Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860.Mac-Pherson's zu pflücken. Es waren Zweige von jener großglockigen Erica-Art, die in Holstein den schönen Namen der "Edelhaide" führt. Aus beiden hab' ich seitdem einen Kranz gewunden, zur Erinnerung an Culloden-Moor. Der Tag von Culloden hat noch ein Nachspiel. Fünfzig Jahre und mehr waren vergangen. Ein Proceß fand statt. Es handelte sich um die weiten Besitzungen des Lords Glenmore, von dem es hieß, daß er unter Prince Charlie gefochten habe. Die eine Partei stützte ihren Erbanspruch auf die allgemeine Annahme, daß Lord Glenmore bei Culloden gefallen sei; die andere Partei forderte die Feststellung dieser Thatsache, d. h. den Beweis des Todes. Diesen Beweis anzutreten schien unmöglich. So zog sich der Proceß durch zwanzig Jahre hin. Endlich - zu einer Zeit als Niemand mehr an seine Erledigung glaubte - fand die Streitfrage rasch und unerwartet ihr Ende. Es war im Mai 1823, als vor dem Englischen Oberhause (bekanntlich höchste Gerichtsbehörde) folgende denkwürdige Verhandlung geführt wurde. Der Lord-Oberrichter recapitulirte die Sachlage, die ohnehin in dem dichtgedrängten Hause Jedermann kannte, und schloß dann mit den Worten: "Es hat sich ein Zeuge gefunden, der den Tod Lord Glenmore's beschwören will. Ich bitte den Zeugen in Eid zu nehmen." Ein steinalter Mann, aber noch rüstig und gekleidet Mac-Pherson’s zu pflücken. Es waren Zweige von jener großglockigen Erica-Art, die in Holstein den schönen Namen der „Edelhaide“ führt. Aus beiden hab’ ich seitdem einen Kranz gewunden, zur Erinnerung an Culloden-Moor. Der Tag von Culloden hat noch ein Nachspiel. Fünfzig Jahre und mehr waren vergangen. Ein Proceß fand statt. Es handelte sich um die weiten Besitzungen des Lords Glenmore, von dem es hieß, daß er unter Prince Charlie gefochten habe. Die eine Partei stützte ihren Erbanspruch auf die allgemeine Annahme, daß Lord Glenmore bei Culloden gefallen sei; die andere Partei forderte die Feststellung dieser Thatsache, d. h. den Beweis des Todes. Diesen Beweis anzutreten schien unmöglich. So zog sich der Proceß durch zwanzig Jahre hin. Endlich – zu einer Zeit als Niemand mehr an seine Erledigung glaubte – fand die Streitfrage rasch und unerwartet ihr Ende. Es war im Mai 1823, als vor dem Englischen Oberhause (bekanntlich höchste Gerichtsbehörde) folgende denkwürdige Verhandlung geführt wurde. Der Lord-Oberrichter recapitulirte die Sachlage, die ohnehin in dem dichtgedrängten Hause Jedermann kannte, und schloß dann mit den Worten: „Es hat sich ein Zeuge gefunden, der den Tod Lord Glenmore’s beschwören will. Ich bitte den Zeugen in Eid zu nehmen.“ Ein steinalter Mann, aber noch rüstig und gekleidet <TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0262" n="248"/> Mac-Pherson’s zu pflücken. Es waren Zweige von jener großglockigen Erica-Art, die in Holstein den schönen Namen der „Edelhaide“ führt. Aus beiden hab’ ich seitdem einen Kranz gewunden, zur Erinnerung an <hi rendition="#g">Culloden-Moor</hi>.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <p>Der Tag von Culloden hat noch ein Nachspiel. Fünfzig Jahre und mehr waren vergangen. Ein Proceß fand statt. Es handelte sich um die weiten Besitzungen des Lords Glenmore, von dem es hieß, daß er unter Prince Charlie gefochten habe. Die eine Partei stützte ihren Erbanspruch auf die allgemeine Annahme, daß Lord Glenmore bei Culloden gefallen sei; die andere Partei forderte die Feststellung dieser Thatsache, d. h. den Beweis des Todes. Diesen Beweis anzutreten schien unmöglich.</p><lb/> <p>So zog sich der Proceß durch zwanzig Jahre hin. Endlich – zu einer Zeit als Niemand mehr an seine Erledigung glaubte – fand die Streitfrage rasch und unerwartet ihr Ende. Es war im Mai 1823, als vor dem Englischen Oberhause (bekanntlich höchste Gerichtsbehörde) folgende denkwürdige Verhandlung geführt wurde. Der Lord-Oberrichter recapitulirte die Sachlage, die ohnehin in dem dichtgedrängten Hause Jedermann kannte, und schloß dann mit den Worten: „Es hat sich ein Zeuge gefunden, der den Tod Lord Glenmore’s beschwören will. Ich bitte den Zeugen in Eid zu nehmen.“</p><lb/> <p>Ein steinalter Mann, aber noch rüstig und gekleidet<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [248/0262]
Mac-Pherson’s zu pflücken. Es waren Zweige von jener großglockigen Erica-Art, die in Holstein den schönen Namen der „Edelhaide“ führt. Aus beiden hab’ ich seitdem einen Kranz gewunden, zur Erinnerung an Culloden-Moor.
Der Tag von Culloden hat noch ein Nachspiel. Fünfzig Jahre und mehr waren vergangen. Ein Proceß fand statt. Es handelte sich um die weiten Besitzungen des Lords Glenmore, von dem es hieß, daß er unter Prince Charlie gefochten habe. Die eine Partei stützte ihren Erbanspruch auf die allgemeine Annahme, daß Lord Glenmore bei Culloden gefallen sei; die andere Partei forderte die Feststellung dieser Thatsache, d. h. den Beweis des Todes. Diesen Beweis anzutreten schien unmöglich.
So zog sich der Proceß durch zwanzig Jahre hin. Endlich – zu einer Zeit als Niemand mehr an seine Erledigung glaubte – fand die Streitfrage rasch und unerwartet ihr Ende. Es war im Mai 1823, als vor dem Englischen Oberhause (bekanntlich höchste Gerichtsbehörde) folgende denkwürdige Verhandlung geführt wurde. Der Lord-Oberrichter recapitulirte die Sachlage, die ohnehin in dem dichtgedrängten Hause Jedermann kannte, und schloß dann mit den Worten: „Es hat sich ein Zeuge gefunden, der den Tod Lord Glenmore’s beschwören will. Ich bitte den Zeugen in Eid zu nehmen.“
Ein steinalter Mann, aber noch rüstig und gekleidet
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(2018-07-25T15:22:45Z)
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Alexandra Priesterath, Christian Thomas, Linda Martin: Bearbeitung der digitalen Edition.
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Weitere Informationen:Theodor Fontane: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Hrsg. von Maren Ermisch. Berlin 2017 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das reiseliterarische Werk, Bd. 2]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Der Text der Ausgabe wird hier ergänzt um das Kapitel „Lochleven-Castle“, das aus verlagstechnischen Gründen in der Erstausgabe fehlte (vgl. dazu die entsprechenden Informationen auf der Seite der Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen). Die dazugehörigen Faksimiles, 0331 bis 0333, wurden von Seiten der Österreichischen Nationalbibliothek übernommen. Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
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