Bank erreicht, von der aus man den besten Blick auf den zugefrorenen See hatte. Das Eis zeigte sich hoch mit Schnee bedeckt, aber in seiner Mitte war doch schon eine gefegte Stelle, zu der vom Ufer her eine schmale, gleich¬ falls freigeschaufelte Straße hinüberführte. Engelke legte die Decken über die Bank, und die Damen, die von dem halbstündigen und zuletzt etwas ansteigenden Wege müde geworden waren, nahmen alle drei Platz, während sich Rolf Krake und Uncke wie Schildhalter zu beiden Seiten der Bank aufstellten. Dubslav dagegen plazierte sich in Front und machte, während er einen landläufigen Führer¬ ton anschlug, den Cicerone. "Hab' die Ehr', Ihnen hier die große Sehenswürdigkeit von Dorf und Schloß Stechlin zu präsentieren, unsern See, meinen See, wenn Sie mir das Wort gestatten wollen. Alle möglichen berühmten Naturforscher waren hier und haben sich höchst schmeichel¬ haft über den See geäußert. Immer hieß es: ,es stehe wissenschaftlich fest'. Und das ist jetzt das Höchste. Früher sagte man: ,es steht in den Akten'. Ich lasse dabei dahin¬ gestellt sein, wovor man sich tiefer verbeugen muß."
"Ja," sagte Melusine, "das ist nun also der große Moment. Orientiert bin ich. Aber wie das mit allem Großen geht, ich empfinde doch auch etwas von Ent¬ täuschung."
"Das ist, weil wir Winter haben, gnädigste Gräfin. Wenn Sie die offene Seefläche vor sich hätten und in der Vorstellung stünden: ,jetzt bildet sich der Trichter und jetzt steigt es herauf', so würden Sie mutmaßlich nichts von Enttäuschung empfinden. Aber jetzt! Das Eis macht still und duckt das Revolutionäre. Da kann selbst unser Uncke nichts notieren. Nicht wahr, Uncke?"
Uncke schmunzelte.
"Im übrigen seh' ich zu meiner Freude -- und das verdanken wir wieder unserm guten Kluckhuhn, der an alles denkt und alles vorsieht -- daß die Schneeschipper
Bank erreicht, von der aus man den beſten Blick auf den zugefrorenen See hatte. Das Eis zeigte ſich hoch mit Schnee bedeckt, aber in ſeiner Mitte war doch ſchon eine gefegte Stelle, zu der vom Ufer her eine ſchmale, gleich¬ falls freigeſchaufelte Straße hinüberführte. Engelke legte die Decken über die Bank, und die Damen, die von dem halbſtündigen und zuletzt etwas anſteigenden Wege müde geworden waren, nahmen alle drei Platz, während ſich Rolf Krake und Uncke wie Schildhalter zu beiden Seiten der Bank aufſtellten. Dubslav dagegen plazierte ſich in Front und machte, während er einen landläufigen Führer¬ ton anſchlug, den Cicerone. „Hab' die Ehr', Ihnen hier die große Sehenswürdigkeit von Dorf und Schloß Stechlin zu präſentieren, unſern See, meinen See, wenn Sie mir das Wort geſtatten wollen. Alle möglichen berühmten Naturforſcher waren hier und haben ſich höchſt ſchmeichel¬ haft über den See geäußert. Immer hieß es: ‚es ſtehe wiſſenſchaftlich feſt‘. Und das iſt jetzt das Höchſte. Früher ſagte man: ‚es ſteht in den Akten‘. Ich laſſe dabei dahin¬ geſtellt ſein, wovor man ſich tiefer verbeugen muß.“
„Ja,“ ſagte Meluſine, „das iſt nun alſo der große Moment. Orientiert bin ich. Aber wie das mit allem Großen geht, ich empfinde doch auch etwas von Ent¬ täuſchung.“
„Das iſt, weil wir Winter haben, gnädigſte Gräfin. Wenn Sie die offene Seefläche vor ſich hätten und in der Vorſtellung ſtünden: ‚jetzt bildet ſich der Trichter und jetzt ſteigt es herauf‘, ſo würden Sie mutmaßlich nichts von Enttäuſchung empfinden. Aber jetzt! Das Eis macht ſtill und duckt das Revolutionäre. Da kann ſelbſt unſer Uncke nichts notieren. Nicht wahr, Uncke?“
Uncke ſchmunzelte.
