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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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"Musik, Herr Major, und verlängerte Polizei¬
stunde."

"Ja," lachte Dubslav, "so was hilft. Musik und
'nen Schottschen, dann sind die Mädchen zufrieden."

"Und," bestätigte Uncke, "wenn die Mädchens zu¬
frieden sind, Herr Major, dann sind alle zufrieden."


Uncke hatte zusagen müssen, mal wieder vorzusprechen,
aber es kam nicht dazu, weil Dubslavs Zustand sich
rasch verschlimmerte. Von Besuchern wurde keiner mehr
angenommen, und nur Lorenzen hatte Zutritt. Aber er
kam meist nur, wenn er gerufen wurde.

"Sonderbar," sagte der Alte, während er in den
Frühlingstag hinausblickte, "dieser Lorenzen is eigent¬
lich gar kein richtiger Pastor. Er spricht nicht von Er¬
lösung und auch nicht von Unsterblichkeit, und is beinah',
als ob ihm so was für alltags wie zu schade sei.
Vielleicht is es aber auch noch was andres, und er
weiß am Ende selber nicht viel davon. Anfangs hab'
ich mich darüber gewundert, weil ich mir immer sagte:
Ja, solch Talar- und Bäffchenmann, der muß es doch
schließlich wissen; er hat so seine drei Jahre studiert
und eine Probepredigt gehalten, und ein Konsistorialrat
oder wohl gar ein Generalsuperintendent hat ihn eingesegnet
und ihm und noch ein paar andern gesagt: "Nun gehet
hin und lehret alle Heiden". Und wenn man das so
hört, ja, da verlangt man denn auch, daß einer weiß,
wie's mit einem steht. Is gerade wie mit den Doktors.
Aber zuletzt begiebt man sich und hat die Doktors am
liebsten, die einem ehrlich sagen: ,Hören Sie, wir wissen
es auch nicht, wir müssen es abwarten.' Der gute
Sponholz, der nun wohl schon an der Brücke mit dem
Ichthyosaurus vorbei ist, war beinah' so einer, und
Lorenzen is nu schon ganz gewiß so. Seit beinah'

„Muſik, Herr Major, und verlängerte Polizei¬
ſtunde.“

„Ja,“ lachte Dubslav, „ſo was hilft. Muſik und
'nen Schottſchen, dann ſind die Mädchen zufrieden.“

„Und,“ beſtätigte Uncke, „wenn die Mädchens zu¬
frieden ſind, Herr Major, dann ſind alle zufrieden.“


Uncke hatte zuſagen müſſen, mal wieder vorzuſprechen,
aber es kam nicht dazu, weil Dubslavs Zuſtand ſich
raſch verſchlimmerte. Von Beſuchern wurde keiner mehr
angenommen, und nur Lorenzen hatte Zutritt. Aber er
kam meiſt nur, wenn er gerufen wurde.

„Sonderbar,“ ſagte der Alte, während er in den
Frühlingstag hinausblickte, „dieſer Lorenzen is eigent¬
lich gar kein richtiger Paſtor. Er ſpricht nicht von Er¬
löſung und auch nicht von Unſterblichkeit, und is beinah',
als ob ihm ſo was für alltags wie zu ſchade ſei.
Vielleicht is es aber auch noch was andres, und er
weiß am Ende ſelber nicht viel davon. Anfangs hab'
ich mich darüber gewundert, weil ich mir immer ſagte:
Ja, ſolch Talar- und Bäffchenmann, der muß es doch
ſchließlich wiſſen; er hat ſo ſeine drei Jahre ſtudiert
und eine Probepredigt gehalten, und ein Konſiſtorialrat
oder wohl gar ein Generalſuperintendent hat ihn eingeſegnet
und ihm und noch ein paar andern geſagt: „Nun gehet
hin und lehret alle Heiden“. Und wenn man das ſo
hört, ja, da verlangt man denn auch, daß einer weiß,
wie's mit einem ſteht. Is gerade wie mit den Doktors.
Aber zuletzt begiebt man ſich und hat die Doktors am
liebſten, die einem ehrlich ſagen: ‚Hören Sie, wir wiſſen
es auch nicht, wir müſſen es abwarten.‘ Der gute
Sponholz, der nun wohl ſchon an der Brücke mit dem
Ichthyoſaurus vorbei iſt, war beinah' ſo einer, und
Lorenzen is nu ſchon ganz gewiß ſo. Seit beinah'

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[485/0492] „Muſik, Herr Major, und verlängerte Polizei¬ ſtunde.“ „Ja,“ lachte Dubslav, „ſo was hilft. Muſik und 'nen Schottſchen, dann ſind die Mädchen zufrieden.“ „Und,“ beſtätigte Uncke, „wenn die Mädchens zu¬ frieden ſind, Herr Major, dann ſind alle zufrieden.“ Uncke hatte zuſagen müſſen, mal wieder vorzuſprechen, aber es kam nicht dazu, weil Dubslavs Zuſtand ſich raſch verſchlimmerte. Von Beſuchern wurde keiner mehr angenommen, und nur Lorenzen hatte Zutritt. Aber er kam meiſt nur, wenn er gerufen wurde. „Sonderbar,“ ſagte der Alte, während er in den Frühlingstag hinausblickte, „dieſer Lorenzen is eigent¬ lich gar kein richtiger Paſtor. Er ſpricht nicht von Er¬ löſung und auch nicht von Unſterblichkeit, und is beinah', als ob ihm ſo was für alltags wie zu ſchade ſei. Vielleicht is es aber auch noch was andres, und er weiß am Ende ſelber nicht viel davon. Anfangs hab' ich mich darüber gewundert, weil ich mir immer ſagte: Ja, ſolch Talar- und Bäffchenmann, der muß es doch ſchließlich wiſſen; er hat ſo ſeine drei Jahre ſtudiert und eine Probepredigt gehalten, und ein Konſiſtorialrat oder wohl gar ein Generalſuperintendent hat ihn eingeſegnet und ihm und noch ein paar andern geſagt: „Nun gehet hin und lehret alle Heiden“. Und wenn man das ſo hört, ja, da verlangt man denn auch, daß einer weiß, wie's mit einem ſteht. Is gerade wie mit den Doktors. Aber zuletzt begiebt man ſich und hat die Doktors am liebſten, die einem ehrlich ſagen: ‚Hören Sie, wir wiſſen es auch nicht, wir müſſen es abwarten.‘ Der gute Sponholz, der nun wohl ſchon an der Brücke mit dem Ichthyoſaurus vorbei iſt, war beinah' ſo einer, und Lorenzen is nu ſchon ganz gewiß ſo. Seit beinah'

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 485. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/492>, abgerufen am 18.05.2024.