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Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.

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Drei Jahre später - 1844 -, als ich Soldat war, besuchte mich Günther in Berlin. Wir gingen ins Theater und kneipten bis in die Nacht hinein. Auf dem Heimwege redeten wir Welten und kamen vom Hundertsten ins Tausendste. Mit einem Male blieb er stehen und sagte: "Schade, daß Sie so sehr Nihilist sind, nicht ein russischer, sondern ein recht eigentlicher, will also sagen einer, der gar nichts weiß." Solche Sätze, wie die meisten, die einem nicht schmeicheln, bleiben einem im Gedächtnis.

Das war Anno 1844. Wenn ich nicht irre, war er 1848 und 1849 noch in Deutschland und Mitglied des Frankfurter Parlaments. Aber bald danach - die Erschießung seines Schwagers Robert Blum in Wien und die Maikämpfe in Dresden mochten ihm den Boden unter den Füßen etwas zu heiß gemacht haben - verließ er Deutschland und ging

Aus solchem Stoffe macht man Präsidenten. Lincoln war häßlicher und Cleveland ist nicht viel hübscher. Wäre das Unmögliche damals in Deutschland möglich gewesen, es hätte sich nur um Blum oder Gagern handeln können. Aber Blum hätte gesiegt, denn er war der beste Ausdruck des liberalen, meinetwegen klein-deutschen Bürgertums." So Wesendonck. Möglich ist alles. Aber nach dem Eindruck, den ich meinerseits von Blum empfangen habe, hätte er zu einem "Präsidenten von Deutschland" nicht ausgereicht, auch achtundvierzig nicht. Es hätte dazu der Reaktion nicht bedurft, er wäre schon am Professorentum gescheitert.

Drei Jahre später – 1844 –, als ich Soldat war, besuchte mich Günther in Berlin. Wir gingen ins Theater und kneipten bis in die Nacht hinein. Auf dem Heimwege redeten wir Welten und kamen vom Hundertsten ins Tausendste. Mit einem Male blieb er stehen und sagte: „Schade, daß Sie so sehr Nihilist sind, nicht ein russischer, sondern ein recht eigentlicher, will also sagen einer, der gar nichts weiß.“ Solche Sätze, wie die meisten, die einem nicht schmeicheln, bleiben einem im Gedächtnis.

Das war Anno 1844. Wenn ich nicht irre, war er 1848 und 1849 noch in Deutschland und Mitglied des Frankfurter Parlaments. Aber bald danach – die Erschießung seines Schwagers Robert Blum in Wien und die Maikämpfe in Dresden mochten ihm den Boden unter den Füßen etwas zu heiß gemacht haben – verließ er Deutschland und ging

Aus solchem Stoffe macht man Präsidenten. Lincoln war häßlicher und Cleveland ist nicht viel hübscher. Wäre das Unmögliche damals in Deutschland möglich gewesen, es hätte sich nur um Blum oder Gagern handeln können. Aber Blum hätte gesiegt, denn er war der beste Ausdruck des liberalen, meinetwegen klein-deutschen Bürgertums.“ So Wesendonck. Möglich ist alles. Aber nach dem Eindruck, den ich meinerseits von Blum empfangen habe, hätte er zu einem „Präsidenten von Deutschland“ nicht ausgereicht, auch achtundvierzig nicht. Es hätte dazu der Reaktion nicht bedurft, er wäre schon am Professorentum gescheitert.
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[143/0152] Drei Jahre später – 1844 –, als ich Soldat war, besuchte mich Günther in Berlin. Wir gingen ins Theater und kneipten bis in die Nacht hinein. Auf dem Heimwege redeten wir Welten und kamen vom Hundertsten ins Tausendste. Mit einem Male blieb er stehen und sagte: „Schade, daß Sie so sehr Nihilist sind, nicht ein russischer, sondern ein recht eigentlicher, will also sagen einer, der gar nichts weiß.“ Solche Sätze, wie die meisten, die einem nicht schmeicheln, bleiben einem im Gedächtnis. Das war Anno 1844. Wenn ich nicht irre, war er 1848 und 1849 noch in Deutschland und Mitglied des Frankfurter Parlaments. Aber bald danach – die Erschießung seines Schwagers Robert Blum in Wien und die Maikämpfe in Dresden mochten ihm den Boden unter den Füßen etwas zu heiß gemacht haben – verließ er Deutschland und ging *) *) Aus solchem Stoffe macht man Präsidenten. Lincoln war häßlicher und Cleveland ist nicht viel hübscher. Wäre das Unmögliche damals in Deutschland möglich gewesen, es hätte sich nur um Blum oder Gagern handeln können. Aber Blum hätte gesiegt, denn er war der beste Ausdruck des liberalen, meinetwegen klein-deutschen Bürgertums.“ So Wesendonck. Möglich ist alles. Aber nach dem Eindruck, den ich meinerseits von Blum empfangen habe, hätte er zu einem „Präsidenten von Deutschland“ nicht ausgereicht, auch achtundvierzig nicht. Es hätte dazu der Reaktion nicht bedurft, er wäre schon am Professorentum gescheitert.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). (2018-07-25T10:02:20Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-25T10:02:20Z)

Weitere Informationen:

Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).

Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_zwanzig_1898/152>, abgerufen am 24.11.2024.