Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860.der Pilger (denn das schien er seinem Aufzuge nach sein zu wollen) jetzt zu sprechen begann: "Mich sendet meine Mutter; steh' ab, König, von dem, was Du vorhast; nichts Gutes wartet Deiner, noch Derer, die Dich begleiten. Meide die Weiber und hüte Dich vor ihrem Rath; wo nicht, bist Du der Schande verfallen!" Er sprach diese Worte laut und eindringlich; als Sir David Lindsay sich ermannte und nach der Gestalt greifen wollte, die fast Arm an Arm mit ihm gestanden hatte, war sie wie ein Schemen verschwunden. Es verlautet nichts darüber, wie der Eindruck war, den diese Erscheinung auf den König machte, und ob er mehr in ihr sah, als die Erfindung einer von Eifersucht geplagten Königin. Gleichviel, die Dinge waren zu weit gediehen um über Nacht geändert werden zu können, und am nächsten Morgen schon begab sich Jacob nach Borough-moor, um daselbst über die inzwischen eingetroffenen Barone Musterung abzuhalten und seinen Zug gegen England anzutreten. Aber die Geisterwelt, einmal erschlossen, schien nicht ohne einen zweiten Versuch den Platz räumen und ihr Spiel verloren geben zu wollen. Die Musterung über das Heer, wohl 50,000 Mann stark, war abgenommen, und der Marsch gegen Süden auf den nächsten Morgen festgesetzt. Die Truppen lagerten draußen auf dem Blachfeld, aber viele von den Lords und Clanführern waren in die Stadt gekommen, um die letzten Stunden vor dem Aufbruch beim Weine zu verplaudern. Mitternacht war bereits vorüber und der Pilger (denn das schien er seinem Aufzuge nach sein zu wollen) jetzt zu sprechen begann: „Mich sendet meine Mutter; steh’ ab, König, von dem, was Du vorhast; nichts Gutes wartet Deiner, noch Derer, die Dich begleiten. Meide die Weiber und hüte Dich vor ihrem Rath; wo nicht, bist Du der Schande verfallen!“ Er sprach diese Worte laut und eindringlich; als Sir David Lindsay sich ermannte und nach der Gestalt greifen wollte, die fast Arm an Arm mit ihm gestanden hatte, war sie wie ein Schemen verschwunden. Es verlautet nichts darüber, wie der Eindruck war, den diese Erscheinung auf den König machte, und ob er mehr in ihr sah, als die Erfindung einer von Eifersucht geplagten Königin. Gleichviel, die Dinge waren zu weit gediehen um über Nacht geändert werden zu können, und am nächsten Morgen schon begab sich Jacob nach Borough-moor, um daselbst über die inzwischen eingetroffenen Barone Musterung abzuhalten und seinen Zug gegen England anzutreten. Aber die Geisterwelt, einmal erschlossen, schien nicht ohne einen zweiten Versuch den Platz räumen und ihr Spiel verloren geben zu wollen. Die Musterung über das Heer, wohl 50,000 Mann stark, war abgenommen, und der Marsch gegen Süden auf den nächsten Morgen festgesetzt. Die Truppen lagerten draußen auf dem Blachfeld, aber viele von den Lords und Clanführern waren in die Stadt gekommen, um die letzten Stunden vor dem Aufbruch beim Weine zu verplaudern. Mitternacht war bereits vorüber und <TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0150" n="136"/> der Pilger (denn das schien er seinem Aufzuge nach sein zu wollen) jetzt zu sprechen begann: „Mich sendet meine Mutter; steh’ ab, König, von dem, was Du vorhast; nichts Gutes wartet Deiner, noch Derer, die Dich begleiten. Meide die Weiber und hüte Dich vor ihrem Rath; wo nicht, bist Du der Schande verfallen!“ Er sprach diese Worte laut und eindringlich; als Sir David Lindsay sich ermannte und nach der Gestalt greifen wollte, die fast Arm an Arm mit ihm gestanden hatte, war sie wie ein Schemen verschwunden.</p><lb/> <p>Es verlautet nichts darüber, wie der Eindruck war, den diese Erscheinung auf den König machte, und ob er mehr in ihr sah, als die Erfindung einer von Eifersucht geplagten Königin. Gleichviel, die Dinge waren zu weit gediehen um über Nacht geändert werden zu können, und am nächsten Morgen schon begab sich Jacob nach Borough-moor, um daselbst über die inzwischen eingetroffenen Barone Musterung abzuhalten und seinen Zug gegen England anzutreten. Aber die Geisterwelt, einmal erschlossen, schien nicht ohne einen zweiten Versuch den Platz räumen und ihr Spiel verloren geben zu wollen. </p><lb/> <p>Die Musterung über das Heer, wohl 50,000 Mann stark, war abgenommen, und der Marsch gegen Süden auf den nächsten Morgen festgesetzt. Die Truppen lagerten draußen auf dem Blachfeld, aber viele von den Lords und Clanführern waren in die Stadt gekommen, um die letzten Stunden vor dem Aufbruch beim Weine zu verplaudern. Mitternacht war bereits vorüber und<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [136/0150]
der Pilger (denn das schien er seinem Aufzuge nach sein zu wollen) jetzt zu sprechen begann: „Mich sendet meine Mutter; steh’ ab, König, von dem, was Du vorhast; nichts Gutes wartet Deiner, noch Derer, die Dich begleiten. Meide die Weiber und hüte Dich vor ihrem Rath; wo nicht, bist Du der Schande verfallen!“ Er sprach diese Worte laut und eindringlich; als Sir David Lindsay sich ermannte und nach der Gestalt greifen wollte, die fast Arm an Arm mit ihm gestanden hatte, war sie wie ein Schemen verschwunden.
Es verlautet nichts darüber, wie der Eindruck war, den diese Erscheinung auf den König machte, und ob er mehr in ihr sah, als die Erfindung einer von Eifersucht geplagten Königin. Gleichviel, die Dinge waren zu weit gediehen um über Nacht geändert werden zu können, und am nächsten Morgen schon begab sich Jacob nach Borough-moor, um daselbst über die inzwischen eingetroffenen Barone Musterung abzuhalten und seinen Zug gegen England anzutreten. Aber die Geisterwelt, einmal erschlossen, schien nicht ohne einen zweiten Versuch den Platz räumen und ihr Spiel verloren geben zu wollen.
Die Musterung über das Heer, wohl 50,000 Mann stark, war abgenommen, und der Marsch gegen Süden auf den nächsten Morgen festgesetzt. Die Truppen lagerten draußen auf dem Blachfeld, aber viele von den Lords und Clanführern waren in die Stadt gekommen, um die letzten Stunden vor dem Aufbruch beim Weine zu verplaudern. Mitternacht war bereits vorüber und
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Zitationshilfe: | Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_tweed_1860/150>, abgerufen am 22.07.2024. |