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Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883.

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Dieser Sandersche Schmerzensschrei stellte die
Heiterkeit wieder her, und unter Tappen und Tasten
war man endlich bis in Nähe der Hofthür gekommen,
wo, nach rechts hin, einige der Fässer weniger dicht
nebeneinander lagen. Hier zwängte man sich denn
auch durch, und gelangte mit Hilfe von vier oder
fünf steilen Stufen in eine mäßig große Hinterstube,
die gelb gestrichen und halbverblakt und nach Art
aller "Frühstücksstuben" um Mitternacht am vollsten
war. Überall, an niedrigen Panelen hin, standen
lange, längst eingesessene Ledersophas, mit kleinen
und großen Tischen davor, und nur eine Stelle war
da, wo dieses Mobiliar fehlte. Hier stand vielmehr
ein mit Kästen und Realen überbautes Pult, vor
welchem einer der Repräsentanten der Firma tagaus
tagein auf einem Drehschemel ritt, und seine Befehle
(gewöhnlich nur ein Wort) in einen unmittelbar neben
dem Pult befindlichen Keller hinunterrief, dessen
Fallthür immer offen stand.

Unsere drei Freunde hatten in einer dem Keller¬
loch schräg gegenüber gelegenen Ecke Platz genommen,
und Sander, der grad lange genug Verleger war,
um sich auf lukullische Feinheiten zu verstehen, über¬
flog eben die Wein- und Speisekarte. Diese war in
russisch Leder gebunden, roch aber nach Hummer.
Es schien nicht, daß unser Lukull gefunden hatte,
was ihm gefiel; er schob also die Karte wieder fort

Dieſer Sanderſche Schmerzensſchrei ſtellte die
Heiterkeit wieder her, und unter Tappen und Taſten
war man endlich bis in Nähe der Hofthür gekommen,
wo, nach rechts hin, einige der Fäſſer weniger dicht
nebeneinander lagen. Hier zwängte man ſich denn
auch durch, und gelangte mit Hilfe von vier oder
fünf ſteilen Stufen in eine mäßig große Hinterſtube,
die gelb geſtrichen und halbverblakt und nach Art
aller „Frühſtücksſtuben“ um Mitternacht am vollſten
war. Überall, an niedrigen Panelen hin, ſtanden
lange, längſt eingeſeſſene Lederſophas, mit kleinen
und großen Tiſchen davor, und nur eine Stelle war
da, wo dieſes Mobiliar fehlte. Hier ſtand vielmehr
ein mit Käſten und Realen überbautes Pult, vor
welchem einer der Repräſentanten der Firma tagaus
tagein auf einem Drehſchemel ritt, und ſeine Befehle
(gewöhnlich nur ein Wort) in einen unmittelbar neben
dem Pult befindlichen Keller hinunterrief, deſſen
Fallthür immer offen ſtand.

Unſere drei Freunde hatten in einer dem Keller¬
loch ſchräg gegenüber gelegenen Ecke Platz genommen,
und Sander, der grad lange genug Verleger war,
um ſich auf lukulliſche Feinheiten zu verſtehen, über¬
flog eben die Wein- und Speiſekarte. Dieſe war in
ruſſiſch Leder gebunden, roch aber nach Hummer.
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[24/0036] Dieſer Sanderſche Schmerzensſchrei ſtellte die Heiterkeit wieder her, und unter Tappen und Taſten war man endlich bis in Nähe der Hofthür gekommen, wo, nach rechts hin, einige der Fäſſer weniger dicht nebeneinander lagen. Hier zwängte man ſich denn auch durch, und gelangte mit Hilfe von vier oder fünf ſteilen Stufen in eine mäßig große Hinterſtube, die gelb geſtrichen und halbverblakt und nach Art aller „Frühſtücksſtuben“ um Mitternacht am vollſten war. Überall, an niedrigen Panelen hin, ſtanden lange, längſt eingeſeſſene Lederſophas, mit kleinen und großen Tiſchen davor, und nur eine Stelle war da, wo dieſes Mobiliar fehlte. Hier ſtand vielmehr ein mit Käſten und Realen überbautes Pult, vor welchem einer der Repräſentanten der Firma tagaus tagein auf einem Drehſchemel ritt, und ſeine Befehle (gewöhnlich nur ein Wort) in einen unmittelbar neben dem Pult befindlichen Keller hinunterrief, deſſen Fallthür immer offen ſtand. Unſere drei Freunde hatten in einer dem Keller¬ loch ſchräg gegenüber gelegenen Ecke Platz genommen, und Sander, der grad lange genug Verleger war, um ſich auf lukulliſche Feinheiten zu verſtehen, über¬ flog eben die Wein- und Speiſekarte. Dieſe war in ruſſiſch Leder gebunden, roch aber nach Hummer. Es ſchien nicht, daß unſer Lukull gefunden hatte, was ihm gefiel; er ſchob alſo die Karte wieder fort

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883/36>, abgerufen am 21.11.2024.