Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.Ich litt aber nicht lange darunter, was wohl damit zusammenhing, daß ich, von Natur ängstlich, sofort unängstlich werde, wenn Personen oder Verhältnisse mich ängstlich machen wollen. Also noch einmal, ich kam mit dem in der ganzen Stadt gefürchteten Manne sehr gut aus und hatte mich nur über eins zu beschweren, was mein Dr. Kannenberg - so hieß er - beim besten Willen nicht ändern konnte: grausame Langeweile. Daß Haus und Stadt ausschließlich daran schuld gewesen seien, darf ich nicht behaupten; es lag viel mehr an mir selbst, der ich nie die Kunst verstanden, mich an einer Skat- oder Kegelpartie zu beteiligen, trotzdem ich immer eine herzliche Vorliebe für natürliche Menschen gehabt, auch jederzeit auf dem denkbar besten Fuße mit ihnen gelebt habe, wenn nur erst das Eis gebrochen war. Dazu kam es aber nicht, und bereits am 30. Dezember früh - es war mein Geburtstag, den ich dadurch feierte - verließ ich Burg in einer bis Genthin gehenden Fahrpost. Diese Postwagenstunden sind mir unvergeßlich geblieben; ich verbrachte sie nämlich mit zwei Schauspielerinnen, von denen die ältere, die wohl schon Ende dreißig sein mochte, mich entzückte. Sie fühlte mit der solchen Damen eigenen Klugheit rasch eine gewisse Metierverwandtschaft heraus, nahm mich ganz als bon enfant Ich litt aber nicht lange darunter, was wohl damit zusammenhing, daß ich, von Natur ängstlich, sofort unängstlich werde, wenn Personen oder Verhältnisse mich ängstlich machen wollen. Also noch einmal, ich kam mit dem in der ganzen Stadt gefürchteten Manne sehr gut aus und hatte mich nur über eins zu beschweren, was mein Dr. Kannenberg – so hieß er – beim besten Willen nicht ändern konnte: grausame Langeweile. Daß Haus und Stadt ausschließlich daran schuld gewesen seien, darf ich nicht behaupten; es lag viel mehr an mir selbst, der ich nie die Kunst verstanden, mich an einer Skat- oder Kegelpartie zu beteiligen, trotzdem ich immer eine herzliche Vorliebe für natürliche Menschen gehabt, auch jederzeit auf dem denkbar besten Fuße mit ihnen gelebt habe, wenn nur erst das Eis gebrochen war. Dazu kam es aber nicht, und bereits am 30. Dezember früh – es war mein Geburtstag, den ich dadurch feierte – verließ ich Burg in einer bis Genthin gehenden Fahrpost. Diese Postwagenstunden sind mir unvergeßlich geblieben; ich verbrachte sie nämlich mit zwei Schauspielerinnen, von denen die ältere, die wohl schon Ende dreißig sein mochte, mich entzückte. Sie fühlte mit der solchen Damen eigenen Klugheit rasch eine gewisse Metierverwandtschaft heraus, nahm mich ganz als bon enfant <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0115" n="106"/> Ich litt aber nicht lange darunter, was wohl damit zusammenhing, daß ich, von Natur ängstlich, sofort unängstlich werde, wenn Personen oder Verhältnisse mich ängstlich machen wollen. Also noch einmal, ich kam mit dem in der ganzen Stadt gefürchteten Manne sehr gut aus und hatte mich nur über eins zu beschweren, was mein <hi rendition="#aq">Dr</hi>. Kannenberg – so hieß er – beim besten Willen nicht ändern konnte: grausame Langeweile. Daß Haus und Stadt ausschließlich daran schuld gewesen seien, darf ich nicht behaupten; es lag viel mehr an mir selbst, der ich nie die Kunst verstanden, mich an einer Skat- oder Kegelpartie zu beteiligen, trotzdem ich immer eine herzliche Vorliebe für natürliche Menschen gehabt, auch jederzeit auf dem denkbar besten Fuße mit ihnen gelebt habe, wenn nur erst das Eis gebrochen war. Dazu kam es aber nicht, und bereits am 30. Dezember früh – es war mein Geburtstag, den ich dadurch feierte – verließ ich Burg in einer bis Genthin gehenden Fahrpost. Diese Postwagenstunden sind mir unvergeßlich geblieben; ich verbrachte sie nämlich mit zwei Schauspielerinnen, von denen die ältere, die wohl schon Ende dreißig sein mochte, mich entzückte. Sie fühlte mit der solchen Damen eigenen Klugheit rasch eine gewisse Metierverwandtschaft heraus, nahm mich ganz als <hi rendition="#aq">bon enfant</hi><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [106/0115]
Ich litt aber nicht lange darunter, was wohl damit zusammenhing, daß ich, von Natur ängstlich, sofort unängstlich werde, wenn Personen oder Verhältnisse mich ängstlich machen wollen. Also noch einmal, ich kam mit dem in der ganzen Stadt gefürchteten Manne sehr gut aus und hatte mich nur über eins zu beschweren, was mein Dr. Kannenberg – so hieß er – beim besten Willen nicht ändern konnte: grausame Langeweile. Daß Haus und Stadt ausschließlich daran schuld gewesen seien, darf ich nicht behaupten; es lag viel mehr an mir selbst, der ich nie die Kunst verstanden, mich an einer Skat- oder Kegelpartie zu beteiligen, trotzdem ich immer eine herzliche Vorliebe für natürliche Menschen gehabt, auch jederzeit auf dem denkbar besten Fuße mit ihnen gelebt habe, wenn nur erst das Eis gebrochen war. Dazu kam es aber nicht, und bereits am 30. Dezember früh – es war mein Geburtstag, den ich dadurch feierte – verließ ich Burg in einer bis Genthin gehenden Fahrpost. Diese Postwagenstunden sind mir unvergeßlich geblieben; ich verbrachte sie nämlich mit zwei Schauspielerinnen, von denen die ältere, die wohl schon Ende dreißig sein mochte, mich entzückte. Sie fühlte mit der solchen Damen eigenen Klugheit rasch eine gewisse Metierverwandtschaft heraus, nahm mich ganz als bon enfant
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).
(2018-07-25T10:02:20Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T10:02:20Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |