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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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dieser scharfen Quitzow-Ecke wäre Kaiser Friedrich ge¬
scheitert?"

"Ich glaub' es."

"Hm, es läßt sich hören. Und wenn so, so wär'
es schließlich ein Glück, daß es nach den 99 Tagen
anders kam und wir nicht vor diese Frage gestellt wurden."

"Ich habe mit meinem Woldemar, der einen stark
liberalen Zug hat (ich kann es nicht loben und mag's
nicht tadeln) oft über diese Sache gesprochen. Er war
natürlich für Neuzeit, also für Experimente ... Nun
hat er inzwischen das bessere Teil erwählt, und während
wir hier sprechen, ist er schon über Trebbin hinaus.
Sonderbar, ich bin nicht allzu viel gereist, aber immer,
wenn ich an diesem märkischen Neste vorbei kam, hatt'
ich das Gefühl: ,jetzt wird es besser, jetzt bist du frei'.
Ich kann sagen, ich liebe die ganze Sandbüchse da herum,
schon bloß aus diesem Grunde."

Der alte Graf lachte behaglich. "Und Trebbin
wird sich von dieser Ihrer Schwärmerei nichts träumen
lassen. Übrigens haben Sie recht. Jeder lebt zu Hause
mehr oder weniger wie in einem Gefängnis und will
weg. Und doch bin ich eigentlich gegen das Reisen
überhaupt und speziell gegen die Hochzeitsreiserei. Wenn
ich so Personen in ein Coupe nach Italien einsteigen
sehe, kommt mir immer ein Dankgefühl, dieses ,höchste
Glück auf Erden' nicht mehr mitmachen zu müssen. Es
ist doch eigentlich eine Qual, und die Welt wird auch
wieder davon zurückkommen; über kurz oder lang wird
man nur noch reisen, wie man in den Krieg zieht oder
in einen Luftballon steigt, bloß von Berufs wegen.
Aber nicht um des Vergnügens willen. Und wozu denn
auch? Es hat keinen rechten Zweck mehr. In alten Zeiten
ging der Prophet zum Berge, jetzt vollzieht sich das
Wunder und der Berg kommt zu uns. Das Beste vom
Parthenon sieht man in London und das Beste von Per¬

dieſer ſcharfen Quitzow-Ecke wäre Kaiſer Friedrich ge¬
ſcheitert?“

„Ich glaub' es.“

„Hm, es läßt ſich hören. Und wenn ſo, ſo wär'
es ſchließlich ein Glück, daß es nach den 99 Tagen
anders kam und wir nicht vor dieſe Frage geſtellt wurden.“

„Ich habe mit meinem Woldemar, der einen ſtark
liberalen Zug hat (ich kann es nicht loben und mag's
nicht tadeln) oft über dieſe Sache geſprochen. Er war
natürlich für Neuzeit, alſo für Experimente ... Nun
hat er inzwiſchen das beſſere Teil erwählt, und während
wir hier ſprechen, iſt er ſchon über Trebbin hinaus.
Sonderbar, ich bin nicht allzu viel gereiſt, aber immer,
wenn ich an dieſem märkiſchen Neſte vorbei kam, hatt'
ich das Gefühl: ‚jetzt wird es beſſer, jetzt biſt du frei‘.
Ich kann ſagen, ich liebe die ganze Sandbüchſe da herum,
ſchon bloß aus dieſem Grunde.“

Der alte Graf lachte behaglich. „Und Trebbin
wird ſich von dieſer Ihrer Schwärmerei nichts träumen
laſſen. Übrigens haben Sie recht. Jeder lebt zu Hauſe
mehr oder weniger wie in einem Gefängnis und will
weg. Und doch bin ich eigentlich gegen das Reiſen
überhaupt und ſpeziell gegen die Hochzeitsreiſerei. Wenn
ich ſo Perſonen in ein Coupé nach Italien einſteigen
ſehe, kommt mir immer ein Dankgefühl, dieſes ‚höchſte
Glück auf Erden‘ nicht mehr mitmachen zu müſſen. Es
iſt doch eigentlich eine Qual, und die Welt wird auch
wieder davon zurückkommen; über kurz oder lang wird
man nur noch reiſen, wie man in den Krieg zieht oder
in einen Luftballon ſteigt, bloß von Berufs wegen.
Aber nicht um des Vergnügens willen. Und wozu denn
auch? Es hat keinen rechten Zweck mehr. In alten Zeiten
ging der Prophet zum Berge, jetzt vollzieht ſich das
Wunder und der Berg kommt zu uns. Das Beſte vom
Parthenon ſieht man in London und das Beſte von Per¬

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[406/0413] dieſer ſcharfen Quitzow-Ecke wäre Kaiſer Friedrich ge¬ ſcheitert?“ „Ich glaub' es.“ „Hm, es läßt ſich hören. Und wenn ſo, ſo wär' es ſchließlich ein Glück, daß es nach den 99 Tagen anders kam und wir nicht vor dieſe Frage geſtellt wurden.“ „Ich habe mit meinem Woldemar, der einen ſtark liberalen Zug hat (ich kann es nicht loben und mag's nicht tadeln) oft über dieſe Sache geſprochen. Er war natürlich für Neuzeit, alſo für Experimente ... Nun hat er inzwiſchen das beſſere Teil erwählt, und während wir hier ſprechen, iſt er ſchon über Trebbin hinaus. Sonderbar, ich bin nicht allzu viel gereiſt, aber immer, wenn ich an dieſem märkiſchen Neſte vorbei kam, hatt' ich das Gefühl: ‚jetzt wird es beſſer, jetzt biſt du frei‘. Ich kann ſagen, ich liebe die ganze Sandbüchſe da herum, ſchon bloß aus dieſem Grunde.“ Der alte Graf lachte behaglich. „Und Trebbin wird ſich von dieſer Ihrer Schwärmerei nichts träumen laſſen. Übrigens haben Sie recht. Jeder lebt zu Hauſe mehr oder weniger wie in einem Gefängnis und will weg. Und doch bin ich eigentlich gegen das Reiſen überhaupt und ſpeziell gegen die Hochzeitsreiſerei. Wenn ich ſo Perſonen in ein Coupé nach Italien einſteigen ſehe, kommt mir immer ein Dankgefühl, dieſes ‚höchſte Glück auf Erden‘ nicht mehr mitmachen zu müſſen. Es iſt doch eigentlich eine Qual, und die Welt wird auch wieder davon zurückkommen; über kurz oder lang wird man nur noch reiſen, wie man in den Krieg zieht oder in einen Luftballon ſteigt, bloß von Berufs wegen. Aber nicht um des Vergnügens willen. Und wozu denn auch? Es hat keinen rechten Zweck mehr. In alten Zeiten ging der Prophet zum Berge, jetzt vollzieht ſich das Wunder und der Berg kommt zu uns. Das Beſte vom Parthenon ſieht man in London und das Beſte von Per¬

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/413>, abgerufen am 22.11.2024.