gen, und in dieser Erkenntnis ist die Möglichkeit der Besserung gegeben. Im Einzelnen bleiben wir hinter ihnen zurück, zugegeben, aber im Ganzen sind wir ihnen voraus, und darin steckt ein Anspruch und ein Recht, die wir geltend machen müssen. Daß wir, trotz Sander, in Polen eigentlich gescheitert sind, beweist nichts; der Staat strengte sich nicht an und hielt seine Steuer¬ einnehmer gerade für gut genug, um die Kultur nach Osten zu tragen. In soweit mit Recht, als selbst ein Steuereinnehmer die Ordnung vertritt, wenn auch freilich von der unangenehmen Seite."
Victoire, die von dem Augenblick an, wo Polen mit ins Gespräch gezogen worden war, ihren Platz am Theetisch aufgegeben hatte, drohte jetzt zu dem Sprecher hinüber und sagte: "Sie müssen wissen, Herr v. Bülow, daß ich die Polen liebe, sogar de tout mon coeur." Und dabei beugte sie sich aus dem Schatten in den Lichtschein der Lampe vor, in dessen Helle man jetzt deutlich erkennen konnte, daß ihr feines Profil, das einst dem der Mutter geglichen haben mochte, durch zahlreiche Blatternarben aber um seine frühere Schön¬ heit gekommen war.
Jeder mußt' es sehen, und der Einzige, der es nicht sah, oder, wenn er es sah, als absolut gleich¬ giltig betrachtete, war Bülow. Er wiederholte nur: "o ja, die Polen. Es sind die besten Mazurkatänzer, und darum lieben Sie sie."
gen, und in dieſer Erkenntnis iſt die Möglichkeit der Beſſerung gegeben. Im Einzelnen bleiben wir hinter ihnen zurück, zugegeben, aber im Ganzen ſind wir ihnen voraus, und darin ſteckt ein Anſpruch und ein Recht, die wir geltend machen müſſen. Daß wir, trotz Sander, in Polen eigentlich geſcheitert ſind, beweiſt nichts; der Staat ſtrengte ſich nicht an und hielt ſeine Steuer¬ einnehmer gerade für gut genug, um die Kultur nach Oſten zu tragen. In ſoweit mit Recht, als ſelbſt ein Steuereinnehmer die Ordnung vertritt, wenn auch freilich von der unangenehmen Seite.“
Victoire, die von dem Augenblick an, wo Polen mit ins Geſpräch gezogen worden war, ihren Platz am Theetiſch aufgegeben hatte, drohte jetzt zu dem Sprecher hinüber und ſagte: „Sie müſſen wiſſen, Herr v. Bülow, daß ich die Polen liebe, ſogar de tout mon coeur.“ Und dabei beugte ſie ſich aus dem Schatten in den Lichtſchein der Lampe vor, in deſſen Helle man jetzt deutlich erkennen konnte, daß ihr feines Profil, das einſt dem der Mutter geglichen haben mochte, durch zahlreiche Blatternarben aber um ſeine frühere Schön¬ heit gekommen war.
Jeder mußt' es ſehen, und der Einzige, der es nicht ſah, oder, wenn er es ſah, als abſolut gleich¬ giltig betrachtete, war Bülow. Er wiederholte nur: „o ja, die Polen. Es ſind die beſten Mazurkatänzer, und darum lieben Sie ſie.“
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gen, und in dieſer Erkenntnis iſt die Möglichkeit der
Beſſerung gegeben. Im Einzelnen bleiben wir hinter
ihnen zurück, zugegeben, aber im Ganzen ſind wir
ihnen voraus, und darin ſteckt ein Anſpruch und ein
Recht, die wir geltend machen müſſen. Daß wir, trotz
Sander, in Polen eigentlich geſcheitert ſind, beweiſt nichts;
der Staat ſtrengte ſich nicht an und hielt ſeine Steuer¬
einnehmer gerade für gut genug, um die Kultur nach
Oſten zu tragen. In ſoweit mit Recht, als ſelbſt ein
Steuereinnehmer die Ordnung vertritt, wenn auch
freilich von der unangenehmen Seite.“
Victoire, die von dem Augenblick an, wo Polen
mit ins Geſpräch gezogen worden war, ihren Platz am
Theetiſch aufgegeben hatte, drohte jetzt zu dem Sprecher
hinüber und ſagte: „Sie müſſen wiſſen, Herr v. Bülow,
daß ich die Polen liebe, ſogar de tout mon coeur.“
Und dabei beugte ſie ſich aus dem Schatten in den
Lichtſchein der Lampe vor, in deſſen Helle man jetzt
deutlich erkennen konnte, daß ihr feines Profil, das
einſt dem der Mutter geglichen haben mochte, durch
zahlreiche Blatternarben aber um ſeine frühere Schön¬
heit gekommen war.
Jeder mußt' es ſehen, und der Einzige, der es
nicht ſah, oder, wenn er es ſah, als abſolut gleich¬
giltig betrachtete, war Bülow. Er wiederholte nur:
„o ja, die Polen. Es ſind die beſten Mazurkatänzer,
und darum lieben Sie ſie.“
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Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883/17>, abgerufen am 22.07.2024.
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