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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Lind. Und da horchten wir denn auf und beneideten
Sie fast. Nichts beneidenswerter als eine Seele, die
schwärmen kann. Schwärmen ist fliegen, eine himmlische
Bewegung nach oben."

Lorenzen stutzte. Das war doch mehr, als eine bloß
liebenswürdige Dame aus der Gesellschaft.

"Und um es kurz zu machen," fuhr Melusine fort,
"Woldemar sprach bei dieser Gelegenheit wie von Ihrer
ersten Liebe" (und dabei wies sie lächelnd auf das
Bildchen der Lind) "so auch von Ihrer letzten, -- nein,
nein, nicht von Ihrer letzten; Sie werden immer eine
neue finden -- sprach also von Ihrer Begeisterung für
den herrlichen Mann da weit unten am Tajo, von Ihrer
Begeisterung für den Joao de Deus. Und als er aus¬
gesprochen hatte, da haben wir uns alle, die wir zu¬
gegen waren, um den "Un Santo" geschart und einen
geheimen Bund geschlossen. Erst um den "Un Santo"
und zum zweiten um Sie selbst. Und nun frag' ich Sie,
wollen Sie mitthun in diesem unserm Bunde, der ohne
Sie gar nicht existierte. Mir ist manches verquer ge¬
gangen. Aber ich bin, denk' ich, dem Tage nahe, der
mich ahnen läßt, daß unsre Prüfungen auch unsre Segnungen
sind und daß mir alles Leid nur kam, um den Stab,
der trägt und stützt, fester zu umklammern. Ich darf
leider nicht hinzusetzen, daß dieser Stab (möglich, daß er
sich einst dazu auswächst) das Kreuz sei. Meiner ganzen
Natur nach bin ich ungläubig. Aber ich hoffe, sagen zu
dürfen: ich bin wenigstens demütig."

"Wenigstens demütig," wiederholte Lorenzen lang¬
sam, zugleich halb verlegen vor sich hinblickend, und
Melusine, die Zweifel, die sich in der Wiederholung
dieser Worte ziemlich deutlich aussprachen, mit scharfem
Ohre heraushörend, fuhr in plötzlich verändertem und bei¬
nah' heiterem Tone fort: "Wie grausam Sie sind. Aber
Sie haben recht. Demütig. Und daß ich mich dessen

Fontane, Der Stechlin. 23

Lind. Und da horchten wir denn auf und beneideten
Sie faſt. Nichts beneidenswerter als eine Seele, die
ſchwärmen kann. Schwärmen iſt fliegen, eine himmliſche
Bewegung nach oben.“

Lorenzen ſtutzte. Das war doch mehr, als eine bloß
liebenswürdige Dame aus der Geſellſchaft.

„Und um es kurz zu machen,“ fuhr Meluſine fort,
„Woldemar ſprach bei dieſer Gelegenheit wie von Ihrer
erſten Liebe“ (und dabei wies ſie lächelnd auf das
Bildchen der Lind) „ſo auch von Ihrer letzten, — nein,
nein, nicht von Ihrer letzten; Sie werden immer eine
neue finden — ſprach alſo von Ihrer Begeiſterung für
den herrlichen Mann da weit unten am Tajo, von Ihrer
Begeiſterung für den Joao de Deus. Und als er aus¬
geſprochen hatte, da haben wir uns alle, die wir zu¬
gegen waren, um den „Un Santo“ geſchart und einen
geheimen Bund geſchloſſen. Erſt um den „Un Santo
und zum zweiten um Sie ſelbſt. Und nun frag' ich Sie,
wollen Sie mitthun in dieſem unſerm Bunde, der ohne
Sie gar nicht exiſtierte. Mir iſt manches verquer ge¬
gangen. Aber ich bin, denk' ich, dem Tage nahe, der
mich ahnen läßt, daß unſre Prüfungen auch unſre Segnungen
ſind und daß mir alles Leid nur kam, um den Stab,
der trägt und ſtützt, feſter zu umklammern. Ich darf
leider nicht hinzuſetzen, daß dieſer Stab (möglich, daß er
ſich einſt dazu auswächſt) das Kreuz ſei. Meiner ganzen
Natur nach bin ich ungläubig. Aber ich hoffe, ſagen zu
dürfen: ich bin wenigſtens demütig.“

„Wenigſtens demütig,“ wiederholte Lorenzen lang¬
ſam, zugleich halb verlegen vor ſich hinblickend, und
Meluſine, die Zweifel, die ſich in der Wiederholung
dieſer Worte ziemlich deutlich ausſprachen, mit ſcharfem
Ohre heraushörend, fuhr in plötzlich verändertem und bei¬
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Fontane, Der Stechlin. 23
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[353/0360] Lind. Und da horchten wir denn auf und beneideten Sie faſt. Nichts beneidenswerter als eine Seele, die ſchwärmen kann. Schwärmen iſt fliegen, eine himmliſche Bewegung nach oben.“ Lorenzen ſtutzte. Das war doch mehr, als eine bloß liebenswürdige Dame aus der Geſellſchaft. „Und um es kurz zu machen,“ fuhr Meluſine fort, „Woldemar ſprach bei dieſer Gelegenheit wie von Ihrer erſten Liebe“ (und dabei wies ſie lächelnd auf das Bildchen der Lind) „ſo auch von Ihrer letzten, — nein, nein, nicht von Ihrer letzten; Sie werden immer eine neue finden — ſprach alſo von Ihrer Begeiſterung für den herrlichen Mann da weit unten am Tajo, von Ihrer Begeiſterung für den Joao de Deus. Und als er aus¬ geſprochen hatte, da haben wir uns alle, die wir zu¬ gegen waren, um den „Un Santo“ geſchart und einen geheimen Bund geſchloſſen. Erſt um den „Un Santo“ und zum zweiten um Sie ſelbſt. Und nun frag' ich Sie, wollen Sie mitthun in dieſem unſerm Bunde, der ohne Sie gar nicht exiſtierte. Mir iſt manches verquer ge¬ gangen. Aber ich bin, denk' ich, dem Tage nahe, der mich ahnen läßt, daß unſre Prüfungen auch unſre Segnungen ſind und daß mir alles Leid nur kam, um den Stab, der trägt und ſtützt, feſter zu umklammern. Ich darf leider nicht hinzuſetzen, daß dieſer Stab (möglich, daß er ſich einſt dazu auswächſt) das Kreuz ſei. Meiner ganzen Natur nach bin ich ungläubig. Aber ich hoffe, ſagen zu dürfen: ich bin wenigſtens demütig.“ „Wenigſtens demütig,“ wiederholte Lorenzen lang¬ ſam, zugleich halb verlegen vor ſich hinblickend, und Meluſine, die Zweifel, die ſich in der Wiederholung dieſer Worte ziemlich deutlich ausſprachen, mit ſcharfem Ohre heraushörend, fuhr in plötzlich verändertem und bei¬ nah' heiterem Tone fort: „Wie grauſam Sie ſind. Aber Sie haben recht. Demütig. Und daß ich mich deſſen Fontane, Der Stechlin. 23

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/360>, abgerufen am 25.11.2024.