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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Barrikade zurückgezogen hatte. Da standen sie nun und
nahmen ein mit den massenhaft umherliegenden Kastanien
geführtes Feuergefecht auf. Die meisten ihrer Schüsse
gingen zu kurz und fielen klappernd wie Hagel auf die
Ballons nieder. Ich hätte dem Spiel, ich weiß nicht wie
lange, zusehn können. Als man unserer aber ansichtig
wurde, stob alles unter Hurra und Mützenschwenken aus¬
einander. Überall sind Photographen. Nur wo sie hin¬
gehören, da fehlen sie. Genau so wie bei der Polizei."

Dubslav hatte schmunzelnd der Schilderung zugehört.
"Hören Sie, Hauptmann, Sie verstehn es aber; Sie
können mit 'nem Dukaten den Großen Kurfürsten ver¬
golden."

"Ja," sagte Rex, seinen Partner plötzlich im Stiche
lassend, "das thut unser Freund Czako nicht anders; drei¬
viertel ist immer Dichtung."

"Ich gebe mich auch nicht für einen Historiker aus
und am wenigsten für einen korrekten Aktenmenschen."

"Und dabei, lieber Czako," nahm jetzt Dubslav das
Wort, "dabei bleiben Sie nur. Auf Ihr Spezielles! In
so wichtiger Sache müssen Sie mir aber in meiner Lieb¬
lingssorte Bescheid thun, nicht in Rotwein, den mein be¬
rühmter Miteinsiedler das ,natürliche Getränk des nord¬
deutschen Menschen' genannt hatte. Einer seiner mannig¬
fachen Irrtümer; vielleicht der größte. Das natürliche
Getränk des norddeutschen Menschen ist am Rhein und
Main zu finden. Und am vorzüglichsten da, wo sich,
wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf, beide vermählen.
Ungefähr von dieser Vermählungsstelle kommt auch der
hier." Und dabei wies er auf eine vor ihm stehende
Bocksbeutelflasche. "Sehen Sie, meine Herren, verhaßt
sind mir alle langen Hälse; das hier aber, das nenn' ich
eine gefällige Form. Heißt es nicht irgendwo: ,Laßt mich
dicke Leute sehn', oder so ähnlich. Da stimm' ich zu;
dicke Flaschen, die sind mein Fall." Und dabei stieß er

Barrikade zurückgezogen hatte. Da ſtanden ſie nun und
nahmen ein mit den maſſenhaft umherliegenden Kaſtanien
geführtes Feuergefecht auf. Die meiſten ihrer Schüſſe
gingen zu kurz und fielen klappernd wie Hagel auf die
Ballons nieder. Ich hätte dem Spiel, ich weiß nicht wie
lange, zuſehn können. Als man unſerer aber anſichtig
wurde, ſtob alles unter Hurra und Mützenſchwenken aus¬
einander. Überall ſind Photographen. Nur wo ſie hin¬
gehören, da fehlen ſie. Genau ſo wie bei der Polizei.“

Dubslav hatte ſchmunzelnd der Schilderung zugehört.
„Hören Sie, Hauptmann, Sie verſtehn es aber; Sie
können mit 'nem Dukaten den Großen Kurfürſten ver¬
golden.“

„Ja,“ ſagte Rex, ſeinen Partner plötzlich im Stiche
laſſend, „das thut unſer Freund Czako nicht anders; drei¬
viertel iſt immer Dichtung.“

„Ich gebe mich auch nicht für einen Hiſtoriker aus
und am wenigſten für einen korrekten Aktenmenſchen.“

„Und dabei, lieber Czako,“ nahm jetzt Dubslav das
Wort, „dabei bleiben Sie nur. Auf Ihr Spezielles! In
ſo wichtiger Sache müſſen Sie mir aber in meiner Lieb¬
lingsſorte Beſcheid thun, nicht in Rotwein, den mein be¬
rühmter Miteinſiedler das ‚natürliche Getränk des nord¬
deutſchen Menſchen‘ genannt hatte. Einer ſeiner mannig¬
fachen Irrtümer; vielleicht der größte. Das natürliche
Getränk des norddeutſchen Menſchen iſt am Rhein und
Main zu finden. Und am vorzüglichſten da, wo ſich,
wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf, beide vermählen.
Ungefähr von dieſer Vermählungsſtelle kommt auch der
hier.“ Und dabei wies er auf eine vor ihm ſtehende
Bocksbeutelflaſche. „Sehen Sie, meine Herren, verhaßt
ſind mir alle langen Hälſe; das hier aber, das nenn' ich
eine gefällige Form. Heißt es nicht irgendwo: ‚Laßt mich
dicke Leute ſehn‘, oder ſo ähnlich. Da ſtimm' ich zu;
dicke Flaſchen, die ſind mein Fall.“ Und dabei ſtieß er

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[80/0087] Barrikade zurückgezogen hatte. Da ſtanden ſie nun und nahmen ein mit den maſſenhaft umherliegenden Kaſtanien geführtes Feuergefecht auf. Die meiſten ihrer Schüſſe gingen zu kurz und fielen klappernd wie Hagel auf die Ballons nieder. Ich hätte dem Spiel, ich weiß nicht wie lange, zuſehn können. Als man unſerer aber anſichtig wurde, ſtob alles unter Hurra und Mützenſchwenken aus¬ einander. Überall ſind Photographen. Nur wo ſie hin¬ gehören, da fehlen ſie. Genau ſo wie bei der Polizei.“ Dubslav hatte ſchmunzelnd der Schilderung zugehört. „Hören Sie, Hauptmann, Sie verſtehn es aber; Sie können mit 'nem Dukaten den Großen Kurfürſten ver¬ golden.“ „Ja,“ ſagte Rex, ſeinen Partner plötzlich im Stiche laſſend, „das thut unſer Freund Czako nicht anders; drei¬ viertel iſt immer Dichtung.“ „Ich gebe mich auch nicht für einen Hiſtoriker aus und am wenigſten für einen korrekten Aktenmenſchen.“ „Und dabei, lieber Czako,“ nahm jetzt Dubslav das Wort, „dabei bleiben Sie nur. Auf Ihr Spezielles! In ſo wichtiger Sache müſſen Sie mir aber in meiner Lieb¬ lingsſorte Beſcheid thun, nicht in Rotwein, den mein be¬ rühmter Miteinſiedler das ‚natürliche Getränk des nord¬ deutſchen Menſchen‘ genannt hatte. Einer ſeiner mannig¬ fachen Irrtümer; vielleicht der größte. Das natürliche Getränk des norddeutſchen Menſchen iſt am Rhein und Main zu finden. Und am vorzüglichſten da, wo ſich, wenn ich den Ausdruck gebrauchen darf, beide vermählen. Ungefähr von dieſer Vermählungsſtelle kommt auch der hier.“ Und dabei wies er auf eine vor ihm ſtehende Bocksbeutelflaſche. „Sehen Sie, meine Herren, verhaßt ſind mir alle langen Hälſe; das hier aber, das nenn' ich eine gefällige Form. Heißt es nicht irgendwo: ‚Laßt mich dicke Leute ſehn‘, oder ſo ähnlich. Da ſtimm' ich zu; dicke Flaſchen, die ſind mein Fall.“ Und dabei ſtieß er

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/87>, abgerufen am 08.05.2024.