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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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überhaupt nicht und für meine Freundschaft und Liebe nun
schon ganz gewiß nicht. Da hast du mein Programm. Unser
ganzer Gesellschaftszustand, der sich wunder wie hoch
dünkt, ist mehr oder weniger Barbarei; Lorenzen, von dem
du doch so viel hältst, hat sich ganz in diesem Sinne gegen
mich ausgesprochen. Ach, wie weit voraus war uns doch die
Heidenzeit, die wir jetzt so verständnislos bemängeln! Und
selbst unser ,dunkles Mittelalter' -- schönheitlich stand es
höher als wir, und seine Scheiterhaufen, wenn man nicht
gleich selbst an die Reihe kam, waren gar nicht so schlimm."

"Ich erlebe noch," lachte Armgard, "daß du 'nen
neuen Kreuzzug oder ähnliches predigst. Aber wir sind
von unserm eigentlichen Thema ganz abgekommen, von
der Domina. Du sagtest, ihre Gefühle widersprächen sich
untereinander. Welche Gefühle?"

"Darauf ist leicht Antwort geben. Erst beglück¬
wünscht sie sich zu sich selbst, und hinterher ärgert sie sich
über sich selbst. Und daß sie das muß, daran sind wir
schuld, und das kann sie uns nicht verzeihn."

"Ich würde vielleicht zustimmen, wenn das, was du
da sagst, nicht so sehr eitel klänge ... Sie hat übrigens
einen guten Verstand."

"Den hat sie, gewiß, den haben sie alle hier oder doch
die meisten. Aber ein guter Verstand, so viel er ist, ist
auch wieder recht wenig und schließlich -- ich muß leider
zu diesem Berolinismus greifen -- ist diese gute Do¬
mina doch nichts weiter als eine Stakete, lang und spitz.
Und nicht mal grüngestrichen."

"Und der Alte? Der wenigstens wird doch vor deiner
Kritik bestehn."

"O, der; der ist hors concours und geht noch über
Woldemar hinaus. Was meinst du, wenn ich den Alten
heiratete?"

"Sprich nicht so, Melusine. Ich weiß ja recht gut,
wie das alles von dir gemeint ist, Übermut und wieder

überhaupt nicht und für meine Freundſchaft und Liebe nun
ſchon ganz gewiß nicht. Da haſt du mein Programm. Unſer
ganzer Geſellſchaftszuſtand, der ſich wunder wie hoch
dünkt, iſt mehr oder weniger Barbarei; Lorenzen, von dem
du doch ſo viel hältſt, hat ſich ganz in dieſem Sinne gegen
mich ausgeſprochen. Ach, wie weit voraus war uns doch die
Heidenzeit, die wir jetzt ſo verſtändnislos bemängeln! Und
ſelbſt unſer ‚dunkles Mittelalter‘ — ſchönheitlich ſtand es
höher als wir, und ſeine Scheiterhaufen, wenn man nicht
gleich ſelbſt an die Reihe kam, waren gar nicht ſo ſchlimm.“

„Ich erlebe noch,“ lachte Armgard, „daß du 'nen
neuen Kreuzzug oder ähnliches predigſt. Aber wir ſind
von unſerm eigentlichen Thema ganz abgekommen, von
der Domina. Du ſagteſt, ihre Gefühle widerſprächen ſich
untereinander. Welche Gefühle?“

„Darauf iſt leicht Antwort geben. Erſt beglück¬
wünſcht ſie ſich zu ſich ſelbſt, und hinterher ärgert ſie ſich
über ſich ſelbſt. Und daß ſie das muß, daran ſind wir
ſchuld, und das kann ſie uns nicht verzeihn.“

„Ich würde vielleicht zuſtimmen, wenn das, was du
da ſagſt, nicht ſo ſehr eitel klänge ... Sie hat übrigens
einen guten Verſtand.“

„Den hat ſie, gewiß, den haben ſie alle hier oder doch
die meiſten. Aber ein guter Verſtand, ſo viel er iſt, iſt
auch wieder recht wenig und ſchließlich — ich muß leider
zu dieſem Berolinismus greifen — iſt dieſe gute Do¬
mina doch nichts weiter als eine Stakete, lang und ſpitz.
Und nicht mal grüngeſtrichen.“

„Und der Alte? Der wenigſtens wird doch vor deiner
Kritik beſtehn.“

„O, der; der iſt hors concours und geht noch über
Woldemar hinaus. Was meinſt du, wenn ich den Alten
heiratete?“

„Sprich nicht ſo, Meluſine. Ich weiß ja recht gut,
wie das alles von dir gemeint iſt, Übermut und wieder

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[381/0388] überhaupt nicht und für meine Freundſchaft und Liebe nun ſchon ganz gewiß nicht. Da haſt du mein Programm. Unſer ganzer Geſellſchaftszuſtand, der ſich wunder wie hoch dünkt, iſt mehr oder weniger Barbarei; Lorenzen, von dem du doch ſo viel hältſt, hat ſich ganz in dieſem Sinne gegen mich ausgeſprochen. Ach, wie weit voraus war uns doch die Heidenzeit, die wir jetzt ſo verſtändnislos bemängeln! Und ſelbſt unſer ‚dunkles Mittelalter‘ — ſchönheitlich ſtand es höher als wir, und ſeine Scheiterhaufen, wenn man nicht gleich ſelbſt an die Reihe kam, waren gar nicht ſo ſchlimm.“ „Ich erlebe noch,“ lachte Armgard, „daß du 'nen neuen Kreuzzug oder ähnliches predigſt. Aber wir ſind von unſerm eigentlichen Thema ganz abgekommen, von der Domina. Du ſagteſt, ihre Gefühle widerſprächen ſich untereinander. Welche Gefühle?“ „Darauf iſt leicht Antwort geben. Erſt beglück¬ wünſcht ſie ſich zu ſich ſelbſt, und hinterher ärgert ſie ſich über ſich ſelbſt. Und daß ſie das muß, daran ſind wir ſchuld, und das kann ſie uns nicht verzeihn.“ „Ich würde vielleicht zuſtimmen, wenn das, was du da ſagſt, nicht ſo ſehr eitel klänge ... Sie hat übrigens einen guten Verſtand.“ „Den hat ſie, gewiß, den haben ſie alle hier oder doch die meiſten. Aber ein guter Verſtand, ſo viel er iſt, iſt auch wieder recht wenig und ſchließlich — ich muß leider zu dieſem Berolinismus greifen — iſt dieſe gute Do¬ mina doch nichts weiter als eine Stakete, lang und ſpitz. Und nicht mal grüngeſtrichen.“ „Und der Alte? Der wenigſtens wird doch vor deiner Kritik beſtehn.“ „O, der; der iſt hors concours und geht noch über Woldemar hinaus. Was meinſt du, wenn ich den Alten heiratete?“ „Sprich nicht ſo, Meluſine. Ich weiß ja recht gut, wie das alles von dir gemeint iſt, Übermut und wieder

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/388>, abgerufen am 22.11.2024.