Ton an. "Nein, Engelke, graule dich nicht vor deinem alten Herrn. Ich habe es bloß so hingesagt. Die Buschen soll nich kommen. Es würde mir wohl auch nicht viel schaden, aber wenn man schon so in sein Grab sieht, dann muß man doch anders sprechen, sonst hat man schlechte Nachrede bei den Leuten. Und das möcht' ich nich, um meinetwegen nich und um Woldemars wegen nich ... Und dabei fällt mir auch noch Adelheid ein .. Die käme mir am Ende gleich nach, um mich zu retten. Nein, Engelke nich die Buschen. Aber gieb mir noch mal von den Tropfen. Ein bißchen besser als der Thee sind sie doch."
Engelke ging, und Dubslav war wieder allein. Er fühlte, daß es zu Ende gehe. "Das "Ich" ist nichts, -- damit muß man sich durchdringen. Ein ewig Ge¬ setzliches vollzieht sich, weiter nichts, und dieser Vollzug, auch wenn er "Tod" heißt, darf uns nicht schrecken. In das Gesetzliche sich ruhig schicken, das macht den sitt¬ lichen Menschen und hebt ihn."
Er hing dem noch so nach und freute sich, alle Furcht überwunden zu haben. Aber dann kamen doch wieder Anfälle von Angst, und er seufzte: "Das Leben ist kurz, aber die Stunde ist lang."
Es war eine schlimme Nacht. Alles blieb auf. Engelke lief hin und her, und Agnes saß in ihrem Bett und sah mit großen Augen durch die halbgeöffnete Thür in das Zimmer des Kranken. Erst als schon der Tag graute, wurde durch das ganze Haus hin alles ruhiger; der Kranke nickte matt vor sich hin, und auch Agnes schlief ein.
Ton an. „Nein, Engelke, graule dich nicht vor deinem alten Herrn. Ich habe es bloß ſo hingeſagt. Die Buſchen ſoll nich kommen. Es würde mir wohl auch nicht viel ſchaden, aber wenn man ſchon ſo in ſein Grab ſieht, dann muß man doch anders ſprechen, ſonſt hat man ſchlechte Nachrede bei den Leuten. Und das möcht' ich nich, um meinetwegen nich und um Woldemars wegen nich ... Und dabei fällt mir auch noch Adelheid ein .. Die käme mir am Ende gleich nach, um mich zu retten. Nein, Engelke nich die Buſchen. Aber gieb mir noch mal von den Tropfen. Ein bißchen beſſer als der Thee ſind ſie doch.“
Engelke ging, und Dubslav war wieder allein. Er fühlte, daß es zu Ende gehe. „Das „Ich“ iſt nichts, — damit muß man ſich durchdringen. Ein ewig Ge¬ ſetzliches vollzieht ſich, weiter nichts, und dieſer Vollzug, auch wenn er „Tod“ heißt, darf uns nicht ſchrecken. In das Geſetzliche ſich ruhig ſchicken, das macht den ſitt¬ lichen Menſchen und hebt ihn.“
Er hing dem noch ſo nach und freute ſich, alle Furcht überwunden zu haben. Aber dann kamen doch wieder Anfälle von Angſt, und er ſeufzte: „Das Leben iſt kurz, aber die Stunde iſt lang.“
Es war eine ſchlimme Nacht. Alles blieb auf. Engelke lief hin und her, und Agnes ſaß in ihrem Bett und ſah mit großen Augen durch die halbgeöffnete Thür in das Zimmer des Kranken. Erſt als ſchon der Tag graute, wurde durch das ganze Haus hin alles ruhiger; der Kranke nickte matt vor ſich hin, und auch Agnes ſchlief ein.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0501"n="494"/>
Ton an. „Nein, Engelke, graule dich nicht vor deinem<lb/>
alten Herrn. Ich habe es bloß ſo hingeſagt. Die<lb/>
Buſchen ſoll nich kommen. Es würde mir wohl auch<lb/>
