Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860.winklich, verbaut, aber malerisch. Links vor uns an der Nordostecke der Kirche erhob sich das Wahrzeichen der Stadt, das "City-Kreuz", während rechts an der Nordwestecke das alte Tolbooth-Gefängniß mit seinen Erkern und Thürmen aufwuchs und die High-Street beinah absperrte. Nichts von Säulen und Pilastern zog sich damals an den Steinfacaden der alten Gerichts- und Parlaments-Gebäude entlang und statt der ängstlichen Sauberkeit des frisch abgeputzten St. Giles, präsentirte sich der alte Bau im Schmuck seiner Buden und Kramläden, die sich eng und niedrig unter die gothischen Fenster gekauert oder in voller Breite zwischen den Strebepfeilern etablirt hatten. Das Mittelalter hatte doch Recht, und unsere Purifikation, wo immer sie sich breit macht, hat oft herzlich wenig von dem guten Geschmack an sich, den sie in großen Buchstaben auf ihre Fahne schreibt. Die alten Kirchen wuchsen wie aus dem Leben des Volks hervor und deutungsreich war es, wenn Bürger und Händler am Mauerwerk ihrer Kirche ihr Nest zu bauen liebten. Es war eine Verwachsenheit da, die jetzt fehlt. Kalt, sauber, sonntäglich, erheben sich unsere Kirchen neben uns und wir sehen uns in ein festtägliches Verhältniß zu jenen Plätzen gebracht, wo sonst der Umgang, die Liebe, die Vertraulichkeit, auch wohl die Ungenirtheit des alltäglichen Lebens war. Mit der St. Giles-Kirche und ihrer Umgebung haben wir den Höhenpunkt des Interesses erreicht, das uns die High-Street gewähren kann. Weiter hinauf werden die winklich, verbaut, aber malerisch. Links vor uns an der Nordostecke der Kirche erhob sich das Wahrzeichen der Stadt, das „City-Kreuz“, während rechts an der Nordwestecke das alte Tolbooth-Gefängniß mit seinen Erkern und Thürmen aufwuchs und die High-Street beinah absperrte. Nichts von Säulen und Pilastern zog sich damals an den Steinfacaden der alten Gerichts- und Parlaments-Gebäude entlang und statt der ängstlichen Sauberkeit des frisch abgeputzten St. Giles, präsentirte sich der alte Bau im Schmuck seiner Buden und Kramläden, die sich eng und niedrig unter die gothischen Fenster gekauert oder in voller Breite zwischen den Strebepfeilern etablirt hatten. Das Mittelalter hatte doch Recht, und unsere Purifikation, wo immer sie sich breit macht, hat oft herzlich wenig von dem guten Geschmack an sich, den sie in großen Buchstaben auf ihre Fahne schreibt. Die alten Kirchen wuchsen wie aus dem Leben des Volks hervor und deutungsreich war es, wenn Bürger und Händler am Mauerwerk ihrer Kirche ihr Nest zu bauen liebten. Es war eine Verwachsenheit da, die jetzt fehlt. Kalt, sauber, sonntäglich, erheben sich unsere Kirchen neben uns und wir sehen uns in ein festtägliches Verhältniß zu jenen Plätzen gebracht, wo sonst der Umgang, die Liebe, die Vertraulichkeit, auch wohl die Ungenirtheit des alltäglichen Lebens war. Mit der St. Giles-Kirche und ihrer Umgebung haben wir den Höhenpunkt des Interesses erreicht, das uns die High-Street gewähren kann. Weiter hinauf werden die <TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0061" n="47"/> winklich, verbaut, aber malerisch. Links vor uns an der Nordostecke der Kirche erhob sich das Wahrzeichen der Stadt, das „City-Kreuz“, während rechts an der Nordwestecke das alte Tolbooth-Gefängniß mit seinen Erkern und Thürmen aufwuchs und die High-Street beinah absperrte. Nichts von Säulen und Pilastern zog sich damals an den Steinfacaden der alten Gerichts- und Parlaments-Gebäude entlang und statt der ängstlichen Sauberkeit des frisch