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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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krochen haben. Wir verkriechen uns nämlich alle. Helden¬
tum ist Ausnahmezustand und meist Produkt einer
Zwangslage. Sie brauchen mir übrigens nicht zuzu¬
stimmen, denn Sie sind noch im Dienst."

"Bitte, bitte," sagte Czako.


Sehr, sehr anders ging das Gespräch an der ent¬
gegengesetzten Seite der Tafel. Rex, der, wenn er dienst¬
lich oder außerdienstlich aufs Land kam, immer eine
Neigung spürte, sozialen Fragen nachzuhängen und bei¬
spielsweise jedesmal mit Vorliebe darauf aus war, an
das Zahlenverhältnis der in und außer der Ehe ge¬
borenen Kinder alle möglichen, teils dem Gemeinwohl,
teils der Sittlichkeit zu gute kommende Betrachtungen zu
knüpfen, hatte sich auch heute wieder in einem mit Pastor
Lorenzen angeknüpften Zwiegespräch seinem Lieblings¬
thema zugewandt, war aber, weil Dubslav durch eine
Zwischenfrage den Faden abschnitt, in die Lage ge¬
kommen, sich vorübergehend statt mit Lorenzen mit Katzler
beschäftigen zu müssen, von dem er zufällig in Er¬
fahrung gebracht hatte, daß er früher Feldjäger gewesen
sei. Das gab ihm einen guten Gesprächsstoff und ließ
ihn fragen, ob der Herr Oberförster nicht mitunter
schmerzlich den zwischen seiner Vergangenheit und seiner
Gegenwart liegenden Gegensatz empfinde, -- sein früherer
Feldjägerberuf, so nehme er an, habe ihn in die weite
Welt hinausgeführt, während er jetzt "stabiliert" sei.
"Stabilierung" zählte zu Rex' Lieblingswendungen und
entstammte jenem sorglich ausgewählten Fremdwörterschatz,
den er sich -- er hatte diese Dinge dienstlich zu bearbeiten
gehabt -- aus den Erlassen König Friedrich Wilhelms I.
angeeignet und mit in sein Aktendeutsch herübergenommen
hatte. Katzler, ein vorzüglicher Herr, aber auf dem Ge¬
biete der Konversation doch nur von einer oft unaus¬

krochen haben. Wir verkriechen uns nämlich alle. Helden¬
tum iſt Ausnahmezuſtand und meiſt Produkt einer
Zwangslage. Sie brauchen mir übrigens nicht zuzu¬
ſtimmen, denn Sie ſind noch im Dienſt.“

„Bitte, bitte,“ ſagte Czako.


Sehr, ſehr anders ging das Geſpräch an der ent¬
gegengeſetzten Seite der Tafel. Rex, der, wenn er dienſt¬
lich oder außerdienſtlich aufs Land kam, immer eine
Neigung ſpürte, ſozialen Fragen nachzuhängen und bei¬
ſpielsweiſe jedesmal mit Vorliebe darauf aus war, an
das Zahlenverhältnis der in und außer der Ehe ge¬
borenen Kinder alle möglichen, teils dem Gemeinwohl,
teils der Sittlichkeit zu gute kommende Betrachtungen zu
knüpfen, hatte ſich auch heute wieder in einem mit Paſtor
Lorenzen angeknüpften Zwiegeſpräch ſeinem Lieblings¬
thema zugewandt, war aber, weil Dubslav durch eine
Zwiſchenfrage den Faden abſchnitt, in die Lage ge¬
kommen, ſich vorübergehend ſtatt mit Lorenzen mit Katzler
beſchäftigen zu müſſen, von dem er zufällig in Er¬
fahrung gebracht hatte, daß er früher Feldjäger geweſen
ſei. Das gab ihm einen guten Geſprächsſtoff und ließ
ihn fragen, ob der Herr Oberförſter nicht mitunter
ſchmerzlich den zwiſchen ſeiner Vergangenheit und ſeiner
Gegenwart liegenden Gegenſatz empfinde, — ſein früherer
Feldjägerberuf, ſo nehme er an, habe ihn in die weite
Welt hinausgeführt, während er jetzt „ſtabiliert“ ſei.
„Stabilierung“ zählte zu Rex' Lieblingswendungen und
entſtammte jenem ſorglich ausgewählten Fremdwörterſchatz,
den er ſich — er hatte dieſe Dinge dienſtlich zu bearbeiten
gehabt — aus den Erlaſſen König Friedrich Wilhelms I.
angeeignet und mit in ſein Aktendeutſch herübergenommen
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[32/0039] krochen haben. Wir verkriechen uns nämlich alle. Helden¬ tum iſt Ausnahmezuſtand und meiſt Produkt einer Zwangslage. Sie brauchen mir übrigens nicht zuzu¬ ſtimmen, denn Sie ſind noch im Dienſt.“ „Bitte, bitte,“ ſagte Czako. Sehr, ſehr anders ging das Geſpräch an der ent¬ gegengeſetzten Seite der Tafel. Rex, der, wenn er dienſt¬ lich oder außerdienſtlich aufs Land kam, immer eine Neigung ſpürte, ſozialen Fragen nachzuhängen und bei¬ ſpielsweiſe jedesmal mit Vorliebe darauf aus war, an das Zahlenverhältnis der in und außer der Ehe ge¬ borenen Kinder alle möglichen, teils dem Gemeinwohl, teils der Sittlichkeit zu gute kommende Betrachtungen zu knüpfen, hatte ſich auch heute wieder in einem mit Paſtor Lorenzen angeknüpften Zwiegeſpräch ſeinem Lieblings¬ thema zugewandt, war aber, weil Dubslav durch eine Zwiſchenfrage den Faden abſchnitt, in die Lage ge¬ kommen, ſich vorübergehend ſtatt mit Lorenzen mit Katzler beſchäftigen zu müſſen, von dem er zufällig in Er¬ fahrung gebracht hatte, daß er früher Feldjäger geweſen ſei. Das gab ihm einen guten Geſprächsſtoff und ließ ihn fragen, ob der Herr Oberförſter nicht mitunter ſchmerzlich den zwiſchen ſeiner Vergangenheit und ſeiner Gegenwart liegenden Gegenſatz empfinde, — ſein früherer Feldjägerberuf, ſo nehme er an, habe ihn in die weite Welt hinausgeführt, während er jetzt „ſtabiliert“ ſei. „Stabilierung“ zählte zu Rex' Lieblingswendungen und entſtammte jenem ſorglich ausgewählten Fremdwörterſchatz, den er ſich — er hatte dieſe Dinge dienſtlich zu bearbeiten gehabt — aus den Erlaſſen König Friedrich Wilhelms I. angeeignet und mit in ſein Aktendeutſch herübergenommen hatte. Katzler, ein vorzüglicher Herr, aber auf dem Ge¬ biete der Konverſation doch nur von einer oft unaus¬

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/39>, abgerufen am 24.11.2024.