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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Bewegung. Aber nehmen Sie deren Schöpfer, der Ihnen
persönlich vielleicht nahe steht, er und sein Thun sprechen
doch recht eigentlich für mich; sein Feld ist nicht einzelne
Seelsorge, nicht eine Landgemeinde, sondern eine Welt¬
stadt. Stöckers Auftreten und seine Mission sind eine
Widerlegung davon, daß das Schaffen im Engen und
Umgrenzten notwendig das Segensreichere sein müsse."

Lorenzen war daran gewöhnt, sei's zu Lob, sei's
zu Tadel, sich mit dem ebenso gefeierten wie befehdeten
Hofprediger in Parallele gestellt zu sehen, und empfand
dies jedesmal als eine Huldigung. Aber nicht minder
empfand er dabei regelmäßig den tiefen Unterschied, der
zwischen dem großen Agitator und seiner stillen Weise
lag. "Ich glaube, Herr von Rex," nahm er wieder das
Wort, "daß Sie den ,Vater der Berliner Bewegung'
sehr richtig geschildert haben, vielleicht sogar zur Zu¬
friedenheit des Geschilderten selbst, was, wie man sagt,
nicht eben leicht sein soll. Er hat viel erreicht und steht
anscheinend in einem Siegeszeichen; hüben und drüben
hat er Wurzel geschlagen und sieht sich geliebt und ge¬
huldigt, nicht nur seitens derer, denen er mildthätig die
Schuhe schneidet, sondern beinah mehr noch im Lager
derer, denen er das Leder zu den Schuhen nimmt. Er
hat schon so viele Beinamen, und der des heiligen
Krispin wäre nicht der schlimmste. Viele wird es geben,
die sein Thun im guten Sinne beneiden. Aber ich
fürchte, der Tag ist nahe, wo der so Ruhige und zu¬
gleich so Mutige, der seine Ziele so weit steckte, sich in
die Enge des Daseins zurücksehnen wird. Er besitzt,
wenn ich recht berichtet bin, ein kleines Bauerngut irgend¬
wo in Franken, und wohl möglich, ja, mir persönlich
geradezu wahrscheinlich, daß ihm an jener stillen Stelle
früher oder später ein echteres Glück erblüht, als er es
jetzt hat. Es heißt wohl, ,Gehet hin und lehret alle
Heiden', aber schöner ist es doch, wenn die Welt, uns

Bewegung. Aber nehmen Sie deren Schöpfer, der Ihnen
perſönlich vielleicht nahe ſteht, er und ſein Thun ſprechen
doch recht eigentlich für mich; ſein Feld iſt nicht einzelne
Seelſorge, nicht eine Landgemeinde, ſondern eine Welt¬
ſtadt. Stöckers Auftreten und ſeine Miſſion ſind eine
Widerlegung davon, daß das Schaffen im Engen und
Umgrenzten notwendig das Segensreichere ſein müſſe.“

Lorenzen war daran gewöhnt, ſei's zu Lob, ſei's
zu Tadel, ſich mit dem ebenſo gefeierten wie befehdeten
Hofprediger in Parallele geſtellt zu ſehen, und empfand
dies jedesmal als eine Huldigung. Aber nicht minder
empfand er dabei regelmäßig den tiefen Unterſchied, der
zwiſchen dem großen Agitator und ſeiner ſtillen Weiſe
lag. „Ich glaube, Herr von Rex,“ nahm er wieder das
Wort, „daß Sie den ,Vater der Berliner Bewegung‘
ſehr richtig geſchildert haben, vielleicht ſogar zur Zu¬
friedenheit des Geſchilderten ſelbſt, was, wie man ſagt,
nicht eben leicht ſein ſoll. Er hat viel erreicht und ſteht
anſcheinend in einem Siegeszeichen; hüben und drüben
hat er Wurzel geſchlagen und ſieht ſich geliebt und ge¬
huldigt, nicht nur ſeitens derer, denen er mildthätig die
Schuhe ſchneidet, ſondern beinah mehr noch im Lager
derer, denen er das Leder zu den Schuhen nimmt. Er
hat ſchon ſo viele Beinamen, und der des heiligen
Kriſpin wäre nicht der ſchlimmſte. Viele wird es geben,
die ſein Thun im guten Sinne beneiden. Aber ich
fürchte, der Tag iſt nahe, wo der ſo Ruhige und zu¬
gleich ſo Mutige, der ſeine Ziele ſo weit ſteckte, ſich in
die Enge des Daſeins zurückſehnen wird. Er beſitzt,
wenn ich recht berichtet bin, ein kleines Bauerngut irgend¬
wo in Franken, und wohl möglich, ja, mir perſönlich
geradezu wahrſcheinlich, daß ihm an jener ſtillen Stelle
früher oder ſpäter ein echteres Glück erblüht, als er es
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Heiden‘, aber ſchöner iſt es doch, wenn die Welt, uns

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[34/0041] Bewegung. Aber nehmen Sie deren Schöpfer, der Ihnen perſönlich vielleicht nahe ſteht, er und ſein Thun ſprechen doch recht eigentlich für mich; ſein Feld iſt nicht einzelne Seelſorge, nicht eine Landgemeinde, ſondern eine Welt¬ ſtadt. Stöckers Auftreten und ſeine Miſſion ſind eine Widerlegung davon, daß das Schaffen im Engen und Umgrenzten notwendig das Segensreichere ſein müſſe.“ Lorenzen war daran gewöhnt, ſei's zu Lob, ſei's zu Tadel, ſich mit dem ebenſo gefeierten wie befehdeten Hofprediger in Parallele geſtellt zu ſehen, und empfand dies jedesmal als eine Huldigung. Aber nicht minder empfand er dabei regelmäßig den tiefen Unterſchied, der zwiſchen dem großen Agitator und ſeiner ſtillen Weiſe lag. „Ich glaube, Herr von Rex,“ nahm er wieder das Wort, „daß Sie den ,Vater der Berliner Bewegung‘ ſehr richtig geſchildert haben, vielleicht ſogar zur Zu¬ friedenheit des Geſchilderten ſelbſt, was, wie man ſagt, nicht eben leicht ſein ſoll. Er hat viel erreicht und ſteht anſcheinend in einem Siegeszeichen; hüben und drüben hat er Wurzel geſchlagen und ſieht ſich geliebt und ge¬ huldigt, nicht nur ſeitens derer, denen er mildthätig die Schuhe ſchneidet, ſondern beinah mehr noch im Lager derer, denen er das Leder zu den Schuhen nimmt. Er hat ſchon ſo viele Beinamen, und der des heiligen Kriſpin wäre nicht der ſchlimmſte. Viele wird es geben, die ſein Thun im guten Sinne beneiden. Aber ich fürchte, der Tag iſt nahe, wo der ſo Ruhige und zu¬ gleich ſo Mutige, der ſeine Ziele ſo weit ſteckte, ſich in die Enge des Daſeins zurückſehnen wird. Er beſitzt, wenn ich recht berichtet bin, ein kleines Bauerngut irgend¬ wo in Franken, und wohl möglich, ja, mir perſönlich geradezu wahrſcheinlich, daß ihm an jener ſtillen Stelle früher oder ſpäter ein echteres Glück erblüht, als er es jetzt hat. Es heißt wohl, ‚Gehet hin und lehret alle Heiden‘, aber ſchöner iſt es doch, wenn die Welt, uns

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/41>, abgerufen am 24.11.2024.