abgeputzten St. Giles, präsentirte sich der alte Bau im Schmuck seiner Buden und Kramläden, die sich eng und niedrig unter die gothischen Fenster gekauert oder in voller Breite zwischen den Strebepfeilern etablirt hatten. Das Mittelalter hatte doch Recht, und unsere Purifikation, wo immer sie sich breit macht, hat oft herzlich wenig von dem guten Geschmack an sich, den sie in großen Buchstaben auf ihre Fahne schreibt. Die alten Kirchen wuchsen wie aus dem Leben des Volks hervor und deutungsreich war es, wenn Bürger und Händler am Mauerwerk ihrer Kirche ihr Nest zu bauen liebten. Es war eine Verwachsenheit da, die jetzt fehlt. Kalt, sauber, sonntäglich, erheben sich unsere Kirchen neben uns und wir sehen uns in ein festtägliches Verhältniß zu jenen Plätzen gebracht, wo sonst der Umgang, die Liebe, die Vertraulichkeit, auch wohl die Ungenirtheit des alltäglichen Lebens war. </p><lb/> <p>Mit der St. Giles-Kirche und ihrer Umgebung haben wir den Höhenpunkt des Interesses erreicht, das uns die High-Street gewähren kann. Weiter hinauf werden die<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [47/0061]
winklich, verbaut, aber malerisch. Links vor uns an der Nordostecke der Kirche erhob sich das Wahrzeichen der Stadt, das „City-Kreuz“, während rechts an der Nordwestecke das alte Tolbooth-Gefängniß mit seinen Erkern und Thürmen aufwuchs und die High-Street beinah absperrte. Nichts von Säulen und Pilastern zog sich damals an den Steinfacaden der alten Gerichts- und Parlaments-Gebäude entlang und statt der ängstlichen Sauberkeit des frisch abgeputzten St. Giles, präsentirte sich der alte Bau im Schmuck seiner Buden und Kramläden, die sich eng und niedrig unter die gothischen Fenster gekauert oder in voller Breite zwischen den Strebepfeilern etablirt hatten. Das Mittelalter hatte doch Recht, und unsere Purifikation, wo immer sie sich breit macht, hat oft herzlich wenig von dem guten Geschmack an sich, den sie in großen Buchstaben auf ihre Fahne schreibt. Die alten Kirchen wuchsen wie aus dem Leben des Volks hervor und deutungsreich war es, wenn Bürger und Händler am Mauerwerk ihrer Kirche ihr Nest zu bauen liebten. Es war eine Verwachsenheit da, die jetzt fehlt. Kalt, sauber, sonntäglich, erheben sich unsere Kirchen neben uns und wir sehen uns in ein festtägliches Verhältniß zu jenen Plätzen gebracht, wo sonst der Umgang, die Liebe, die Vertraulichkeit, auch wohl die Ungenirtheit des alltäglichen Lebens war.
Mit der St. Giles-Kirche und ihrer Umgebung haben wir den Höhenpunkt des Interesses erreicht, das uns die High-Street gewähren kann. Weiter hinauf werden die
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(2018-07-25T15:22:45Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Alexandra Priesterath, Christian Thomas, Linda Martin: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T15:22:45Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Hrsg. von Maren Ermisch. Berlin 2017 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das reiseliterarische Werk, Bd. 2]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Der Text der Ausgabe wird hier ergänzt um das Kapitel „Lochleven-Castle“, das aus verlagstechnischen Gründen in der Erstausgabe fehlte (vgl. dazu die entsprechenden Informationen auf der Seite der Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen). Die dazugehörigen Faksimiles, 0331 bis 0333, wurden von Seiten der Österreichischen Nationalbibliothek übernommen. Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
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