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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Märtyrerlust in die Menschen gefahren wäre, bloß ich trau
dem Frieden noch nicht so recht."

"Ich auch nicht," bemerkte Rex, "meistens Renom¬
misterei."

"Na, na," sagte Czako. "Da hab' ich doch noch diese
letzten Tage von einem armen russischen Lehrer gelesen,
der unter die Soldaten gesteckt wurde (sie haben da jetzt auch
so was wie allgemeine Dienstpflicht), und dieser Mensch,
der Lehrer, hat sich geweigert, eine Flinte loszuschießen,
weil das bloß Vorschule sei zu Mord und Totschlag,
also ganz und gar gegen das fünfte Gebot. Und dieser
Mensch ist sehr gequält worden, und zuletzt ist er gestorben.
Wollen Sie das auch Renommisterei nennen?"

"Gewiß will ich das."

"Herr von Rex," sagte Dubslav, "sollten Sie dabei
nicht zu weit gehen? Wenn sich's ums Sterben handelt,
da hört das Renommieren auf. Aber diese Sache, von
der ich übrigens auch gehört habe, hat einen ganz andern
Schlüssel. Das liegt nicht an der allgemein gewordenen
Renommisterei, das liegt am Lehrertum. Alle Lehrer sind
nämlich verrückt. Ich habe hier auch einen, an dem ich
meine Studien gemacht habe; heißt Krippenstapel, was
allein schon was sagen will. Er ist grad um ein Jahr älter
als ich, also runde siebenundsechzig, und eigentlich ein
Prachtexemplar, jedenfalls ein vorzüglicher Lehrer. Aber
verrückt ist er doch."

"Das sind alle," sagte Rex. "Alle Lehrer sind ein
Schrecknis. Wir im Kultusministerium können ein Lied
davon singen. Diese Abc-Pauker wissen alles, und seitdem
Anno sechsundsechzig der unsinnige Satz in die Mode
kam, ,der preußische Schulmeister habe die Österreicher
geschlagen' -- ich meinerseits würde lieber dem Zündnadel¬
gewehr oder dem alten Steinmetz, der alles nur kein
Schulmeister war, den Preis zuerkennen -- seitdem ist
es vollends mit diesen Leuten nicht mehr auszuhalten.

Märtyrerluſt in die Menſchen gefahren wäre, bloß ich trau
dem Frieden noch nicht ſo recht.“

„Ich auch nicht,“ bemerkte Rex, „meiſtens Renom¬
miſterei.“

„Na, na,“ ſagte Czako. „Da hab' ich doch noch dieſe
letzten Tage von einem armen ruſſiſchen Lehrer geleſen,
der unter die Soldaten geſteckt wurde (ſie haben da jetzt auch
ſo was wie allgemeine Dienſtpflicht), und dieſer Menſch,
der Lehrer, hat ſich geweigert, eine Flinte loszuſchießen,
weil das bloß Vorſchule ſei zu Mord und Totſchlag,
alſo ganz und gar gegen das fünfte Gebot. Und dieſer
Menſch iſt ſehr gequält worden, und zuletzt iſt er geſtorben.
Wollen Sie das auch Renommiſterei nennen?“

„Gewiß will ich das.“

„Herr von Rex,“ ſagte Dubslav, „ſollten Sie dabei
nicht zu weit gehen? Wenn ſich's ums Sterben handelt,
da hört das Renommieren auf. Aber dieſe Sache, von
der ich übrigens auch gehört habe, hat einen ganz andern
Schlüſſel. Das liegt nicht an der allgemein gewordenen
Renommiſterei, das liegt am Lehrertum. Alle Lehrer ſind
nämlich verrückt. Ich habe hier auch einen, an dem ich
meine Studien gemacht habe; heißt Krippenſtapel, was
allein ſchon was ſagen will. Er iſt grad um ein Jahr älter
als ich, alſo runde ſiebenundſechzig, und eigentlich ein
Prachtexemplar, jedenfalls ein vorzüglicher Lehrer. Aber
verrückt iſt er doch.“

„Das ſind alle,“ ſagte Rex. „Alle Lehrer ſind ein
Schrecknis. Wir im Kultusminiſterium können ein Lied
davon ſingen. Dieſe Abc-Pauker wiſſen alles, und ſeitdem
Anno ſechsundſechzig der unſinnige Satz in die Mode
kam, ‚der preußiſche Schulmeiſter habe die Öſterreicher
geſchlagen‘ — ich meinerſeits würde lieber dem Zündnadel¬
gewehr oder dem alten Steinmetz, der alles nur kein
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es vollends mit dieſen Leuten nicht mehr auszuhalten.

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[63/0070] Märtyrerluſt in die Menſchen gefahren wäre, bloß ich trau dem Frieden noch nicht ſo recht.“ „Ich auch nicht,“ bemerkte Rex, „meiſtens Renom¬ miſterei.“ „Na, na,“ ſagte Czako. „Da hab' ich doch noch dieſe letzten Tage von einem armen ruſſiſchen Lehrer geleſen, der unter die Soldaten geſteckt wurde (ſie haben da jetzt auch ſo was wie allgemeine Dienſtpflicht), und dieſer Menſch, der Lehrer, hat ſich geweigert, eine Flinte loszuſchießen, weil das bloß Vorſchule ſei zu Mord und Totſchlag, alſo ganz und gar gegen das fünfte Gebot. Und dieſer Menſch iſt ſehr gequält worden, und zuletzt iſt er geſtorben. Wollen Sie das auch Renommiſterei nennen?“ „Gewiß will ich das.“ „Herr von Rex,“ ſagte Dubslav, „ſollten Sie dabei nicht zu weit gehen? Wenn ſich's ums Sterben handelt, da hört das Renommieren auf. Aber dieſe Sache, von der ich übrigens auch gehört habe, hat einen ganz andern Schlüſſel. Das liegt nicht an der allgemein gewordenen Renommiſterei, das liegt am Lehrertum. Alle Lehrer ſind nämlich verrückt. Ich habe hier auch einen, an dem ich meine Studien gemacht habe; heißt Krippenſtapel, was allein ſchon was ſagen will. Er iſt grad um ein Jahr älter als ich, alſo runde ſiebenundſechzig, und eigentlich ein Prachtexemplar, jedenfalls ein vorzüglicher Lehrer. Aber verrückt iſt er doch.“ „Das ſind alle,“ ſagte Rex. „Alle Lehrer ſind ein Schrecknis. Wir im Kultusminiſterium können ein Lied davon ſingen. Dieſe Abc-Pauker wiſſen alles, und ſeitdem Anno ſechsundſechzig der unſinnige Satz in die Mode kam, ‚der preußiſche Schulmeiſter habe die Öſterreicher geſchlagen‘ — ich meinerſeits würde lieber dem Zündnadel¬ gewehr oder dem alten Steinmetz, der alles nur kein Schulmeiſter war, den Preis zuerkennen — ſeitdem iſt es vollends mit dieſen Leuten nicht mehr auszuhalten.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/70>, abgerufen am 07.05.2024.