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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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prinzen-Ufer, als Woldemar hier am Abend vor seiner
Abreise noch einmal vorsprach, um sich bei der gräflichen
Familie zu verabschieden. Es wurde nur ganz obenhin
von einem abermaligen Siege der Sozialdemokratie ge¬
sprochen, ein absichtlich flüchtiges Berühren, das nicht
auffiel, weil sich das Gespräch sehr bald um Rex und
Czako zu drehen begann, die, seit lange dazu aufgefordert,
gerade den Tag vorher ihren ersten Besuch im Barby¬
schen Hause gemacht und besonders bei dem alten Grafen
viel Entgegenkommen gefunden hatten. Auch Melusine
hatte sich durch den Besuch der Freunde durchaus zu¬
friedengestellt gesehen, trotzdem ihr nicht entgangen war,
was, nach freilich entgegengesetzten Seiten hin, die
Schwäche beider ausmachte.

"Wovon der eine zu wenig hat," sagte sie, "davon
hat der andre zu viel."

"Und wie zeigte sich das, gnädigste Gräfin?"

"O, ganz unverkennbar. Es traf sich, daß im selben
Augenblicke, wo die Herren Platz nahmen, drüben die
Glocken der Gnadenkirche geläutet wurden, was denn
-- man ist bei solchen ersten Besuchen immer dankbar,
an irgend was anknüpfen zu können -- unser Gespräch
sofort aufs Kirchliche hinüberlenkte. Da legitimierten
sich dann beide. Hauptmann Czako, weil er ahnen
mochte, was sein Freund in nächster Minute sagen würde,
gab vorweg deutliche Zeichen von Ungeduld, während
Herr von Rex in der That nicht nur von dem ,Ernst
der Zeiten' zu sprechen anfing, sondern auch von dem
Bau neuer Kirchen einen allgemeinen, uns nahe bevor¬
stehenden Umschwung erwartete. Was mich natürlich
erheiterte."


Woldemars Kommando nach Ostpreußen war bis
auf Anfang November berechnet, und mehr als einmal

prinzen-Ufer, als Woldemar hier am Abend vor ſeiner
Abreiſe noch einmal vorſprach, um ſich bei der gräflichen
Familie zu verabſchieden. Es wurde nur ganz obenhin
von einem abermaligen Siege der Sozialdemokratie ge¬
ſprochen, ein abſichtlich flüchtiges Berühren, das nicht
auffiel, weil ſich das Geſpräch ſehr bald um Rex und
Czako zu drehen begann, die, ſeit lange dazu aufgefordert,
gerade den Tag vorher ihren erſten Beſuch im Barby¬
ſchen Hauſe gemacht und beſonders bei dem alten Grafen
viel Entgegenkommen gefunden hatten. Auch Meluſine
hatte ſich durch den Beſuch der Freunde durchaus zu¬
friedengeſtellt geſehen, trotzdem ihr nicht entgangen war,
was, nach freilich entgegengeſetzten Seiten hin, die
Schwäche beider ausmachte.

„Wovon der eine zu wenig hat,“ ſagte ſie, „davon
hat der andre zu viel.“

„Und wie zeigte ſich das, gnädigſte Gräfin?“

„O, ganz unverkennbar. Es traf ſich, daß im ſelben
Augenblicke, wo die Herren Platz nahmen, drüben die
Glocken der Gnadenkirche geläutet wurden, was denn
— man iſt bei ſolchen erſten Beſuchen immer dankbar,
an irgend was anknüpfen zu können — unſer Geſpräch
ſofort aufs Kirchliche hinüberlenkte. Da legitimierten
ſich dann beide. Hauptmann Czako, weil er ahnen
mochte, was ſein Freund in nächſter Minute ſagen würde,
gab vorweg deutliche Zeichen von Ungeduld, während
Herr von Rex in der That nicht nur von dem ‚Ernſt
der Zeiten‘ zu ſprechen anfing, ſondern auch von dem
Bau neuer Kirchen einen allgemeinen, uns nahe bevor¬
ſtehenden Umſchwung erwartete. Was mich natürlich
erheiterte.“


Woldemars Kommando nach Oſtpreußen war bis
auf Anfang November berechnet, und mehr als einmal

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[266/0273] prinzen-Ufer, als Woldemar hier am Abend vor ſeiner Abreiſe noch einmal vorſprach, um ſich bei der gräflichen Familie zu verabſchieden. Es wurde nur ganz obenhin von einem abermaligen Siege der Sozialdemokratie ge¬ ſprochen, ein abſichtlich flüchtiges Berühren, das nicht auffiel, weil ſich das Geſpräch ſehr bald um Rex und Czako zu drehen begann, die, ſeit lange dazu aufgefordert, gerade den Tag vorher ihren erſten Beſuch im Barby¬ ſchen Hauſe gemacht und beſonders bei dem alten Grafen viel Entgegenkommen gefunden hatten. Auch Meluſine hatte ſich durch den Beſuch der Freunde durchaus zu¬ friedengeſtellt geſehen, trotzdem ihr nicht entgangen war, was, nach freilich entgegengeſetzten Seiten hin, die Schwäche beider ausmachte. „Wovon der eine zu wenig hat,“ ſagte ſie, „davon hat der andre zu viel.“ „Und wie zeigte ſich das, gnädigſte Gräfin?“ „O, ganz unverkennbar. Es traf ſich, daß im ſelben Augenblicke, wo die Herren Platz nahmen, drüben die Glocken der Gnadenkirche geläutet wurden, was denn — man iſt bei ſolchen erſten Beſuchen immer dankbar, an irgend was anknüpfen zu können — unſer Geſpräch ſofort aufs Kirchliche hinüberlenkte. Da legitimierten ſich dann beide. Hauptmann Czako, weil er ahnen mochte, was ſein Freund in nächſter Minute ſagen würde, gab vorweg deutliche Zeichen von Ungeduld, während Herr von Rex in der That nicht nur von dem ‚Ernſt der Zeiten‘ zu ſprechen anfing, ſondern auch von dem Bau neuer Kirchen einen allgemeinen, uns nahe bevor¬ ſtehenden Umſchwung erwartete. Was mich natürlich erheiterte.“ Woldemars Kommando nach Oſtpreußen war bis auf Anfang November berechnet, und mehr als einmal

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/273>, abgerufen am 25.11.2024.