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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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abgehalten haben; es war ja da drin gar keine mensch¬
liche Temperatur mehr. Und nun erst hier draußen."

"Is leider so," sagte Molchow, "und ich werde
wohl auch mit 'ner Kopfkolik abschließen. Und mitunter
stirbt man dran. Aber wenn man in Berlin is (und
ich habe da neulich auch so was mitgemacht), is es doch
noch schlimmer. Da haben sie was, was sie 'ne Leichen¬
halle nennen, 'ne Art Kapelle mit Bibelspruch und Lor¬
beerbäumen, und dahinter verstecken sich ein paar Ge¬
sangsmenschen. Wenn man sie nachher aber sieht, sehen
sie sehr gefrühstückt aus."

"Kenn' ich, kenn' ich," sagte Nonne.

"Nu, der Gesang," fuhr Molchow fort, "das ginge
noch, den kann man schließlich aushalten. Aber der
Fußboden und der Zug durch die offenstehende Thür.
Und wenn man noch bloß den kriegte. Wer aber Pech
hat, der kommt, wenn's Winter is, dicht neben einen
Kanonenofen zu stehn, und wenn ich sage, "der pustet",
so sag' ich noch wenig. Und der Geistliche kann einem
auch leid thun. Er spricht so zu sagen für niemanden.
Wer kann denn bei solchem Zug und solchem Ofenpusten
ordentlich zuhören? Und bloß das weiß ich, daß ich
immer an die drei Männer im feurigen Ofen gedacht
habe. So halb Eisklumpen, halb Bratapfel is nich
mein Fall."

"Ja, die Berliner," sagte Nonne .... "Nich zu
glauben."

"Nich zu glauben. Und dabei bilden sie sich ein,
sie hätten eigentlich alles am besten. Und mancher
von ihnen glaubt es auch wirklich. Aber die Hölle lacht."

"Ich bitte Sie, Molchow, menagieren Sie sich!
Das über Berlin, na, das ginge vielleicht noch. Aber
so gleich hier von Hölle, hier mitten auf 'nem christlichen
Kirchhof ..."


abgehalten haben; es war ja da drin gar keine menſch¬
liche Temperatur mehr. Und nun erſt hier draußen.“

„Is leider ſo,“ ſagte Molchow, „und ich werde
wohl auch mit 'ner Kopfkolik abſchließen. Und mitunter
ſtirbt man dran. Aber wenn man in Berlin is (und
ich habe da neulich auch ſo was mitgemacht), is es doch
noch ſchlimmer. Da haben ſie was, was ſie 'ne Leichen¬
halle nennen, 'ne Art Kapelle mit Bibelſpruch und Lor¬
beerbäumen, und dahinter verſtecken ſich ein paar Ge¬
ſangsmenſchen. Wenn man ſie nachher aber ſieht, ſehen
ſie ſehr gefrühſtückt aus.“

„Kenn' ich, kenn' ich,“ ſagte Nonne.

„Nu, der Geſang,“ fuhr Molchow fort, „das ginge
noch, den kann man ſchließlich aushalten. Aber der
Fußboden und der Zug durch die offenſtehende Thür.
Und wenn man noch bloß den kriegte. Wer aber Pech
hat, der kommt, wenn's Winter is, dicht neben einen
Kanonenofen zu ſtehn, und wenn ich ſage, „der puſtet“,
ſo ſag' ich noch wenig. Und der Geiſtliche kann einem
auch leid thun. Er ſpricht ſo zu ſagen für niemanden.
Wer kann denn bei ſolchem Zug und ſolchem Ofenpuſten
ordentlich zuhören? Und bloß das weiß ich, daß ich
immer an die drei Männer im feurigen Ofen gedacht
habe. So halb Eisklumpen, halb Bratapfel is nich
mein Fall.“

„Ja, die Berliner,“ ſagte Nonne .... „Nich zu
glauben.“

„Nich zu glauben. Und dabei bilden ſie ſich ein,
ſie hätten eigentlich alles am beſten. Und mancher
von ihnen glaubt es auch wirklich. Aber die Hölle lacht.“

„Ich bitte Sie, Molchow, menagieren Sie ſich!
Das über Berlin, na, das ginge vielleicht noch. Aber
ſo gleich hier von Hölle, hier mitten auf 'nem chriſtlichen
Kirchhof ...“


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[503/0510] abgehalten haben; es war ja da drin gar keine menſch¬ liche Temperatur mehr. Und nun erſt hier draußen.“ „Is leider ſo,“ ſagte Molchow, „und ich werde wohl auch mit 'ner Kopfkolik abſchließen. Und mitunter ſtirbt man dran. Aber wenn man in Berlin is (und ich habe da neulich auch ſo was mitgemacht), is es doch noch ſchlimmer. Da haben ſie was, was ſie 'ne Leichen¬ halle nennen, 'ne Art Kapelle mit Bibelſpruch und Lor¬ beerbäumen, und dahinter verſtecken ſich ein paar Ge¬ ſangsmenſchen. Wenn man ſie nachher aber ſieht, ſehen ſie ſehr gefrühſtückt aus.“ „Kenn' ich, kenn' ich,“ ſagte Nonne. „Nu, der Geſang,“ fuhr Molchow fort, „das ginge noch, den kann man ſchließlich aushalten. Aber der Fußboden und der Zug durch die offenſtehende Thür. Und wenn man noch bloß den kriegte. Wer aber Pech hat, der kommt, wenn's Winter is, dicht neben einen Kanonenofen zu ſtehn, und wenn ich ſage, „der puſtet“, ſo ſag' ich noch wenig. Und der Geiſtliche kann einem auch leid thun. Er ſpricht ſo zu ſagen für niemanden. Wer kann denn bei ſolchem Zug und ſolchem Ofenpuſten ordentlich zuhören? Und bloß das weiß ich, daß ich immer an die drei Männer im feurigen Ofen gedacht habe. So halb Eisklumpen, halb Bratapfel is nich mein Fall.“ „Ja, die Berliner,“ ſagte Nonne .... „Nich zu glauben.“ „Nich zu glauben. Und dabei bilden ſie ſich ein, ſie hätten eigentlich alles am beſten. Und mancher von ihnen glaubt es auch wirklich. Aber die Hölle lacht.“ „Ich bitte Sie, Molchow, menagieren Sie ſich! Das über Berlin, na, das ginge vielleicht noch. Aber ſo gleich hier von Hölle, hier mitten auf 'nem chriſtlichen Kirchhof ...“

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 503. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/510>, abgerufen am 22.11.2024.