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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Fähigkeiten nach allen Seiten hin und auf jedem Gebiete
zu bethätigen. Früher war man dreihundert Jahre lang
ein Schloßherr oder ein Leinenweber; jetzt kann jeder
Leinenweber eines Tages ein Schloßherr sein."

"Und beinah' auch umgekehrt," lachte Melusine. "Doch
lassen wir dies heikle Thema. Viel, viel lieber hör' ich
ein Wort von Ihnen über den Wert unsrer Lebens- und
Gesellschaftsformen, über unsre Gesamtanschauungsweise,
deren besondere Zulässigkeit Sie, wie mir scheint, so nach¬
drücklich anzweifeln."

"Nicht absolut. Wenn ich zweifle, so gelten diese
Zweifel nicht so sehr den Dingen selbst, als dem Hoch¬
maß des Glaubens daran. Daß man all diese Mittel¬
maßdinge für etwas Besonderes und Überlegenes und
deshalb, wenn's sein kann, für etwas ewig zu Konser¬
vierendes ansieht, das ist das Schlimme. Was mal galt,
soll weiter gelten, was mal gut war, soll weiter ein Gutes
oder wohl gar ein Bestes sein. Das ist aber unmöglich,
auch wenn alles, was keineswegs der Fall ist, einer ge¬
wissen Herrlichkeitsvorstellung entspräche ... Wir haben,
wenn wir rückblicken, drei große Epochen gehabt. Dessen
sollen wir eingedenk sein. Die vielleicht größte, zugleich
die erste, war die unter dem Soldatenkönig. Das war
ein nicht genug zu preisender Mann, seiner Zeit wunder¬
bar angepaßt und ihr zugleich voraus. Er hat nicht bloß
das Königtum stabiliert, er hat auch, was viel wichtiger,
die Fundamente für eine neue Zeit geschaffen und an die
Stelle von Zerfahrenheit, selbstischer Vielherrschaft und
Willkür Ordnung und Gerechtigkeit gesetzt. Gerechtigkeit,
das war sein bester ,rocher de bronce'."

"Und dann?"

"Und dann kam Epoche zwei. Die ließ, nach jener
ersten, nicht lange mehr auf sich warten und das seiner
Natur und seiner Geschichte nach gleich ungeniale Land
sah sich mit einem Male von Genie durchblitzt."

Fähigkeiten nach allen Seiten hin und auf jedem Gebiete
zu bethätigen. Früher war man dreihundert Jahre lang
ein Schloßherr oder ein Leinenweber; jetzt kann jeder
Leinenweber eines Tages ein Schloßherr ſein.“

„Und beinah' auch umgekehrt,“ lachte Meluſine. „Doch
laſſen wir dies heikle Thema. Viel, viel lieber hör' ich
ein Wort von Ihnen über den Wert unſrer Lebens- und
Geſellſchaftsformen, über unſre Geſamtanſchauungsweiſe,
deren beſondere Zuläſſigkeit Sie, wie mir ſcheint, ſo nach¬
drücklich anzweifeln.“

„Nicht abſolut. Wenn ich zweifle, ſo gelten dieſe
Zweifel nicht ſo ſehr den Dingen ſelbſt, als dem Hoch¬
maß des Glaubens daran. Daß man all dieſe Mittel¬
maßdinge für etwas Beſonderes und Überlegenes und
deshalb, wenn's ſein kann, für etwas ewig zu Konſer¬
vierendes anſieht, das iſt das Schlimme. Was mal galt,
ſoll weiter gelten, was mal gut war, ſoll weiter ein Gutes
oder wohl gar ein Beſtes ſein. Das iſt aber unmöglich,
auch wenn alles, was keineswegs der Fall iſt, einer ge¬
wiſſen Herrlichkeitsvorſtellung entſpräche ... Wir haben,
wenn wir rückblicken, drei große Epochen gehabt. Deſſen
ſollen wir eingedenk ſein. Die vielleicht größte, zugleich
die erſte, war die unter dem Soldatenkönig. Das war
ein nicht genug zu preiſender Mann, ſeiner Zeit wunder¬
bar angepaßt und ihr zugleich voraus. Er hat nicht bloß
das Königtum ſtabiliert, er hat auch, was viel wichtiger,
die Fundamente für eine neue Zeit geſchaffen und an die
Stelle von Zerfahrenheit, ſelbſtiſcher Vielherrſchaft und
Willkür Ordnung und Gerechtigkeit geſetzt. Gerechtigkeit,
das war ſein beſter ‚rocher de bronce‘.“

„Und dann?“

„Und dann kam Epoche zwei. Die ließ, nach jener
erſten, nicht lange mehr auf ſich warten und das ſeiner
Natur und ſeiner Geſchichte nach gleich ungeniale Land
ſah ſich mit einem Male von Genie durchblitzt.“

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[356/0363] Fähigkeiten nach allen Seiten hin und auf jedem Gebiete zu bethätigen. Früher war man dreihundert Jahre lang ein Schloßherr oder ein Leinenweber; jetzt kann jeder Leinenweber eines Tages ein Schloßherr ſein.“ „Und beinah' auch umgekehrt,“ lachte Meluſine. „Doch laſſen wir dies heikle Thema. Viel, viel lieber hör' ich ein Wort von Ihnen über den Wert unſrer Lebens- und Geſellſchaftsformen, über unſre Geſamtanſchauungsweiſe, deren beſondere Zuläſſigkeit Sie, wie mir ſcheint, ſo nach¬ drücklich anzweifeln.“ „Nicht abſolut. Wenn ich zweifle, ſo gelten dieſe Zweifel nicht ſo ſehr den Dingen ſelbſt, als dem Hoch¬ maß des Glaubens daran. Daß man all dieſe Mittel¬ maßdinge für etwas Beſonderes und Überlegenes und deshalb, wenn's ſein kann, für etwas ewig zu Konſer¬ vierendes anſieht, das iſt das Schlimme. Was mal galt, ſoll weiter gelten, was mal gut war, ſoll weiter ein Gutes oder wohl gar ein Beſtes ſein. Das iſt aber unmöglich, auch wenn alles, was keineswegs der Fall iſt, einer ge¬ wiſſen Herrlichkeitsvorſtellung entſpräche ... Wir haben, wenn wir rückblicken, drei große Epochen gehabt. Deſſen ſollen wir eingedenk ſein. Die vielleicht größte, zugleich die erſte, war die unter dem Soldatenkönig. Das war ein nicht genug zu preiſender Mann, ſeiner Zeit wunder¬ bar angepaßt und ihr zugleich voraus. Er hat nicht bloß das Königtum ſtabiliert, er hat auch, was viel wichtiger, die Fundamente für eine neue Zeit geſchaffen und an die Stelle von Zerfahrenheit, ſelbſtiſcher Vielherrſchaft und Willkür Ordnung und Gerechtigkeit geſetzt. Gerechtigkeit, das war ſein beſter ‚rocher de bronce‘.“ „Und dann?“ „Und dann kam Epoche zwei. Die ließ, nach jener erſten, nicht lange mehr auf ſich warten und das ſeiner Natur und ſeiner Geſchichte nach gleich ungeniale Land ſah ſich mit einem Male von Genie durchblitzt.“

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/363>, abgerufen am 22.11.2024.