„Im übrigen ſeh' ich zu meiner Freude — und das verdanken wir wieder unſerm guten Kluckhuhn, der an alles denkt und alles vorſieht — daß die Schneeſchipper
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0356"n="349"/>
Bank erreicht, von der aus man den beſten Blick auf den<lb/>
zugefrorenen See hatte. Das Eis zeigte ſich hoch mit<lb/>
Schnee bedeckt, aber in ſeiner Mitte war doch ſchon eine<lb/>
gefegte Stelle, zu der vom Ufer her eine ſchmale, gleich¬<lb/>
falls freigeſchaufelte Straße hinüberführte. Engelke legte<lb/>
die Decken über die Bank, und die Damen, die von dem<lb/>
halbſtündigen und zuletzt etwas anſteigenden Wege müde<lb/>
geworden waren, nahmen alle drei Platz, während ſich<lb/>
Rolf Krake und Uncke wie Schildhalter zu beiden Seiten<lb/>
der Bank aufſtellten. Dubslav dagegen plazierte ſich in<lb/>
Front und machte, während er einen landläufigen Führer¬<lb/>
ton anſchlug, den Cicerone. „Hab' die Ehr', Ihnen hier<lb/>
die große Sehenswürdigkeit von Dorf und Schloß Stechlin<lb/>
zu präſentieren, unſern See, <hirendition="#g">meinen</hi> See, wenn Sie mir<lb/>
das Wort geſtatten wollen. Alle möglichen berühmten<lb/>
Naturforſcher waren hier und haben ſich höchſt ſchmeichel¬<lb/>
haft über den See geäußert. Immer hieß es: ‚es ſtehe<lb/>
wiſſenſchaftlich feſt‘. Und das iſt jetzt das Höchſte. Früher<lb/>ſagte man: ‚es ſteht in den Akten‘. Ich laſſe dabei dahin¬<lb/>
geſtellt ſein, wovor man ſich tiefer verbeugen muß.“</p><lb/><p>„Ja,“ſagte Meluſine, „das iſt nun alſo der große<lb/>
Moment. Orientiert bin ich. Aber wie das mit allem<lb/>
Großen geht, ich empfinde doch auch etwas von Ent¬<lb/>
täuſchung.“</p><lb/><p>„Das iſt, weil wir Winter haben, gnädigſte Gräfin.<lb/>
Wenn Sie die offene Seefläche vor ſich hätten und in der<lb/>
Vorſtellung ſtünden: ‚jetzt bildet ſich der Trichter und jetzt<lb/>ſteigt es herauf‘, ſo würden Sie mutmaßlich nichts von<lb/>
Enttäuſchung empfinden. Aber jetzt! Das Eis macht<lb/>ſtill und duckt das Revolutionäre. Da kann ſelbſt unſer<lb/>
Uncke nichts notieren. Nicht wahr, Uncke?“</p><lb/><p>Uncke ſchmunzelte.</p><lb/><p>„Im übrigen ſeh' ich zu meiner Freude — und das<lb/>
verdanken wir wieder unſerm guten Kluckhuhn, der an<lb/>
alles denkt und alles vorſieht — daß die Schneeſchipper<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[349/0356]
Bank erreicht, von der aus man den beſten Blick auf den
zugefrorenen See hatte. Das Eis zeigte ſich hoch mit
Schnee bedeckt, aber in ſeiner Mitte war doch ſchon eine
gefegte Stelle, zu der vom Ufer her eine ſchmale, gleich¬
falls freigeſchaufelte Straße hinüberführte. Engelke legte
die Decken über die Bank, und die Damen, die von dem
halbſtündigen und zuletzt etwas anſteigenden Wege müde
geworden waren, nahmen alle drei Platz, während ſich
Rolf Krake und Uncke wie Schildhalter zu beiden Seiten
der Bank aufſtellten. Dubslav dagegen plazierte ſich in
Front und machte, während er einen landläufigen Führer¬
ton anſchlug, den Cicerone. „Hab' die Ehr', Ihnen hier
die große Sehenswürdigkeit von Dorf und Schloß Stechlin
zu präſentieren, unſern See, meinen See, wenn Sie mir
das Wort geſtatten wollen. Alle möglichen berühmten
Naturforſcher waren hier und haben ſich höchſt ſchmeichel¬
haft über den See geäußert. Immer hieß es: ‚es ſtehe
wiſſenſchaftlich feſt‘. Und das iſt jetzt das Höchſte. Früher
ſagte man: ‚es ſteht in den Akten‘. Ich laſſe dabei dahin¬
geſtellt ſein, wovor man ſich tiefer verbeugen muß.“
„Ja,“ ſagte Meluſine, „das iſt nun alſo der große
Moment. Orientiert bin ich. Aber wie das mit allem
Großen geht, ich empfinde doch auch etwas von Ent¬
täuſchung.“
„Das iſt, weil wir Winter haben, gnädigſte Gräfin.
Wenn Sie die offene Seefläche vor ſich hätten und in der
Vorſtellung ſtünden: ‚jetzt bildet ſich der Trichter und jetzt
ſteigt es herauf‘, ſo würden Sie mutmaßlich nichts von
Enttäuſchung empfinden. Aber jetzt! Das Eis macht
ſtill und duckt das Revolutionäre. Da kann ſelbſt unſer
Uncke nichts notieren. Nicht wahr, Uncke?“
Uncke ſchmunzelte.
„Im übrigen ſeh' ich zu meiner Freude — und das
verdanken wir wieder unſerm guten Kluckhuhn, der an
alles denkt und alles vorſieht — daß die Schneeſchipper
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/356>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.