nicht viel ſchaden, aber wenn man ſchon ſo in ſein Grab<lb/>ſieht, dann muß man doch anders ſprechen, ſonſt hat<lb/>
man ſchlechte Nachrede bei den Leuten. Und das möcht'<lb/>
ich nich, um meinetwegen nich und um Woldemars wegen<lb/>
nich ... Und dabei fällt mir auch noch Adelheid ein ..<lb/>
Die käme mir am Ende gleich nach, um mich zu retten.<lb/>
Nein, Engelke nich die Buſchen. Aber gieb mir noch<lb/>
mal von den Tropfen. Ein bißchen beſſer als der Thee<lb/>ſind ſie doch.“</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Engelke ging, und Dubslav war wieder allein.<lb/>
Er fühlte, daß es zu Ende gehe. „Das „Ich“ iſt nichts,<lb/>— damit muß man ſich durchdringen. Ein ewig Ge¬<lb/>ſetzliches vollzieht ſich, weiter nichts, und dieſer Vollzug,<lb/>
auch wenn er „Tod“ heißt, darf uns nicht ſchrecken. In<lb/>
das Geſetzliche ſich ruhig ſchicken, das macht den ſitt¬<lb/>
lichen Menſchen und hebt ihn.“</p><lb/><p>Er hing dem noch ſo nach und freute ſich, alle<lb/>
Furcht überwunden zu haben. Aber dann kamen doch<lb/>
wieder Anfälle von Angſt, und er ſeufzte: „Das Leben<lb/>
iſt kurz, aber die Stunde iſt lang.“</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Es war eine ſchlimme Nacht. Alles blieb auf.<lb/>
Engelke lief hin und her, und Agnes ſaß in ihrem Bett<lb/>
und ſah mit großen Augen durch die halbgeöffnete<lb/>
Thür in das Zimmer des Kranken. Erſt als ſchon der<lb/>
Tag graute, wurde durch das ganze Haus hin alles<lb/>
ruhiger; der Kranke nickte matt vor ſich hin, und auch<lb/>
Agnes ſchlief ein.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[494/0501]
Ton an. „Nein, Engelke, graule dich nicht vor deinem
alten Herrn. Ich habe es bloß ſo hingeſagt. Die
Buſchen ſoll nich kommen. Es würde mir wohl auch
nicht viel ſchaden, aber wenn man ſchon ſo in ſein Grab
ſieht, dann muß man doch anders ſprechen, ſonſt hat
man ſchlechte Nachrede bei den Leuten. Und das möcht'
ich nich, um meinetwegen nich und um Woldemars wegen
nich ... Und dabei fällt mir auch noch Adelheid ein ..
Die käme mir am Ende gleich nach, um mich zu retten.
Nein, Engelke nich die Buſchen. Aber gieb mir noch
mal von den Tropfen. Ein bißchen beſſer als der Thee
ſind ſie doch.“
Engelke ging, und Dubslav war wieder allein.
Er fühlte, daß es zu Ende gehe. „Das „Ich“ iſt nichts,
— damit muß man ſich durchdringen. Ein ewig Ge¬
ſetzliches vollzieht ſich, weiter nichts, und dieſer Vollzug,
auch wenn er „Tod“ heißt, darf uns nicht ſchrecken. In
das Geſetzliche ſich ruhig ſchicken, das macht den ſitt¬
lichen Menſchen und hebt ihn.“
Er hing dem noch ſo nach und freute ſich, alle
Furcht überwunden zu haben. Aber dann kamen doch
wieder Anfälle von Angſt, und er ſeufzte: „Das Leben
iſt kurz, aber die Stunde iſt lang.“
Es war eine ſchlimme Nacht. Alles blieb auf.
Engelke lief hin und her, und Agnes ſaß in ihrem Bett
und ſah mit großen Augen durch die halbgeöffnete
Thür in das Zimmer des Kranken. Erſt als ſchon der
Tag graute, wurde durch das ganze Haus hin alles
ruhiger; der Kranke nickte matt vor ſich hin, und auch
Agnes ſchlief ein.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 494. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/501>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.