Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.etwas abweichenden Standpunkt ein und sah mit überlegenem Lächeln auf Pedantismus und preußischen Drill hernieder. Er war eben für Individualität und Freiheit, beides "ungedeelt". Eines Abends saßen wir munter zu Tisch, und die Bowle, die den Schluß machen sollte, war eben aufgetragen, als ich mit einem Male wahrnahm, daß sich unser Freund Merckel nicht nur verfärbte, sondern auch ziemlich erregt unter dem Tisch recherchierte. Richtig, da hockte noch der Uebelthäter: einer der kleineren Storm'schen Söhne, der sich heimlich unter das Tischtuch verkrochen und hier unseren kleinen Kammergerichtsrat, vor dem wir alle einen heillosen Respekt hatten, in die Wade gebissen hatte. Storm mißbilligte diesen Akt, hielt seine Mißbilligung aber doch in ganz eigentümlich gemäßigten Grenzen, was dann, auf der Rückfahrt, einen unerschöpflichen Stoff für unsere Koupeeunterhaltung abgab. Schließlich, so viel ist gewiß, werden die Menschen das, was sie werden sollen, und so darf man an derlei Dinge nicht allzu ernste Betrachtungen knüpfen; aber das hab' ich doch immer wieder und wieder gefunden, daß Lyriker, und ganz besonders Romantiker, durch erzieherische Gaben nur sehr ausnahmsweise glänzen. etwas abweichenden Standpunkt ein und sah mit überlegenem Lächeln auf Pedantismus und preußischen Drill hernieder. Er war eben für Individualität und Freiheit, beides „ungedeelt“. Eines Abends saßen wir munter zu Tisch, und die Bowle, die den Schluß machen sollte, war eben aufgetragen, als ich mit einem Male wahrnahm, daß sich unser Freund Merckel nicht nur verfärbte, sondern auch ziemlich erregt unter dem Tisch recherchierte. Richtig, da hockte noch der Uebelthäter: einer der kleineren Storm’schen Söhne, der sich heimlich unter das Tischtuch verkrochen und hier unseren kleinen Kammergerichtsrat, vor dem wir alle einen heillosen Respekt hatten, in die Wade gebissen hatte. Storm mißbilligte diesen Akt, hielt seine Mißbilligung aber doch in ganz eigentümlich gemäßigten Grenzen, was dann, auf der Rückfahrt, einen unerschöpflichen Stoff für unsere Koupeeunterhaltung abgab. Schließlich, so viel ist gewiß, werden die Menschen das, was sie werden sollen, und so darf man an derlei Dinge nicht allzu ernste Betrachtungen knüpfen; aber das hab’ ich doch immer wieder und wieder gefunden, daß Lyriker, und ganz besonders Romantiker, durch erzieherische Gaben nur sehr ausnahmsweise glänzen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0371" n="362"/> etwas abweichenden Standpunkt ein und sah mit überlegenem Lächeln auf Pedantismus und preußischen Drill hernieder. Er war eben für Individualität und Freiheit, beides „ungedeelt“. Eines Abends saßen wir munter zu Tisch, und die Bowle, die den Schluß machen sollte, war eben aufgetragen, als ich mit einem Male wahrnahm, daß sich unser Freund Merckel nicht nur verfärbte, sondern auch ziemlich erregt unter dem Tisch recherchierte. Richtig, da hockte noch der Uebelthäter: einer der kleineren Storm’schen Söhne, der sich heimlich unter das Tischtuch verkrochen und hier unseren kleinen Kammergerichtsrat, vor dem wir alle einen heillosen Respekt hatten, in die Wade gebissen hatte. Storm mißbilligte diesen Akt, hielt seine Mißbilligung aber doch in ganz eigentümlich gemäßigten Grenzen, was dann, auf der Rückfahrt, einen unerschöpflichen Stoff für unsere Koupeeunterhaltung abgab. Schließlich, so viel ist gewiß, werden die Menschen <hi rendition="#g">das</hi>, was sie werden sollen, und so darf man an derlei Dinge nicht allzu ernste Betrachtungen knüpfen; aber das hab’ ich doch immer wieder und wieder gefunden, daß Lyriker, und ganz besonders Romantiker, durch erzieherische Gaben nur sehr ausnahmsweise glänzen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [362/0371]
etwas abweichenden Standpunkt ein und sah mit überlegenem Lächeln auf Pedantismus und preußischen Drill hernieder. Er war eben für Individualität und Freiheit, beides „ungedeelt“. Eines Abends saßen wir munter zu Tisch, und die Bowle, die den Schluß machen sollte, war eben aufgetragen, als ich mit einem Male wahrnahm, daß sich unser Freund Merckel nicht nur verfärbte, sondern auch ziemlich erregt unter dem Tisch recherchierte. Richtig, da hockte noch der Uebelthäter: einer der kleineren Storm’schen Söhne, der sich heimlich unter das Tischtuch verkrochen und hier unseren kleinen Kammergerichtsrat, vor dem wir alle einen heillosen Respekt hatten, in die Wade gebissen hatte. Storm mißbilligte diesen Akt, hielt seine Mißbilligung aber doch in ganz eigentümlich gemäßigten Grenzen, was dann, auf der Rückfahrt, einen unerschöpflichen Stoff für unsere Koupeeunterhaltung abgab. Schließlich, so viel ist gewiß, werden die Menschen das, was sie werden sollen, und so darf man an derlei Dinge nicht allzu ernste Betrachtungen knüpfen; aber das hab’ ich doch immer wieder und wieder gefunden, daß Lyriker, und ganz besonders Romantiker, durch erzieherische Gaben nur sehr ausnahmsweise glänzen.
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(2018-07-25T10:02:20Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T10:02:20Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
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