Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.waren weiter nichts als ein Wiederanknüpfen an lang zurückliegende Berliner Tage, von denen ich weiterhin erzählen werde. Tante Pinchen hatte mancherlei Tugenden, half gern und that es auch wohl aus gutem Herzen; aber das eigentlich treibende Motiv ihres Thuns war doch ein schauspielerischer Zug, ein unbezwingbarer Hang sich als rettender Engel in Szene zu setzen. Sie gab sich auch dementsprechend, war immer einfach, aber äußerst sauber gekleidet und trug ein italienisches Spitzentuch, das ziemlich kokett über das aschblonde Haar gelegt und unter dem Kinn in einen zierlichen Knoten geschlungen war. Sie machte mir die Apfelsinen - immer Pontac-Apfelsinen, für die ich eine Vorliebe hatte - mit vieler Geschicklichkeit zurecht und unterhielt mich mit noch größerer Virtuosität, wiewohl sie nicht eigentlich interessant war und das, was sie davon hatte, durch eine gewisse Gespreitztheit jeden Augenblick wieder in Frage stellte. Lieblingsthema war ein auf ihrer Seite wenigstens diplomatisches Paralleleziehn zwischen den Berliner und Leipziger Freunden und weil ich die einen wie die andern gut kannte, so half ich ihr immer mit ziemlich deutlichen Worten nach, während sie selber absichtlich undeutlich sprach, um sich auf diese Weise jederzeit eine Rückzugslinie zu sichern. waren weiter nichts als ein Wiederanknüpfen an lang zurückliegende Berliner Tage, von denen ich weiterhin erzählen werde. Tante Pinchen hatte mancherlei Tugenden, half gern und that es auch wohl aus gutem Herzen; aber das eigentlich treibende Motiv ihres Thuns war doch ein schauspielerischer Zug, ein unbezwingbarer Hang sich als rettender Engel in Szene zu setzen. Sie gab sich auch dementsprechend, war immer einfach, aber äußerst sauber gekleidet und trug ein italienisches Spitzentuch, das ziemlich kokett über das aschblonde Haar gelegt und unter dem Kinn in einen zierlichen Knoten geschlungen war. Sie machte mir die Apfelsinen – immer Pontac-Apfelsinen, für die ich eine Vorliebe hatte – mit vieler Geschicklichkeit zurecht und unterhielt mich mit noch größerer Virtuosität, wiewohl sie nicht eigentlich interessant war und das, was sie davon hatte, durch eine gewisse Gespreitztheit jeden Augenblick wieder in Frage stellte. Lieblingsthema war ein auf ihrer Seite wenigstens diplomatisches Paralleleziehn zwischen den Berliner und Leipziger Freunden und weil ich die einen wie die andern gut kannte, so half ich ihr immer mit ziemlich deutlichen Worten nach, während sie selber absichtlich undeutlich sprach, um sich auf diese Weise jederzeit eine Rückzugslinie zu sichern. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0175" n="166"/> waren weiter nichts als ein Wiederanknüpfen an lang zurückliegende Berliner Tage, von denen ich weiterhin erzählen werde. Tante Pinchen hatte mancherlei Tugenden, half gern und that es auch wohl aus gutem Herzen; aber das eigentlich treibende Motiv ihres Thuns war doch ein schauspielerischer Zug, ein unbezwingbarer Hang sich als rettender Engel in Szene zu setzen. Sie gab sich auch dementsprechend, war immer einfach, aber äußerst sauber gekleidet und trug ein italienisches Spitzentuch, das ziemlich kokett über das aschblonde Haar gelegt und unter dem Kinn in einen zierlichen Knoten geschlungen war. Sie machte mir die Apfelsinen – immer Pontac-Apfelsinen, für die ich eine Vorliebe hatte – mit vieler Geschicklichkeit zurecht und unterhielt mich mit noch größerer Virtuosität, wiewohl sie nicht eigentlich interessant war und das, was sie davon hatte, durch eine gewisse Gespreitztheit jeden Augenblick wieder in Frage stellte. Lieblingsthema war ein auf ihrer Seite wenigstens diplomatisches Paralleleziehn zwischen den Berliner und Leipziger Freunden und weil ich die einen wie die andern gut kannte, so half ich ihr immer mit ziemlich deutlichen Worten nach, während sie selber absichtlich undeutlich sprach, um sich auf diese Weise jederzeit eine Rückzugslinie zu sichern.<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [166/0175]
waren weiter nichts als ein Wiederanknüpfen an lang zurückliegende Berliner Tage, von denen ich weiterhin erzählen werde. Tante Pinchen hatte mancherlei Tugenden, half gern und that es auch wohl aus gutem Herzen; aber das eigentlich treibende Motiv ihres Thuns war doch ein schauspielerischer Zug, ein unbezwingbarer Hang sich als rettender Engel in Szene zu setzen. Sie gab sich auch dementsprechend, war immer einfach, aber äußerst sauber gekleidet und trug ein italienisches Spitzentuch, das ziemlich kokett über das aschblonde Haar gelegt und unter dem Kinn in einen zierlichen Knoten geschlungen war. Sie machte mir die Apfelsinen – immer Pontac-Apfelsinen, für die ich eine Vorliebe hatte – mit vieler Geschicklichkeit zurecht und unterhielt mich mit noch größerer Virtuosität, wiewohl sie nicht eigentlich interessant war und das, was sie davon hatte, durch eine gewisse Gespreitztheit jeden Augenblick wieder in Frage stellte. Lieblingsthema war ein auf ihrer Seite wenigstens diplomatisches Paralleleziehn zwischen den Berliner und Leipziger Freunden und weil ich die einen wie die andern gut kannte, so half ich ihr immer mit ziemlich deutlichen Worten nach, während sie selber absichtlich undeutlich sprach, um sich auf diese Weise jederzeit eine Rückzugslinie zu sichern.
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(2018-07-25T10:02:20Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T10:02:20Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
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