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Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860.

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beide verwandt, daß sie, durch ruchlose Hand in Brand gesteckt*), sich stärker erwiesen haben als die Zerstörungswuth feindlicher Banden; beide zählen bis diesen Tag zu den wohlerhaltenen Ruinen. An zauberischer Lage, an Mannigfaltigkeit und buntem Wechsel, bleibt Linlithgow freilich weit hinter der deutschen Schloß-Ruine zurück, hat aber andrerseits Geschlossenheit, Ernst und einen edleren, alle Ueberladenheit meidenden Styl vor dieser voraus.

Von den vier Flügeln des Pallastes interessirt uns nur einer, der westliche. Hier concentrirt sich das Interesse und fast jeder einzelne Raum hat seine Geschichte. Ueber einem weiten unheimlichen Kellergewölbe, das in den Regierungstagen Karl II. als Gefängniß und Hinrichtungsstätte diente (ein rostiger Eisenhaken an der Decke

*) Der englische General Hawley und seine Dragoner waren vom Prätendenten ("Prinz Charlie") und seinen Hochländern bei Falkirk geschlagen worden. Hawley zog sich nach Linlithgow zurück und quartirte sich selbst und seine Dragoner im dortigen Schlosse ein. Nur auf eine Nacht, denn die Hochländer rückten nach. Als die Dragoner am andern Morgen das Schloß verließen, warfen sie glimmende Asche auf die durch Zimmer und Säle gebreitete Streu. In wenigen Minuten stand das ganze Schloß in Flammen. Hawley (wie unser Führer uns erzählte) rief der Lady Gordon, der Dame vom Hause zu: "retten Sie sich, Mylady", worauf die schottische Dame lächelnd erwiederte: es eilt nicht, General; schlimmstenfalls aber werd' ich mich vor Eurem Feuer so gut zu retten wissen, wie Ihr euch vor dem unsern (bei Falkirk) gerettet habt. Es ist sehr charakteristisch, mit welcher Vorliebe einem die Schotten solche und ähnliche Anekdoten zu erzählen lieben. Sie fühlen sich als die schwächern und unterdrückten und bewahren deshalb jeden kleinsten Zug dankbar im Gedächtniß, der schottischen Muth und Geistesgegenwart auf Kosten der Engländer verherrlicht.

beide verwandt, daß sie, durch ruchlose Hand in Brand gesteckt*), sich stärker erwiesen haben als die Zerstörungswuth feindlicher Banden; beide zählen bis diesen Tag zu den wohlerhaltenen Ruinen. An zauberischer Lage, an Mannigfaltigkeit und buntem Wechsel, bleibt Linlithgow freilich weit hinter der deutschen Schloß-Ruine zurück, hat aber andrerseits Geschlossenheit, Ernst und einen edleren, alle Ueberladenheit meidenden Styl vor dieser voraus.

Von den vier Flügeln des Pallastes interessirt uns nur einer, der westliche. Hier concentrirt sich das Interesse und fast jeder einzelne Raum hat seine Geschichte. Ueber einem weiten unheimlichen Kellergewölbe, das in den Regierungstagen Karl II. als Gefängniß und Hinrichtungsstätte diente (ein rostiger Eisenhaken an der Decke

