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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Drinnen im Saal war der Wahlakt schon im
Gange. Hinter der Urne präsidierte der alte Herr von
Zühlen, ein guter Siebziger, der die groteskesten Feudal¬
ansichten mit ebenso grotesker Bonhomie zu verbinden
wußte, was ihm, auch bei seinen politischen Gegnern,
eine große Beliebtheit sicherte. Neben ihm, links und
rechts, saßen Herr von Storbeck und Herr van dem
Peerenboom, letzterer ein Holländer aus der Gegend von
Delft, der vor wenig Jahren erst ein großes Gut im
Ruppiner Kreise gekauft und sich seitdem zum Preußen
und, was noch mehr sagen wollte, zum ,Grafschaftler'
herangebildet hatte. Man sah ihn aus allen möglichen
Gründen -- auch schon um seines ,van' willen -- nicht
ganz für voll an, ließ aber nichts davon merken, weil
er der, bei den meisten Grafschaftlern stark ins Gewicht
fallenden Haupteigenschaft eines vor so und so viel
Jahren in Batavia geborenen holländisch-javanischen
Kaffeehändlers nicht entbehrte. Seines Nachbarn von
Storbeck Lebensgeschichte war durchschnittsmäßiger. Unter
denen, die sonst noch am Komiteetisch saßen, befand sich
auch Katzler, den Ermyntrud (wie Dubslav ganz richtig
vermutet) mit der Bemerkung, "daß im modernen bürger¬
lichen Staate Wählen so gut wie Kämpfen sei", von
ihrem Wochenbette fortgeschickt hatte. "Das Kind wird
inzwischen mein Engel sein, und das Gefühl erfüllter
Pflicht soll mich bei Kraft erhalten." Auch Gunder¬
mann, der immer mit dabei sein mußte, saß am Komitee¬
tisch. Sein Benehmen hatte was Aufgeregtes, weil
er -- wie Lorenzen bereits angedeutet -- wirklich im
geheimen gegen Dubslav intrigiert hatte. Daß er selber
unterliegen würde, war klar und beschäftigte ihn kaum noch,
aber ihn erfüllte die Sorge, daß sein voraufgegangenes
doppeltes Spiel vielleicht an den Tag kommen könne.

Dubslav wollte die Sache gern hinter sich haben.
Er trat deshalb, nachdem er sich draußen mit einigen

Drinnen im Saal war der Wahlakt ſchon im
Gange. Hinter der Urne präſidierte der alte Herr von
Zühlen, ein guter Siebziger, der die groteskeſten Feudal¬
anſichten mit ebenſo grotesker Bonhomie zu verbinden
wußte, was ihm, auch bei ſeinen politiſchen Gegnern,
eine große Beliebtheit ſicherte. Neben ihm, links und
rechts, ſaßen Herr von Storbeck und Herr van dem
Peerenboom, letzterer ein Holländer aus der Gegend von
Delft, der vor wenig Jahren erſt ein großes Gut im
Ruppiner Kreiſe gekauft und ſich ſeitdem zum Preußen
und, was noch mehr ſagen wollte, zum ‚Grafſchaftler‘
herangebildet hatte. Man ſah ihn aus allen möglichen
Gründen — auch ſchon um ſeines ‚van‘ willen — nicht
ganz für voll an, ließ aber nichts davon merken, weil
er der, bei den meiſten Grafſchaftlern ſtark ins Gewicht
fallenden Haupteigenſchaft eines vor ſo und ſo viel
Jahren in Batavia geborenen holländiſch-javaniſchen
Kaffeehändlers nicht entbehrte. Seines Nachbarn von
Storbeck Lebensgeſchichte war durchſchnittsmäßiger. Unter
denen, die ſonſt noch am Komiteetiſch ſaßen, befand ſich
auch Katzler, den Ermyntrud (wie Dubslav ganz richtig
vermutet) mit der Bemerkung, „daß im modernen bürger¬
lichen Staate Wählen ſo gut wie Kämpfen ſei“, von
ihrem Wochenbette fortgeſchickt hatte. „Das Kind wird
inzwiſchen mein Engel ſein, und das Gefühl erfüllter
Pflicht ſoll mich bei Kraft erhalten.“ Auch Gunder¬
mann, der immer mit dabei ſein mußte, ſaß am Komitee¬
tiſch. Sein Benehmen hatte was Aufgeregtes, weil
er — wie Lorenzen bereits angedeutet — wirklich im
geheimen gegen Dubslav intrigiert hatte. Daß er ſelber
unterliegen würde, war klar und beſchäftigte ihn kaum noch,
aber ihn erfüllte die Sorge, daß ſein voraufgegangenes
doppeltes Spiel vielleicht an den Tag kommen könne.

Dubslav wollte die Sache gern hinter ſich haben.
Er trat deshalb, nachdem er ſich draußen mit einigen

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[237/0244] Drinnen im Saal war der Wahlakt ſchon im Gange. Hinter der Urne präſidierte der alte Herr von Zühlen, ein guter Siebziger, der die groteskeſten Feudal¬ anſichten mit ebenſo grotesker Bonhomie zu verbinden wußte, was ihm, auch bei ſeinen politiſchen Gegnern, eine große Beliebtheit ſicherte. Neben ihm, links und rechts, ſaßen Herr von Storbeck und Herr van dem Peerenboom, letzterer ein Holländer aus der Gegend von Delft, der vor wenig Jahren erſt ein großes Gut im Ruppiner Kreiſe gekauft und ſich ſeitdem zum Preußen und, was noch mehr ſagen wollte, zum ‚Grafſchaftler‘ herangebildet hatte. Man ſah ihn aus allen möglichen Gründen — auch ſchon um ſeines ‚van‘ willen — nicht ganz für voll an, ließ aber nichts davon merken, weil er der, bei den meiſten Grafſchaftlern ſtark ins Gewicht fallenden Haupteigenſchaft eines vor ſo und ſo viel Jahren in Batavia geborenen holländiſch-javaniſchen Kaffeehändlers nicht entbehrte. Seines Nachbarn von Storbeck Lebensgeſchichte war durchſchnittsmäßiger. Unter denen, die ſonſt noch am Komiteetiſch ſaßen, befand ſich auch Katzler, den Ermyntrud (wie Dubslav ganz richtig vermutet) mit der Bemerkung, „daß im modernen bürger¬ lichen Staate Wählen ſo gut wie Kämpfen ſei“, von ihrem Wochenbette fortgeſchickt hatte. „Das Kind wird inzwiſchen mein Engel ſein, und das Gefühl erfüllter Pflicht ſoll mich bei Kraft erhalten.“ Auch Gunder¬ mann, der immer mit dabei ſein mußte, ſaß am Komitee¬ tiſch. Sein Benehmen hatte was Aufgeregtes, weil er — wie Lorenzen bereits angedeutet — wirklich im geheimen gegen Dubslav intrigiert hatte. Daß er ſelber unterliegen würde, war klar und beſchäftigte ihn kaum noch, aber ihn erfüllte die Sorge, daß ſein voraufgegangenes doppeltes Spiel vielleicht an den Tag kommen könne. Dubslav wollte die Sache gern hinter ſich haben. Er trat deshalb, nachdem er ſich draußen mit einigen

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/244>, abgerufen am 04.05.2024.