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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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"Nein, sie thaten mir nichts. Bloß, wenn sie so
'ne Weile gestanden hatten, dann stellten sie sich auf
das andre Bein. Und ich sagte zu Mutter: ,Mutter,
komm; der eine sieht mich immer so an.' Und da
gingen wir an eine andere Stelle, wo der Bär war."

Das Kind erzählte noch allerlei. Die Mädchen
und auch die Mamsell freuten sich über Agnes, und sie
trug ihnen ein paar Lieder vor, die ihre Mutter, die
Karline, immer sang, wenn sie plättete, und sie tanzte
auch, während sie sang, wobei sie das himmelblaue
Kleid zierlich in die Höhe nahm, ganz so, wie sie's in
der Hasenhaide gesehen hatte.

So kam der Nachmittag heran, und als es schon
dunkelte, sagte Engelke: "Ja, gnäd'ger Herr, wie is
das nu mit Agnessen? Sie is immer noch bei Mamsell
Pritzbur unten, un die Mächens, wenn sie so singt und
tanzt, kucken ihr zu. Sie wird woll auch so was wie
die Karline. Soll sie wieder nach Haus, oder soll sie
hier bleiben?"

"Natürlich soll sie hier bleiben. Ich freue mich,
wenn ich das Kind sehe. Du hast ja ein gutes Gesicht,
Engelke, aber ich will doch auch mal was andres sehn
als dich. Wie das lütte Balg da so saß, so steif wie
'ne Prinzeß, hab' ich immer hingekuckt und ihr wohl
'ne Viertelstunde zugesehn, wie da die Stricknadeln
immer so hin und her gingen und der rote Strumpf
neben ihr baumelte. So was Hübsches hab' ich nicht
mehr gesehn, seit zu Weihnachten die Grafschen hier
waren, die blasse Comtesse und die Gräfin. Hat sie
dir auch gefallen?"

Engelke griente.

"Na, ich sehe schon. Also Agnes bleibt. Und sie
kann ja auch nachts mal aufstehn und mir eine Tasse
von dem Thee bringen, oder was ich sonst grade
brauche, und du alte Seele kannst ausschlafen. Ach,

„Nein, ſie thaten mir nichts. Bloß, wenn ſie ſo
'ne Weile geſtanden hatten, dann ſtellten ſie ſich auf
das andre Bein. Und ich ſagte zu Mutter: ‚Mutter,
komm; der eine ſieht mich immer ſo an.‘ Und da
gingen wir an eine andere Stelle, wo der Bär war.“

Das Kind erzählte noch allerlei. Die Mädchen
und auch die Mamſell freuten ſich über Agnes, und ſie
trug ihnen ein paar Lieder vor, die ihre Mutter, die
Karline, immer ſang, wenn ſie plättete, und ſie tanzte
auch, während ſie ſang, wobei ſie das himmelblaue
Kleid zierlich in die Höhe nahm, ganz ſo, wie ſie's in
der Haſenhaide geſehen hatte.

So kam der Nachmittag heran, und als es ſchon
dunkelte, ſagte Engelke: „Ja, gnäd'ger Herr, wie is
das nu mit Agneſſen? Sie is immer noch bei Mamſell
Pritzbur unten, un die Mächens, wenn ſie ſo ſingt und
tanzt, kucken ihr zu. Sie wird woll auch ſo was wie
die Karline. Soll ſie wieder nach Haus, oder ſoll ſie
hier bleiben?“

„Natürlich ſoll ſie hier bleiben. Ich freue mich,
wenn ich das Kind ſehe. Du haſt ja ein gutes Geſicht,
Engelke, aber ich will doch auch mal was andres ſehn
als dich. Wie das lütte Balg da ſo ſaß, ſo ſteif wie
'ne Prinzeß, hab' ich immer hingekuckt und ihr wohl
'ne Viertelſtunde zugeſehn, wie da die Stricknadeln
immer ſo hin und her gingen und der rote Strumpf
neben ihr baumelte. So was Hübſches hab' ich nicht
mehr geſehn, ſeit zu Weihnachten die Grafſchen hier
waren, die blaſſe Comteſſe und die Gräfin. Hat ſie
dir auch gefallen?“

Engelke griente.

„Na, ich ſehe ſchon. Alſo Agnes bleibt. Und ſie
kann ja auch nachts mal aufſtehn und mir eine Taſſe
von dem Thee bringen, oder was ich ſonſt grade
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[472/0479] „Nein, ſie thaten mir nichts. Bloß, wenn ſie ſo 'ne Weile geſtanden hatten, dann ſtellten ſie ſich auf das andre Bein. Und ich ſagte zu Mutter: ‚Mutter, komm; der eine ſieht mich immer ſo an.‘ Und da gingen wir an eine andere Stelle, wo der Bär war.“ Das Kind erzählte noch allerlei. Die Mädchen und auch die Mamſell freuten ſich über Agnes, und ſie trug ihnen ein paar Lieder vor, die ihre Mutter, die Karline, immer ſang, wenn ſie plättete, und ſie tanzte auch, während ſie ſang, wobei ſie das himmelblaue Kleid zierlich in die Höhe nahm, ganz ſo, wie ſie's in der Haſenhaide geſehen hatte. So kam der Nachmittag heran, und als es ſchon dunkelte, ſagte Engelke: „Ja, gnäd'ger Herr, wie is das nu mit Agneſſen? Sie is immer noch bei Mamſell Pritzbur unten, un die Mächens, wenn ſie ſo ſingt und tanzt, kucken ihr zu. Sie wird woll auch ſo was wie die Karline. Soll ſie wieder nach Haus, oder ſoll ſie hier bleiben?“ „Natürlich ſoll ſie hier bleiben. Ich freue mich, wenn ich das Kind ſehe. Du haſt ja ein gutes Geſicht, Engelke, aber ich will doch auch mal was andres ſehn als dich. Wie das lütte Balg da ſo ſaß, ſo ſteif wie 'ne Prinzeß, hab' ich immer hingekuckt und ihr wohl 'ne Viertelſtunde zugeſehn, wie da die Stricknadeln immer ſo hin und her gingen und der rote Strumpf neben ihr baumelte. So was Hübſches hab' ich nicht mehr geſehn, ſeit zu Weihnachten die Grafſchen hier waren, die blaſſe Comteſſe und die Gräfin. Hat ſie dir auch gefallen?“ Engelke griente. „Na, ich ſehe ſchon. Alſo Agnes bleibt. Und ſie kann ja auch nachts mal aufſtehn und mir eine Taſſe von dem Thee bringen, oder was ich ſonſt grade brauche, und du alte Seele kannſt ausſchlafen. Ach,

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 472. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/479>, abgerufen am 22.11.2024.