*) Der englische General Hawley und seine Dragoner waren vom Prätendenten („Prinz Charlie“) und seinen Hochländern bei Falkirk geschlagen worden. Hawley zog sich nach Linlithgow zurück und quartirte sich selbst und seine Dragoner im dortigen Schlosse ein. Nur auf eine Nacht, denn die Hochländer rückten nach. Als die Dragoner am andern Morgen das Schloß verließen, warfen sie glimmende Asche auf die durch Zimmer und Säle gebreitete Streu. In wenigen Minuten stand das ganze Schloß in Flammen. Hawley (wie unser Führer uns erzählte) rief der Lady Gordon, der Dame vom Hause zu: „retten Sie sich, Mylady“, worauf die schottische Dame lächelnd erwiederte: es eilt nicht, General; schlimmstenfalls aber werd’ ich mich vor Eurem Feuer so gut zu retten wissen, wie Ihr euch vor dem unsern (bei Falkirk) gerettet habt. Es ist sehr charakteristisch, mit welcher Vorliebe einem die Schotten solche und ähnliche Anekdoten zu erzählen lieben. Sie fühlen sich als die schwächern und unterdrückten und bewahren deshalb jeden kleinsten Zug dankbar im Gedächtniß, der schottischen Muth und Geistesgegenwart auf Kosten der Engländer verherrlicht.
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[125/0139] beide verwandt, daß sie, durch ruchlose Hand in Brand gesteckt *), sich stärker erwiesen haben als die Zerstörungswuth feindlicher Banden; beide zählen bis diesen Tag zu den wohlerhaltenen Ruinen. An zauberischer Lage, an Mannigfaltigkeit und buntem Wechsel, bleibt Linlithgow freilich weit hinter der deutschen Schloß-Ruine zurück, hat aber andrerseits Geschlossenheit, Ernst und einen edleren, alle Ueberladenheit meidenden Styl vor dieser voraus. Von den vier Flügeln des Pallastes interessirt uns nur einer, der westliche. Hier concentrirt sich das Interesse und fast jeder einzelne Raum hat seine Geschichte. Ueber einem weiten unheimlichen Kellergewölbe, das in den Regierungstagen Karl II. als Gefängniß und Hinrichtungsstätte diente (ein rostiger Eisenhaken an der Decke *) Der englische General Hawley und seine Dragoner waren vom Prätendenten („Prinz Charlie“) und seinen Hochländern bei Falkirk geschlagen worden. Hawley zog sich nach Linlithgow zurück und quartirte sich selbst und seine Dragoner im dortigen Schlosse ein. Nur auf eine Nacht, denn die Hochländer rückten nach. Als die Dragoner am andern Morgen das Schloß verließen, warfen sie glimmende Asche auf die durch Zimmer und Säle gebreitete Streu. In wenigen Minuten stand das ganze Schloß in Flammen. Hawley (wie unser Führer uns erzählte) rief der Lady Gordon, der Dame vom Hause zu: „retten Sie sich, Mylady“, worauf die schottische Dame lächelnd erwiederte: es eilt nicht, General; schlimmstenfalls aber werd’ ich mich vor Eurem Feuer so gut zu retten wissen, wie Ihr euch vor dem unsern (bei Falkirk) gerettet habt. Es ist sehr charakteristisch, mit welcher Vorliebe einem die Schotten solche und ähnliche Anekdoten zu erzählen lieben. Sie fühlen sich als die schwächern und unterdrückten und bewahren deshalb jeden kleinsten Zug dankbar im Gedächtniß, der schottischen Muth und Geistesgegenwart auf Kosten der Engländer verherrlicht.

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). (2018-07-25T15:22:45Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Alexandra Priesterath, Christian Thomas, Linda Martin: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-25T15:22:45Z)

Weitere Informationen:

Theodor Fontane: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Hrsg. von Maren Ermisch. Berlin 2017 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das reiseliterarische Werk, Bd. 2]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).

Der Text der Ausgabe wird hier ergänzt um das Kapitel „Lochleven-Castle“, das aus verlagstechnischen Gründen in der Erstausgabe fehlte (vgl. dazu die entsprechenden Informationen auf der Seite der Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen). Die dazugehörigen Faksimiles, 0331 bis 0333, wurden von Seiten der Österreichischen Nationalbibliothek übernommen.

Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).

  • Bogensignaturen: nicht übernommen;
  • Druckfehler: dokumentiert;
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;
  • Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe;
  • Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet;
  • i/j in Fraktur: keine Angabe;
  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert;
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  • langes s (ſ): als s transkribiert;
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  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;
  • Seitenumbrüche markiert: ja;
  • Silbentrennung: aufgelöst;
  • u/v bzw. U/V: keine Angabe;
  • Vokale mit übergest. e: keine Angabe;
  • Vollständigkeit: vollständig erfasst;
  • Zeichensetzung: wie Vorlage;
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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_tweed_1860/139>, abgerufen am 22.12.2024.