Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860.die hier ungezwungen, ohne Dressur und Ueberwachung, die Spiele ihres Landes spielten. Wir sind sehr irre, wenn wir uns das englische Heerwesen als einen Mechanismus vorstellen, der den letzten Rest von Freiheit und Selbstständigkeit aus den Individuen streicht. Das ist durchaus nicht der Fall. Auch der englische Soldat bleibt immer noch ein Engländer und man hütet sich wohl, ihm von seinem Selbstgefühl mehr zu nehmen als nöthig ist. Armeen, die reich sind an verheiratheten Leuten, werden immer von selbst dahin geführt werden, das Individuum zu respectiren und in dem Manne das zu sehen was er ist, einen Mann. Wir traten nun durch das ziemlich unscheinbare Burgthor in Stirling-Castle hinein. Gleich zur Rechten war das Wachtlokal. Die Fenster standen offen, kein Posten vor'm Gewehr schritt auf und ab, nur ein Sergeant vom berühmten 93sten Regiment (die Sutherlands) saß mit übereinander geschlagenen Knieen auf einem Bänkchen, das zwischen dem Wachthaus und den Gewehren stand und blätterte in einem Buch. Als wir näher kamen, sah er auf. Es war ein so schöner Mann, daß wir, ohne uns Rechenschaft zu geben von dem was wir thaten, a tempo stehen blieben und mit nicht mißzuverstehenden Zeichen der Bewunderung zu ihm hinaufblickten. Er bemerkte es, stand auf, lächelte uns einen Gruß zu, der zu sagen schien: "Nur zu! mir sind solche Huldigungen nichts Neues," und sah uns dann seinerseits freundlich die hier ungezwungen, ohne Dressur und Ueberwachung, die Spiele ihres Landes spielten. Wir sind sehr irre, wenn wir uns das englische Heerwesen als einen Mechanismus vorstellen, der den letzten Rest von Freiheit und Selbstständigkeit aus den Individuen streicht. Das ist durchaus nicht der Fall. Auch der englische Soldat bleibt immer noch ein Engländer und man hütet sich wohl, ihm von seinem Selbstgefühl mehr zu nehmen als nöthig ist. Armeen, die reich sind an verheiratheten Leuten, werden immer von selbst dahin geführt werden, das Individuum zu respectiren und in dem Manne das zu sehen was er ist, einen Mann. Wir traten nun durch das ziemlich unscheinbare Burgthor in Stirling-Castle hinein. Gleich zur Rechten war das Wachtlokal. Die Fenster standen offen, kein Posten vor’m Gewehr schritt auf und ab, nur ein Sergeant vom berühmten 93sten Regiment (die Sutherlands) saß mit übereinander geschlagenen Knieen auf einem Bänkchen, das zwischen dem Wachthaus und den Gewehren stand und blätterte in einem Buch. Als wir näher kamen, sah er auf. Es war ein so schöner Mann, daß wir, ohne uns Rechenschaft zu geben von dem was wir thaten, a tempo stehen blieben und mit nicht mißzuverstehenden Zeichen der Bewunderung zu ihm hinaufblickten. Er bemerkte es, stand auf, lächelte uns einen Gruß zu, der zu sagen schien: „Nur zu! mir sind solche Huldigungen nichts Neues,“ und sah uns dann seinerseits freundlich <TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0176" n="162"/> die hier ungezwungen, ohne Dressur und Ueberwachung, die Spiele ihres Landes spielten. </p><lb/> <p>Wir sind sehr irre, wenn wir uns das englische Heerwesen als einen Mechanismus vorstellen, der den letzten Rest von Freiheit und Selbstständigkeit aus den Individuen streicht. Das ist durchaus nicht der Fall. Auch der englische Soldat bleibt immer noch ein Engländer und man hütet sich wohl, ihm von seinem Selbstgefühl mehr zu nehmen als nöthig ist. Armeen, die reich sind an verheiratheten Leuten, werden immer von selbst dahin geführt werden, das Individuum zu respectiren und in dem Manne das zu sehen was er ist, einen <hi rendition="#g">Mann</hi>.</p><lb/> <p>Wir traten nun durch das ziemlich unscheinbare Burgthor in Stirling-Castle hinein. Gleich zur Rechten war das Wachtlokal. Die Fenster standen offen, kein Posten vor’m Gewehr schritt auf und ab, nur ein Sergeant vom berühmten 93sten Regiment (die Sutherlands) saß mit übereinander geschlagenen Knieen auf einem Bänkchen, das zwischen dem Wachthaus und den Gewehren stand und blätterte in einem Buch. Als wir näher kamen, sah er auf. Es war ein so schöner Mann, daß wir, ohne uns Rechenschaft zu geben von dem was wir thaten, <hi rendition="#aq"><foreign xml:lang="ita">a tempo</foreign></hi> stehen blieben und mit nicht mißzuverstehenden Zeichen der Bewunderung zu ihm hinaufblickten. Er bemerkte es, stand auf, lächelte uns einen Gruß zu, der zu sagen schien: „Nur zu! mir sind solche Huldigungen nichts Neues,“ und sah uns dann seinerseits freundlich<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [162/0176]
die hier ungezwungen, ohne Dressur und Ueberwachung, die Spiele ihres Landes spielten.
Wir sind sehr irre, wenn wir uns das englische Heerwesen als einen Mechanismus vorstellen, der den letzten Rest von Freiheit und Selbstständigkeit aus den Individuen streicht. Das ist durchaus nicht der Fall. Auch der englische Soldat bleibt immer noch ein Engländer und man hütet sich wohl, ihm von seinem Selbstgefühl mehr zu nehmen als nöthig ist. Armeen, die reich sind an verheiratheten Leuten, werden immer von selbst dahin geführt werden, das Individuum zu respectiren und in dem Manne das zu sehen was er ist, einen Mann.
Wir traten nun durch das ziemlich unscheinbare Burgthor in Stirling-Castle hinein. Gleich zur Rechten war das Wachtlokal. Die Fenster standen offen, kein Posten vor’m Gewehr schritt auf und ab, nur ein Sergeant vom berühmten 93sten Regiment (die Sutherlands) saß mit übereinander geschlagenen Knieen auf einem Bänkchen, das zwischen dem Wachthaus und den Gewehren stand und blätterte in einem Buch. Als wir näher kamen, sah er auf. Es war ein so schöner Mann, daß wir, ohne uns Rechenschaft zu geben von dem was wir thaten, a tempo stehen blieben und mit nicht mißzuverstehenden Zeichen der Bewunderung zu ihm hinaufblickten. Er bemerkte es, stand auf, lächelte uns einen Gruß zu, der zu sagen schien: „Nur zu! mir sind solche Huldigungen nichts Neues,“ und sah uns dann seinerseits freundlich
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(2018-07-25T15:22:45Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Alexandra Priesterath, Christian Thomas, Linda Martin: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T15:22:45Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Hrsg. von Maren Ermisch. Berlin 2017 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das reiseliterarische Werk, Bd. 2]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Der Text der Ausgabe wird hier ergänzt um das Kapitel „Lochleven-Castle“, das aus verlagstechnischen Gründen in der Erstausgabe fehlte (vgl. dazu die entsprechenden Informationen auf der Seite der Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen). Die dazugehörigen Faksimiles, 0331 bis 0333, wurden von Seiten der Österreichischen Nationalbibliothek übernommen. Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
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