Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860.Abend in London einsteigt, um über Edinburg nach Perth und Aberdeen zu fahren, ist begreiflicher Weise im Einklang mit Sitte und Gesetz; selbst die Kirchlichkeit eines Schotten kann keinen Anstoß daran nehmen. Ist es doch nicht seine Schuld, daß der Schnellzug nicht noch schneller fährt, und der Sonnabend beim Sonntag borgen muß. Nur das Benutzen dieses Zuges, sobald er schottischen Grund und Boden berührt hat, ist natürlich verpönt; doch was wäre Fremden nicht erlaubt! Wir waren nun also in Perth. Als wir aus dem Bahnhofsgebäude heraustraten und auf einen kahlen Platz blickten, auf dem sich Sonnenschein und Staubwolken um den Vorrang stritten, murmelte Freund B. vor sich hin: "Ein Sonntag in Perth scheint noch schlimmer als ein Sonntag in Stirling", worauf ich nichts Besseres zu erwiedern wußte als: Schlimmer hier oder schlimmer dort, Jedenfalls ein andrer Ort. Als sich die Staubwolke gelegt hatte, lasen wir an der Giebelseite eines Hauses "Mr. Pople's english hotel", und da wir so eben von einem ächtschottischen Mr. Campbel kamen, so wählten wir, schon des Contrastes halber, das englische Gasthaus, das in nächster Nähe vor uns lag. Mr. Campbel und Mr. Pople verhielten sich zu einander, wie ihre Namen, der eine schroff, selbstbewußt, kriegerisch, der andere still, friedlich, gemüthlich. Unsere Frage nach einem Zimmer wurde rasch bejaht und Koffer und Reisesack in eine Mansardenstube gebracht, Abend in London einsteigt, um über Edinburg nach Perth und Aberdeen zu fahren, ist begreiflicher Weise im Einklang mit Sitte und Gesetz; selbst die Kirchlichkeit eines Schotten kann keinen Anstoß daran nehmen. Ist es doch nicht seine Schuld, daß der Schnellzug nicht noch schneller fährt, und der Sonnabend beim Sonntag borgen muß. Nur das Benutzen dieses Zuges, sobald er schottischen Grund und Boden berührt hat, ist natürlich verpönt; doch was wäre Fremden nicht erlaubt! Wir waren nun also in Perth. Als wir aus dem Bahnhofsgebäude heraustraten und auf einen kahlen Platz blickten, auf dem sich Sonnenschein und Staubwolken um den Vorrang stritten, murmelte Freund B. vor sich hin: „Ein Sonntag in Perth scheint noch schlimmer als ein Sonntag in Stirling“, worauf ich nichts Besseres zu erwiedern wußte als: Schlimmer hier oder schlimmer dort, Jedenfalls ein andrer Ort. Als sich die Staubwolke gelegt hatte, lasen wir an der Giebelseite eines Hauses „Mr. Pople’s english hotel“, und da wir so eben von einem ächtschottischen Mr. Campbel kamen, so wählten wir, schon des Contrastes halber, das englische Gasthaus, das in nächster Nähe vor uns lag. Mr. Campbel und Mr. Pople verhielten sich zu einander, wie ihre Namen, der eine schroff, selbstbewußt, kriegerisch, der andere still, friedlich, gemüthlich. Unsere Frage nach einem Zimmer wurde rasch bejaht und Koffer und Reisesack in eine Mansardenstube gebracht, <TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0210" n="196"/> Abend in London einsteigt, um über Edinburg nach Perth und Aberdeen zu fahren, ist begreiflicher Weise im Einklang mit Sitte und Gesetz; selbst die Kirchlichkeit eines Schotten kann keinen Anstoß daran nehmen. Ist es doch nicht seine Schuld, daß der Schnellzug nicht noch schneller fährt, und der Sonnabend beim Sonntag borgen muß. Nur das Benutzen dieses Zuges, sobald er schottischen Grund und Boden berührt hat, ist natürlich verpönt; doch was wäre <hi rendition="#g">Fremden</hi> nicht erlaubt!</p><lb/> <p>Wir waren nun also in Perth. Als wir aus dem Bahnhofsgebäude heraustraten und auf einen kahlen Platz blickten, auf dem sich Sonnenschein und Staubwolken um den Vorrang stritten, murmelte Freund B. vor sich hin: „Ein Sonntag in Perth scheint noch schlimmer als ein Sonntag in Stirling“, worauf ich nichts Besseres zu erwiedern wußte als: <lg type="poem"><l>Schlimmer hier oder schlimmer dort,</l><lb/><l>Jedenfalls ein <hi rendition="#g">andrer</hi> Ort.</l><lb/></lg> </p><lb/> <p>Als sich die Staubwolke gelegt hatte, lasen wir an der Giebelseite eines Hauses <hi rendition="#aq"><foreign xml:lang="eng">„Mr. Pople’s english hotel“</foreign></hi>, und da wir so eben von einem ächtschottischen Mr. Campbel kamen, so wählten wir, schon des Contrastes halber, das englische Gasthaus, das in nächster Nähe vor uns lag. Mr. Campbel und Mr. Pople verhielten sich zu einander, wie ihre Namen, der eine schroff, selbstbewußt, kriegerisch, der andere still, friedlich, gemüthlich. Unsere Frage nach einem Zimmer wurde rasch bejaht und Koffer und Reisesack in eine Mansardenstube gebracht,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [196/0210]
Abend in London einsteigt, um über Edinburg nach Perth und Aberdeen zu fahren, ist begreiflicher Weise im Einklang mit Sitte und Gesetz; selbst die Kirchlichkeit eines Schotten kann keinen Anstoß daran nehmen. Ist es doch nicht seine Schuld, daß der Schnellzug nicht noch schneller fährt, und der Sonnabend beim Sonntag borgen muß. Nur das Benutzen dieses Zuges, sobald er schottischen Grund und Boden berührt hat, ist natürlich verpönt; doch was wäre Fremden nicht erlaubt!
Wir waren nun also in Perth. Als wir aus dem Bahnhofsgebäude heraustraten und auf einen kahlen Platz blickten, auf dem sich Sonnenschein und Staubwolken um den Vorrang stritten, murmelte Freund B. vor sich hin: „Ein Sonntag in Perth scheint noch schlimmer als ein Sonntag in Stirling“, worauf ich nichts Besseres zu erwiedern wußte als: Schlimmer hier oder schlimmer dort,
Jedenfalls ein andrer Ort.
Als sich die Staubwolke gelegt hatte, lasen wir an der Giebelseite eines Hauses „Mr. Pople’s english hotel“, und da wir so eben von einem ächtschottischen Mr. Campbel kamen, so wählten wir, schon des Contrastes halber, das englische Gasthaus, das in nächster Nähe vor uns lag. Mr. Campbel und Mr. Pople verhielten sich zu einander, wie ihre Namen, der eine schroff, selbstbewußt, kriegerisch, der andere still, friedlich, gemüthlich. Unsere Frage nach einem Zimmer wurde rasch bejaht und Koffer und Reisesack in eine Mansardenstube gebracht,
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Zitationshilfe: | Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_tweed_1860/210>, abgerufen am 22.07.2024. |