hause. Nun also, Methfessel kam, um nach dem Rechten zu sehen. Er erschien in einer der oberen Klassen, und während der Unterricht seinen Verlauf nahm, ging er von Platz zu Platz und revidierte die Hefte. Gleich auf der zweiten Reihe saß eine fünfzehnjährige Blondine, reizendes Geschöpf; Methfessel durchblätterte das Diarium, kam bis auf die letzte Seite, warf einen flüchtigen Blick auf das wie mit Blut übergossene junge Ding und steckte das Heft in die Brusttasche. Den anderen Vormittag ließ er sich bei der Mutter melden, einer vornehmen, reichen Dame, selbst noch jung. Er erzählte, was nötig war, und überreichte dann das Heft. Die junge Frau – ihre verhältnismäßige Jugend mag es entschuldigen – ließ sich zu der Unwahrheit hinreißen, „daß sie<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [402/0411]
Zu Methfessels amtlichen Obliegenheiten gehörten auch Inspektionen, darunter als Feinstes Inspektionen höherer Töchterschulen. Eine dieser Töchterschulen, zugleich mit einem vornehmen Pensionate verbunden, war ihm schon längst ein Dorn im Auge. Vielleicht, daß er das eine oder das andere gehört hatte, was der Schul- und Pensionsvorsteherin, einer hübschen, stattlichen Dame, nachteilig war. Doch möchte ich dies andererseits bezweifeln, wenigstens die Berechtigung dazu; denn ich habe die Dame selbst noch sehr gut gekannt. Ich wohnte mit ihr in demselben Hause. Nun also, Methfessel kam, um nach dem Rechten zu sehen. Er erschien in einer der oberen Klassen, und während der Unterricht seinen Verlauf nahm, ging er von Platz zu Platz und revidierte die Hefte. Gleich auf der zweiten Reihe saß eine fünfzehnjährige Blondine, reizendes Geschöpf; Methfessel durchblätterte das Diarium, kam bis auf die letzte Seite, warf einen flüchtigen Blick auf das wie mit Blut übergossene junge Ding und steckte das Heft in die Brusttasche. Den anderen Vormittag ließ er sich bei der Mutter melden, einer vornehmen, reichen Dame, selbst noch jung. Er erzählte, was nötig war, und überreichte dann das Heft. Die junge Frau – ihre verhältnismäßige Jugend mag es entschuldigen – ließ sich zu der Unwahrheit hinreißen, „daß sie
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).
(2018-07-25T10:02:20Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T10:02:20Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |