Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860.herangetreten wäre, um über die alte Vogelflinte Rob Roy's eine schätzenswerthe Mittheilung zu machen. Die Impromptu's (als wäre die Vogelflinte selber losgegangen) flogen davon, wie ein aufgescheuchtes Volk Hühner. Mr. Tait war salbungsvoll, aber gastfreundlich. Der Moment war nahe, wo wir scheiden mußten, und der würdige alte Herr wollte sich nicht von uns trennen, ohne uns vorher mit liebenswürdiger Dringlichkeit nach Melrose hin, und zwar zu einem "plain scotch dinner" an seinem eigenen Tische, eingeladen zu haben. Wir sagten zu, hielten aber nicht Wort. Freund B. und ich pflegten uns später gegenseitig vorzuwerfen, daß wir den Besuch aus Furcht vor einem Temperanz-Diner unterlassen hätten, in Wahrheit aber trug "Melrose-Abbey" die Schuld, deren wunderbar schöne Ruinen uns Mr. Tait, sein Rettungshaus und sein plain scotch dinner vergessen ließen. Gegen sieben Uhr waren wir wieder in Balloch, am Südufer des Sees. Eine Stunde später führte uns ein Schnellzug zunächst nach Bowling, dann ostwärts mit wachsender Raschheit nach Glasgow. Die Sonne war längst unter, als wir uns der reichen Hauptstadt des schottischen Westens näherten, aber die dunkeln Häusermassen traten doch noch deutlich aus dem grauen Abendschimmer hervor. Die Frage entstand, "bleiben oder nicht?" Die Schilderungen, womit uns ein lokalpatriotischer Glasgower während der Fahrt unterhalten hatte, waren an Ohr und Herz meines Reisegefährten nicht herangetreten wäre, um über die alte Vogelflinte Rob Roy’s eine schätzenswerthe Mittheilung zu machen. Die Impromptu’s (als wäre die Vogelflinte selber losgegangen) flogen davon, wie ein aufgescheuchtes Volk Hühner. Mr. Tait war salbungsvoll, aber gastfreundlich. Der Moment war nahe, wo wir scheiden mußten, und der würdige alte Herr wollte sich nicht von uns trennen, ohne uns vorher mit liebenswürdiger Dringlichkeit nach Melrose hin, und zwar zu einem „plain scotch dinner“ an seinem eigenen Tische, eingeladen zu haben. Wir sagten zu, hielten aber nicht Wort. Freund B. und ich pflegten uns später gegenseitig vorzuwerfen, daß wir den Besuch aus Furcht vor einem Temperanz-Diner unterlassen hätten, in Wahrheit aber trug „Melrose-Abbey“ die Schuld, deren wunderbar schöne Ruinen uns Mr. Tait, sein Rettungshaus und sein plain scotch dinner vergessen ließen. Gegen sieben Uhr waren wir wieder in Balloch, am Südufer des Sees. Eine Stunde später führte uns ein Schnellzug zunächst nach Bowling, dann ostwärts mit wachsender Raschheit nach Glasgow. Die Sonne war längst unter, als wir uns der reichen Hauptstadt des schottischen Westens näherten, aber die dunkeln Häusermassen traten doch noch deutlich aus dem grauen Abendschimmer hervor. Die Frage entstand, „bleiben oder nicht?“ Die Schilderungen, womit uns ein lokalpatriotischer Glasgower während der Fahrt unterhalten hatte, waren an Ohr und Herz meines Reisegefährten nicht <TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0329" n="315"/> herangetreten wäre, um über die alte Vogelflinte Rob Roy’s eine schätzenswerthe Mittheilung zu machen. Die Impromptu’s (als wäre die Vogelflinte selber losgegangen) flogen davon, wie ein aufgescheuchtes Volk Hühner. </p><lb/> <p>Mr. Tait war salbungsvoll, aber gastfreundlich. Der Moment war nahe, wo wir scheiden mußten, und der würdige alte Herr wollte sich nicht von uns trennen, ohne uns vorher mit liebenswürdiger Dringlichkeit nach Melrose hin, und zwar zu einem <hi rendition="#aq"><foreign xml:lang="eng">„plain scotch dinner“</foreign></hi> an seinem eigenen Tische, eingeladen zu haben. Wir sagten zu, hielten aber nicht Wort. Freund B. und ich pflegten uns später gegenseitig vorzuwerfen, daß wir den Besuch aus Furcht vor einem <hi rendition="#g">Temperanz</hi>-Diner unterlassen hätten, in Wahrheit aber trug „Melrose-Abbey“ die Schuld, deren wunderbar schöne Ruinen uns Mr. Tait, sein Rettungshaus und sein <hi rendition="#aq"><foreign xml:lang="eng">plain scotch dinner</foreign></hi> vergessen ließen.</p><lb/> <p>Gegen sieben Uhr waren wir wieder in Balloch, am Südufer des Sees. Eine Stunde später führte uns ein Schnellzug zunächst nach Bowling, dann ostwärts mit wachsender Raschheit nach Glasgow. Die Sonne war längst unter, als wir uns der reichen Hauptstadt des schottischen Westens näherten, aber die dunkeln Häusermassen traten doch noch deutlich aus dem grauen Abendschimmer hervor. Die Frage entstand, „bleiben oder nicht?“ Die Schilderungen, womit uns ein lokalpatriotischer Glasgower während der Fahrt unterhalten hatte, waren an Ohr und Herz meines Reisegefährten nicht<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [315/0329]
herangetreten wäre, um über die alte Vogelflinte Rob Roy’s eine schätzenswerthe Mittheilung zu machen. Die Impromptu’s (als wäre die Vogelflinte selber losgegangen) flogen davon, wie ein aufgescheuchtes Volk Hühner.
Mr. Tait war salbungsvoll, aber gastfreundlich. Der Moment war nahe, wo wir scheiden mußten, und der würdige alte Herr wollte sich nicht von uns trennen, ohne uns vorher mit liebenswürdiger Dringlichkeit nach Melrose hin, und zwar zu einem „plain scotch dinner“ an seinem eigenen Tische, eingeladen zu haben. Wir sagten zu, hielten aber nicht Wort. Freund B. und ich pflegten uns später gegenseitig vorzuwerfen, daß wir den Besuch aus Furcht vor einem Temperanz-Diner unterlassen hätten, in Wahrheit aber trug „Melrose-Abbey“ die Schuld, deren wunderbar schöne Ruinen uns Mr. Tait, sein Rettungshaus und sein plain scotch dinner vergessen ließen.
Gegen sieben Uhr waren wir wieder in Balloch, am Südufer des Sees. Eine Stunde später führte uns ein Schnellzug zunächst nach Bowling, dann ostwärts mit wachsender Raschheit nach Glasgow. Die Sonne war längst unter, als wir uns der reichen Hauptstadt des schottischen Westens näherten, aber die dunkeln Häusermassen traten doch noch deutlich aus dem grauen Abendschimmer hervor. Die Frage entstand, „bleiben oder nicht?“ Die Schilderungen, womit uns ein lokalpatriotischer Glasgower während der Fahrt unterhalten hatte, waren an Ohr und Herz meines Reisegefährten nicht
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Zitationshilfe: | Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_tweed_1860/329>, abgerufen am 22.07.2024. |