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Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.

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Eintritt in die Keller der East India-Docks zu verschaffen. Diese Keller sind Weinkeller von ungeheurer Ausdehnung, unterirdische Stadtteile mit langen, langen Straßen, an denen sich, statt der Häuser, mächtige, meist übereinander getürmte Fässer hinziehen. In diese Keller stiegen wir hinab und sahen uns sofort mit jener Kulanz begrüßt, die dem englischen Geschäftsbetrieb eigentümlich ist und jede Berührung mit ihm so wohlthuend macht. Gewiß, die Engländer sind Egoisten, ja, sind es unter Umständen und zwar namentlich da, wo sie unter der Frömmigkeitsflagge segeln, bis zum Entsetzlichen; aber sie haben doch auch jenen forschen Egoismus, der zu geben und zu opfern versteht. Und nun gar erst pfennigfuchsende Kleinlichkeiten, - die sind als unwürdig ausgeschlossen. In unserem Falle war es eine uns zu Liebe mit Courtoisie durchgeführte "gefällige Fiktion", daß wir vorhätten, Einkäufe zu machen, während doch jeder wußte, daß dies nicht der Fall sei und daß wir nur gekommen seien, um eine Londoner Merkwürdigkeit zu sehen und zugleich einen Frühstückstrunk zu thun. Das thaten wir denn auch redlich. Die ganze Scene hatte was von Auerbachs-Keller; wie dort der Tisch, so wurden hier die Fässer angebohrt. "Euch soll sogleich Tokaier fließen". Uns aber floß Port und Sherry.

Eintritt in die Keller der East India-Docks zu verschaffen. Diese Keller sind Weinkeller von ungeheurer Ausdehnung, unterirdische Stadtteile mit langen, langen Straßen, an denen sich, statt der Häuser, mächtige, meist übereinander getürmte Fässer hinziehen. In diese Keller stiegen wir hinab und sahen uns sofort mit jener Kulanz begrüßt, die dem englischen Geschäftsbetrieb eigentümlich ist und jede Berührung mit ihm so wohlthuend macht. Gewiß, die Engländer sind Egoisten, ja, sind es unter Umständen und zwar namentlich da, wo sie unter der Frömmigkeitsflagge segeln, bis zum Entsetzlichen; aber sie haben doch auch jenen forschen Egoismus, der zu geben und zu opfern versteht. Und nun gar erst pfennigfuchsende Kleinlichkeiten, – die sind als unwürdig ausgeschlossen. In unserem Falle war es eine uns zu Liebe mit Courtoisie durchgeführte „gefällige Fiktion“, daß wir vorhätten, Einkäufe zu machen, während doch jeder wußte, daß dies nicht der Fall sei und daß wir nur gekommen seien, um eine Londoner Merkwürdigkeit zu sehen und zugleich einen Frühstückstrunk zu thun. Das thaten wir denn auch redlich. Die ganze Scene hatte was von Auerbachs-Keller; wie dort der Tisch, so wurden hier die Fässer angebohrt. „Euch soll sogleich Tokaier fließen“. Uns aber floß Port und Sherry.

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Eintritt in die Keller der East India-Docks zu verschaffen. Diese Keller sind Weinkeller von ungeheurer Ausdehnung, unterirdische Stadtteile mit langen, langen Straßen, an denen sich, statt der Häuser, mächtige, meist übereinander getürmte Fässer hinziehen. In diese Keller stiegen wir hinab und sahen uns sofort mit jener Kulanz begrüßt, die dem englischen Geschäftsbetrieb eigentümlich ist und jede Berührung mit ihm so wohlthuend macht. Gewiß, die Engländer sind Egoisten, ja, sind es unter Umständen und zwar namentlich da, wo sie unter der Frömmigkeitsflagge segeln, bis zum Entsetzlichen; aber sie haben doch auch jenen <hi rendition="#g">forschen</hi> Egoismus, der zu geben und zu opfern versteht. Und nun gar erst pfennigfuchsende Kleinlichkeiten, &#x2013; die sind als unwürdig ausgeschlossen. In unserem Falle war es eine uns zu Liebe mit Courtoisie durchgeführte &#x201E;gefällige Fiktion&#x201C;, daß wir vorhätten, Einkäufe zu machen, während doch jeder wußte, daß dies <hi rendition="#g">nicht</hi> der Fall sei und daß wir nur gekommen seien, um eine Londoner Merkwürdigkeit zu sehen und zugleich einen Frühstückstrunk zu thun. Das thaten wir denn auch redlich. Die ganze Scene hatte was von Auerbachs-Keller; wie dort der Tisch, so wurden hier die Fässer angebohrt. &#x201E;Euch soll sogleich Tokaier fließen&#x201C;. Uns aber floß Port und Sherry.<lb/></p>
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[243/0252] Eintritt in die Keller der East India-Docks zu verschaffen. Diese Keller sind Weinkeller von ungeheurer Ausdehnung, unterirdische Stadtteile mit langen, langen Straßen, an denen sich, statt der Häuser, mächtige, meist übereinander getürmte Fässer hinziehen. In diese Keller stiegen wir hinab und sahen uns sofort mit jener Kulanz begrüßt, die dem englischen Geschäftsbetrieb eigentümlich ist und jede Berührung mit ihm so wohlthuend macht. Gewiß, die Engländer sind Egoisten, ja, sind es unter Umständen und zwar namentlich da, wo sie unter der Frömmigkeitsflagge segeln, bis zum Entsetzlichen; aber sie haben doch auch jenen forschen Egoismus, der zu geben und zu opfern versteht. Und nun gar erst pfennigfuchsende Kleinlichkeiten, – die sind als unwürdig ausgeschlossen. In unserem Falle war es eine uns zu Liebe mit Courtoisie durchgeführte „gefällige Fiktion“, daß wir vorhätten, Einkäufe zu machen, während doch jeder wußte, daß dies nicht der Fall sei und daß wir nur gekommen seien, um eine Londoner Merkwürdigkeit zu sehen und zugleich einen Frühstückstrunk zu thun. Das thaten wir denn auch redlich. Die ganze Scene hatte was von Auerbachs-Keller; wie dort der Tisch, so wurden hier die Fässer angebohrt. „Euch soll sogleich Tokaier fließen“. Uns aber floß Port und Sherry.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). (2018-07-25T10:02:20Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-25T10:02:20Z)

Weitere Informationen:

Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).

Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/252>, abgerufen am 10.06.2024.