Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860.schichte zu nehmen, den Alten-Dessauers die ausschließliche Denkmals-Berechtigung längst genommen und einen gleichen Anspruch, oder einen größeren noch, auf die Lessing's und Winckelmann's, auf die Kant's und Beuth's ihres Landes übertragen. In Oban (an der Westküste) fand ich ein Buch im Gastzimmer, das den Titel führte: "Die Würdigsten unseres Volks". Ich blätterte eine halbe Stunde darin und suchte nach mir bekannten Namen, aber vergeblich. Wer waren die Würdigsten? Märtyrer und Reformatoren, Entdecker und Philanthropen, Dichter, Künstler, Gelehrte, aber kein Archibald Bell the Cat mit "langem Schwert und kurzer Geduld", kein Douglas mit der Devise "stolz und treu", am wenigsten jener Hamilton's einer, die eine Locke Maria Stuarts bis diesen Augenblick wie eine Reliquie aufbewahren. Dies Auftreten zwei ganz entgegengesetzter Elemente, die nur darin zusammenfallen, daß jedes nach seiner Art zur nationalen Kraft und Bedeutung des Landes beigesteuert hat, läßt sich vielleicht nirgends so gut beobachten, wie in Schottland, weil der Contrast selten so schlagend hervortritt wie gerade hier. Während im Laufe der letzten 100 Jahre der ökonomische, puritanische und prosaische Sinn der Bevölkerung die Dinge innerlich zum Besten gewandt und vor Wüstheit und unausbleiblichem Verfall gerettet hat, hat gleichzeitig die wüste Kraftepoche, die wenigstens dagewesen sein mußte, um poetisch verherrlicht werden zu können, dem Ganzen nach außen hin einen Glorienschein, ein Ansehen geliehen, das ihm die blos schichte zu nehmen, den Alten-Dessauers die ausschließliche Denkmals-Berechtigung längst genommen und einen gleichen Anspruch, oder einen größeren noch, auf die Lessing’s und Winckelmann’s, auf die Kant’s und Beuth’s ihres Landes übertragen. In Oban (an der Westküste) fand ich ein Buch im Gastzimmer, das den Titel führte: „Die Würdigsten unseres Volks“. Ich blätterte eine halbe Stunde darin und suchte nach mir bekannten Namen, aber vergeblich. Wer waren die Würdigsten? Märtyrer und Reformatoren, Entdecker und Philanthropen, Dichter, Künstler, Gelehrte, aber kein Archibald Bell the Cat mit „langem Schwert und kurzer Geduld“, kein Douglas mit der Devise „stolz und treu“, am wenigsten jener Hamilton’s einer, die eine Locke Maria Stuarts bis diesen Augenblick wie eine Reliquie aufbewahren. Dies Auftreten zwei ganz entgegengesetzter Elemente, die nur darin zusammenfallen, daß jedes nach seiner Art zur nationalen Kraft und Bedeutung des Landes beigesteuert hat, läßt sich vielleicht nirgends so gut beobachten, wie in Schottland, weil der Contrast selten so schlagend hervortritt wie gerade hier. Während im Laufe der letzten 100 Jahre der ökonomische, puritanische und prosaische Sinn der Bevölkerung die Dinge innerlich zum Besten gewandt und vor Wüstheit und unausbleiblichem Verfall gerettet hat, hat gleichzeitig die wüste Kraftepoche, die wenigstens dagewesen sein mußte, um poetisch verherrlicht werden zu können, dem Ganzen nach außen hin einen Glorienschein, ein Ansehen geliehen, das ihm die blos <TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0130" n="116"/> schichte zu nehmen, den Alten-Dessauers die ausschließliche Denkmals-Berechtigung längst genommen und einen gleichen Anspruch, oder einen größeren noch, auf die Lessing’s und Winckelmann’s, auf die Kant’s und Beuth’s ihres Landes übertragen. In Oban (an der Westküste) fand ich ein Buch im Gastzimmer, das den Titel führte: „Die Würdigsten unseres Volks“. Ich blätterte eine halbe Stunde darin und suchte nach mir bekannten Namen, aber vergeblich. Wer waren die Würdigsten? Märtyrer und Reformatoren, Entdecker und Philanthropen, Dichter, Künstler, Gelehrte, aber kein Archibald Bell the Cat mit „langem Schwert und kurzer Geduld“, kein Douglas mit der Devise „stolz und treu“, am wenigsten jener Hamilton’s einer, die eine Locke Maria Stuarts bis diesen Augenblick wie eine Reliquie aufbewahren. Dies Auftreten zwei ganz entgegengesetzter Elemente, die nur darin zusammenfallen, daß jedes <hi rendition="#g">nach seiner</hi> Art zur nationalen Kraft und Bedeutung des Landes beigesteuert hat, läßt sich vielleicht nirgends so gut beobachten, wie in Schottland, weil der Contrast selten so schlagend hervortritt wie gerade hier. Während im Laufe der letzten 100 Jahre der ökonomische, puritanische und prosaische Sinn der Bevölkerung die Dinge innerlich zum Besten gewandt und vor Wüstheit und unausbleiblichem Verfall gerettet hat, hat gleichzeitig die wüste Kraftepoche, die wenigstens dagewesen sein mußte, um poetisch verherrlicht werden zu können, dem Ganzen nach außen hin einen Glorienschein, ein Ansehen geliehen, das ihm die blos<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [116/0130]
schichte zu nehmen, den Alten-Dessauers die ausschließliche Denkmals-Berechtigung längst genommen und einen gleichen Anspruch, oder einen größeren noch, auf die Lessing’s und Winckelmann’s, auf die Kant’s und Beuth’s ihres Landes übertragen. In Oban (an der Westküste) fand ich ein Buch im Gastzimmer, das den Titel führte: „Die Würdigsten unseres Volks“. Ich blätterte eine halbe Stunde darin und suchte nach mir bekannten Namen, aber vergeblich. Wer waren die Würdigsten? Märtyrer und Reformatoren, Entdecker und Philanthropen, Dichter, Künstler, Gelehrte, aber kein Archibald Bell the Cat mit „langem Schwert und kurzer Geduld“, kein Douglas mit der Devise „stolz und treu“, am wenigsten jener Hamilton’s einer, die eine Locke Maria Stuarts bis diesen Augenblick wie eine Reliquie aufbewahren. Dies Auftreten zwei ganz entgegengesetzter Elemente, die nur darin zusammenfallen, daß jedes nach seiner Art zur nationalen Kraft und Bedeutung des Landes beigesteuert hat, läßt sich vielleicht nirgends so gut beobachten, wie in Schottland, weil der Contrast selten so schlagend hervortritt wie gerade hier. Während im Laufe der letzten 100 Jahre der ökonomische, puritanische und prosaische Sinn der Bevölkerung die Dinge innerlich zum Besten gewandt und vor Wüstheit und unausbleiblichem Verfall gerettet hat, hat gleichzeitig die wüste Kraftepoche, die wenigstens dagewesen sein mußte, um poetisch verherrlicht werden zu können, dem Ganzen nach außen hin einen Glorienschein, ein Ansehen geliehen, das ihm die blos
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Zitationshilfe: | Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_tweed_1860/130>, abgerufen am 22.07.2024. |