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Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883.

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sie brach ihr langes Schweigen, und vertraute mir
ein Geheimnis an, ein Geheimnis, das Sie kennen."

Schach, der sich doppelt schuldig fühlte, war wie
mit Blut übergossen.

"Lieber Schach," fuhr Frau von Carayon fort,
während sie jetzt seine Hand nahm und ihn aus ihren
klugen Augen freundlich aber fest ansah: "lieber
Schach, ich bin nicht albern genug, Ihnen eine Szene
zu machen oder gar eine Sittenpredigt zu halten; zu
den Dingen, die mir am meisten verhaßt sind, gehört
auch Tugendschwätzerei. Ich habe von Jugend auf in
der Welt gelebt, kenne die Welt, und habe manches an
meinem eignen Herzen erfahren. Und wär ich heuch¬
lerisch genug, es vor mir und andern verbergen zu
wollen, wie könnt ich es vor Ihnen?"

Sie schwieg einen Augenblick, während sie mit
ihrem Battisttuch ihre Stirn berührte. Dann nahm
sie das Wort wieder auf und setzte hinzu: "Freilich
es giebt ihrer, und nun gar unter uns Frauen, die
den Spruch von der Linken, die nicht wissen soll was
die Rechte thut, dahin deuten, daß das Heute nicht
wissen soll, was das Gestern that. Oder wohl gar
das Vorgestern! Ich aber gehöre nicht zu diesen
Virtuosinnen des Vergessens. Ich leugne nichts,
will es nicht, mag es nicht. Und nun verurteilen Sie
mich, wenn Sie können."

Er war ersichtlich getroffen, als sie so sprach, und

ſie brach ihr langes Schweigen, und vertraute mir
ein Geheimnis an, ein Geheimnis, das Sie kennen.“

Schach, der ſich doppelt ſchuldig fühlte, war wie
mit Blut übergoſſen.

„Lieber Schach,“ fuhr Frau von Carayon fort,
während ſie jetzt ſeine Hand nahm und ihn aus ihren
klugen Augen freundlich aber feſt anſah: „lieber
Schach, ich bin nicht albern genug, Ihnen eine Szene
zu machen oder gar eine Sittenpredigt zu halten; zu
den Dingen, die mir am meiſten verhaßt ſind, gehört
auch Tugendſchwätzerei. Ich habe von Jugend auf in
der Welt gelebt, kenne die Welt, und habe manches an
meinem eignen Herzen erfahren. Und wär ich heuch¬
leriſch genug, es vor mir und andern verbergen zu
wollen, wie könnt ich es vor Ihnen?“

Sie ſchwieg einen Augenblick, während ſie mit
ihrem Battiſttuch ihre Stirn berührte. Dann nahm
ſie das Wort wieder auf und ſetzte hinzu: „Freilich
es giebt ihrer, und nun gar unter uns Frauen, die
den Spruch von der Linken, die nicht wiſſen ſoll was
die Rechte thut, dahin deuten, daß das Heute nicht
wiſſen ſoll, was das Geſtern that. Oder wohl gar
das Vorgeſtern! Ich aber gehöre nicht zu dieſen
Virtuoſinnen des Vergeſſens. Ich leugne nichts,
will es nicht, mag es nicht. Und nun verurteilen Sie
mich, wenn Sie können.“

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[134/0146] ſie brach ihr langes Schweigen, und vertraute mir ein Geheimnis an, ein Geheimnis, das Sie kennen.“ Schach, der ſich doppelt ſchuldig fühlte, war wie mit Blut übergoſſen. „Lieber Schach,“ fuhr Frau von Carayon fort, während ſie jetzt ſeine Hand nahm und ihn aus ihren klugen Augen freundlich aber feſt anſah: „lieber Schach, ich bin nicht albern genug, Ihnen eine Szene zu machen oder gar eine Sittenpredigt zu halten; zu den Dingen, die mir am meiſten verhaßt ſind, gehört auch Tugendſchwätzerei. Ich habe von Jugend auf in der Welt gelebt, kenne die Welt, und habe manches an meinem eignen Herzen erfahren. Und wär ich heuch¬ leriſch genug, es vor mir und andern verbergen zu wollen, wie könnt ich es vor Ihnen?“ Sie ſchwieg einen Augenblick, während ſie mit ihrem Battiſttuch ihre Stirn berührte. Dann nahm ſie das Wort wieder auf und ſetzte hinzu: „Freilich es giebt ihrer, und nun gar unter uns Frauen, die den Spruch von der Linken, die nicht wiſſen ſoll was die Rechte thut, dahin deuten, daß das Heute nicht wiſſen ſoll, was das Geſtern that. Oder wohl gar das Vorgeſtern! Ich aber gehöre nicht zu dieſen Virtuoſinnen des Vergeſſens. Ich leugne nichts, will es nicht, mag es nicht. Und nun verurteilen Sie mich, wenn Sie können.“ Er war erſichtlich getroffen, als ſie ſo ſprach, und

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883/146>, abgerufen am 22.11.2024.