Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860.Kinder auf Männer." Hiebei hatte der Angriff sein Bewenden. Jakob VI. indeß war nicht der Mann, solche Beleidigung zu vergessen, und zwei Jahre später, vielleicht weil man des Lord Glammis nicht habhaft werden konnte oder weil man in Lord Gowrie den eigentlichen Urheber des ganzen Vorfalls sah, fiel das Haupt des letzteren auf dem Mole-Hill bei Stirling-Castle. Sechszehn Jahre später machten die Söhne Lord Gowrie's, die bis dahin in selbstgewählter oder erzwungener Verbannung (in Padua) gelebt hatten, den Versuch, den Tod ihres Vaters zu rächen. Sie drangen, instigirt durch andere Unzufriedene, auf den König ein, wurden aber entwaffnet und folgten ihrem Vater in den Tod. Wir kehrten nun Gowrie-House den Rücken, passirten die schöne Brücke, die über den Tay führt, und schritten zwischen Kreuzdornhecken und Roggenfeldern immer bergan, dem Kinnoulhügel zu, der sich, mit Laubholz und Tannen dicht bestanden, an der Ostseite der Stadt erhebt. Der Aufgang zum Hügel war der strengeren Sonntagsfeier halber mit einem Schlagbaum abgesperrt, was so viel heißt, als wir mußten einen Schilling bezahlen, um das Gewissen des wachthabenden Waldhüters zu beschwichtigen. Ziemlich erschöpft kamen wir oben an und nahmen auf einem großen Steintisch Platz, dessen Sandsteinplatte ein paar hundert eingekratzte Namen trug. Wie viel Federmesserklingen waren hier der Eitelkeit geopfert worden! Das landschaftliche Bild, das sich uns bot, war Kinder auf Männer.“ Hiebei hatte der Angriff sein Bewenden. Jakob VI. indeß war nicht der Mann, solche Beleidigung zu vergessen, und zwei Jahre später, vielleicht weil man des Lord Glammis nicht habhaft werden konnte oder weil man in Lord Gowrie den eigentlichen Urheber des ganzen Vorfalls sah, fiel das Haupt des letzteren auf dem Mole-Hill bei Stirling-Castle. Sechszehn Jahre später machten die Söhne Lord Gowrie’s, die bis dahin in selbstgewählter oder erzwungener Verbannung (in Padua) gelebt hatten, den Versuch, den Tod ihres Vaters zu rächen. Sie drangen, instigirt durch andere Unzufriedene, auf den König ein, wurden aber entwaffnet und folgten ihrem Vater in den Tod. Wir kehrten nun Gowrie-House den Rücken, passirten die schöne Brücke, die über den Tay führt, und schritten zwischen Kreuzdornhecken und Roggenfeldern immer bergan, dem Kinnoulhügel zu, der sich, mit Laubholz und Tannen dicht bestanden, an der Ostseite der Stadt erhebt. Der Aufgang zum Hügel war der strengeren Sonntagsfeier halber mit einem Schlagbaum abgesperrt, was so viel heißt, als wir mußten einen Schilling bezahlen, um das Gewissen des wachthabenden Waldhüters zu beschwichtigen. Ziemlich erschöpft kamen wir oben an und nahmen auf einem großen Steintisch Platz, dessen Sandsteinplatte ein paar hundert eingekratzte Namen trug. Wie viel Federmesserklingen waren hier der Eitelkeit geopfert worden! Das landschaftliche Bild, das sich uns bot, war <TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0216" n="202"/> Kinder auf Männer.“ Hiebei hatte der Angriff sein Bewenden. Jakob <hi rendition="#aq">VI</hi>. indeß war nicht der Mann, solche Beleidigung zu vergessen, und zwei Jahre später, vielleicht weil man des Lord Glammis nicht habhaft werden konnte oder weil man in Lord Gowrie den eigentlichen Urheber des ganzen Vorfalls sah, fiel das Haupt des letzteren auf dem Mole-Hill bei Stirling-Castle. Sechszehn Jahre später machten die Söhne Lord Gowrie’s, die bis dahin in selbstgewählter oder erzwungener Verbannung (in Padua) gelebt hatten, den Versuch, den Tod ihres Vaters zu rächen. Sie drangen, instigirt durch andere Unzufriedene, auf den König ein, wurden aber entwaffnet und folgten ihrem Vater in den Tod.</p><lb/> <p>Wir kehrten nun Gowrie-House den Rücken, passirten die schöne Brücke, die über den Tay führt, und schritten zwischen Kreuzdornhecken und Roggenfeldern immer bergan, dem Kinnoulhügel zu, der sich, mit Laubholz und Tannen dicht bestanden, an der Ostseite der Stadt erhebt. Der Aufgang zum Hügel war der strengeren Sonntagsfeier halber mit einem Schlagbaum abgesperrt, was so viel heißt, als wir mußten einen Schilling bezahlen, um das Gewissen des wachthabenden Waldhüters zu beschwichtigen. Ziemlich erschöpft kamen wir oben an und nahmen auf einem großen Steintisch Platz, dessen Sandsteinplatte ein paar hundert eingekratzte Namen trug. Wie viel Federmesserklingen waren hier der Eitelkeit geopfert worden! </p><lb/> <p>Das landschaftliche Bild, das sich uns bot, war<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [202/0216]
Kinder auf Männer.“ Hiebei hatte der Angriff sein Bewenden. Jakob VI. indeß war nicht der Mann, solche Beleidigung zu vergessen, und zwei Jahre später, vielleicht weil man des Lord Glammis nicht habhaft werden konnte oder weil man in Lord Gowrie den eigentlichen Urheber des ganzen Vorfalls sah, fiel das Haupt des letzteren auf dem Mole-Hill bei Stirling-Castle. Sechszehn Jahre später machten die Söhne Lord Gowrie’s, die bis dahin in selbstgewählter oder erzwungener Verbannung (in Padua) gelebt hatten, den Versuch, den Tod ihres Vaters zu rächen. Sie drangen, instigirt durch andere Unzufriedene, auf den König ein, wurden aber entwaffnet und folgten ihrem Vater in den Tod.
Wir kehrten nun Gowrie-House den Rücken, passirten die schöne Brücke, die über den Tay führt, und schritten zwischen Kreuzdornhecken und Roggenfeldern immer bergan, dem Kinnoulhügel zu, der sich, mit Laubholz und Tannen dicht bestanden, an der Ostseite der Stadt erhebt. Der Aufgang zum Hügel war der strengeren Sonntagsfeier halber mit einem Schlagbaum abgesperrt, was so viel heißt, als wir mußten einen Schilling bezahlen, um das Gewissen des wachthabenden Waldhüters zu beschwichtigen. Ziemlich erschöpft kamen wir oben an und nahmen auf einem großen Steintisch Platz, dessen Sandsteinplatte ein paar hundert eingekratzte Namen trug. Wie viel Federmesserklingen waren hier der Eitelkeit geopfert worden!
Das landschaftliche Bild, das sich uns bot, war
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Zitationshilfe: | Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_tweed_1860/216>, abgerufen am 22.07.2024. |